Nicht einmal 20 Stunden dauerte es auf dem Festland vom ersten Nachweis des gefährlichen Vogelgrippe-Virus bis zum Katastrophenalarm. Während die in die Kritik geratene Rügener Landrätin Kerstin Kassner (Linkspartei) für diese Entscheidung fast fünf Tage brauchte, riefen ihre Kollegen in den Nachbarkreisen Nordvorpommern und Ostvorpommern am Montagvormittag den Katastrophenfall aus. Damit war der Weg frei für den Einsatz der Bundeswehr bei der Bekämpfung der Vogelgrippe. "Wir haben aus den Erfahrungen auf Rügen gelernt", erklärte die Partei- und Amtskollegin Ostvorpommerns Barbara Syrbe (Linkspartei).
Katastrophenfall zu spät ausgerufen
Mit dem Nachweis des H5N1-Virus in einem toten Bussard in Netzeband nahe dem ostvorpommerschen Wolgast und in einer Silbermöwe aus Prerow auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst wurde am Sonntagabend die Befürchtung außerhalb der Ostseeinsel Rügen zur Gewissheit: Die Vogelgrippe ist aufs Festland geschwappt. Und mit ihr auch die Sorge, dass sich das Virus weiter ausbreiten könnte.
Die Bundesregierung begrüßte am Montag die Ausrufung des Katastrophenalarms im Krisengebiet und betonte indirekt, dass die Entscheidung auch auf Druck aus Berlin zu Stande gekommen sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe einen Anteil daran gehabt, dass Landrätin Kerstin Kassner (Linkspartei) den Katastrophenalarm ausgelöst habe, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin.
Linkspartei- Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sagte der "Saarbrücker Zeitung" (Dienstag): "Es war sicher ein Fehler, den Katastrophenalarm vorsorglich nicht schon eher auszulösen."
Die Vorsitzende des Agrarausschusses im Bundestag, Bärbel Höhn (Grüne), bekräftigte ihre Kritik. Am Anfang sei geschlampt worden, sagte sie im Hessischen Rundfunk. Seehofer habe vieles in der Koordination mit den Ländern versäumt, wie zum Beispiel Katastrophenschutzübungen. In einer solchen Krise müsse der Bund den Ton angeben, forderte sie im RBB-Inforadio.
Landwirtschaftsminister der EU-Länder beraten nun das weitere Vorgehen. Tierimpfungen bleiben in der Europäischen Union umstritten. Nach Beratungen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel sagte Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer: "Die Tierimpfung hat nach wie vor das Problem, dass man die Krankheit damit verdeckt." Grundsätzlich sei Deutschland aber bereit, an einer europäischen Impfstrategie mitzuarbeiten. "Wir fahren da zweigleisig", sagte Seehofer.
Geimpftes Geflügel darf in der EU nicht verkauft werden
Die Niederlande und Frankreich wollen Impfprogramme auflegen, haben aber bislang noch keine Genehmigung der EU. In den Niederlanden sollen zunächst Geflügel von Hobbyzüchtern und Vögel in Zoos geimpft werden. Sein niederländischer Kollege Cees Veerman habe ihm zugesichert, dass es nicht um Impfungen auf Geflügelhöfen gehe, sagte Seehofer. Frankreich will in drei Bezirken Enten und Gänse impfen. Sollte ein Land einen Alleingang machen, muss es mit Handelsverboten rechnen. Geimpftes Geflügel darf in der EU nicht verkauft werden.
Das Problem bei Impfungen ist, dass diese Tiere dieselben Antikörper bilden wie die infizierten. Um eine Unterscheidung machen zu können, müsste der Impfstoff eine Markierung hinterlassen. Solch einen Impfstoff gibt es noch nicht. Ob eine Impfungen zugelassen wird, entscheidet die Kommission gemeinsam mit den Mitgliedstaaten.
Seehofer sagte, die Mehrheit seiner Kollegen teile seine Bedenken. Er kündigte an, dass deutsche und niederländische Experten über die Probleme beraten werden. Vor allem müsse geklärt sein, was unter Geflügel von Hobbyzüchtern und Zoovögel genau verstanden werde. Der Minister hat auch Vorbehalte gegen mögliche Entschädigungen für die Geflügelindustrie. Beispielsweise in Italien brach der Absatz von Geflügel wegen der Vogelgrippe dramatisch ein.
Wichtigstes Ziel sei, ein Übergreifen der Seuche auf Geflügelhöfe zu vermeiden
"Ich empfehle - bei allem Verständnis für die wirtschaftlich Betroffenen - zuerst, das Geschehen in den Griff zu bekommen", sagte er. Zu möglicher Kritik an dem Einsatz der Bundeswehr sagte Seehofer: "Die Bundeswehr kann als erste ein klares Lagebild erstellen. Das ist der Grund für die Bundeswehr - nicht Aktionismus." Die Regierung in Berlin hatte beschlossen, 250 Soldaten zu entsenden.
EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou und EU-Ratspräsident, Österreichs Agrarminister Josef Pröll, sagten, es gebe keinen Grund zur Panik wegen der bislang in sieben EU-Staaten nachgewiesenen Fälle der auch für den Menschen gefährlichen Vogelgrippe. "Wir haben alle möglichen Maßnahmen ergriffen", sagte Kyprianou. Wichtigstes Ziel sei, ein Übergreifen der Seuche auf Geflügelhöfe zu vermeiden. "Wir müssen uns immer wieder sagen: Das ist eine Tierseuche und keine menschliche Krankheit", sagte der Kommissar. "Geflügelfleisch ist sicher."
LKA warnt vor falschem Vogelgrippe-Notruf
Das Landeskriminalamt Niedersachsen warnt vor Abzockereien mit Hilfe einer angeblichen Hotline zur Vogelgrippe. Unbekannte Anbieter versuchten mit Ängsten der Bürger Geschäfte zu machen, teilte das LKA in Hannover am Montag mit. Sie hätten eine teure und falsche Vogelgrippe-Notrufnummer eingerichtet, bei der ein Anruf 1,99 Euro pro Minute koste. Für die Hotline werde im Internet mit der Begründung geworben, der Notruf "112" dürfe nicht mit Anfragen zur Vogelgrippe belastet werden. Ermittlungen wegen des falschen Vogelgrippe-Notrufs seien eingeleitet. Das Amt wies daraufhin, dass das Bundesministerium für Verbraucherschutz unter den Nummern 01888/529-4601 bis -4607 alle Fragen zur Vogelgrippe zum Ortstarif beantwortet.
DPA/AP