Es hat so kommen müssen. Denn mathematisch und logisch betrachtet gibt es keine Zufälle, sondern nur Kombinationen. Gute und schlechte Kombinationen allenfalls. Aber keine Zufälle, ausgeschlossen.
Im Frühjahr 1995 begegneten sich auf dem Campus der Universität Stanford in Kalifornien die Doktoranden Sergey Brin und Larry Page. Beide Genies in Mathematik, beide vernarrt in Computer, beide interessiert an Philosophie, beide debattier- und streitlustig, beide erfindungsreich:
Page hatte als Schüler einen Tintenstrahldrucker aus Legosteinen gebaut; Brin als Jung-Student ein Programm entwickelt, mit dem er Fotos aus dem "Playboy" in einen Bildschirmschoner konvertierte, als das technisch noch ein Novum war. Ergo: Es hat so kommen müssen, dass die beiden sich trafen in Stanford.
"Nerds", Sonderlinge, nennen die Amerikaner solche Menschen, die voll und ganz aufgehen in stundenlangen Gesprächen über, sagen wir: Algorithmen.
Eine Freundschaft, die die Welt verändern würde
Die Brüder im Geiste fanden sich gegenseitig anfangs, mit Verlaub, zum Kotzen.
Brin führte Page über das Uni-Gelände, und sie zankten sich auf höchstem intellektuellen Niveau über Gott und die Welt und Mathematik und Problemlösungen.
Da waren sie Anfang zwanzig. Sie redeten viel über Algorithmen, jene Formeln, die Handlungen exakt definieren, die bevorzugte Sprache der Informatik.
Sie stritten und diskutierten, diskutierten und stritten. So sind Nerds. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Sie würde die Welt verändern.
Drei Jahre nach ihrem ersten Treffen gründeten Sergey Brin und Larry Page eine kleine Firma mit dem Namen Google, abgeleitet vom mathematischen Begriff "googol" für eine fast unendlich große Zahl: eine 1 mit 100 Nullen. Im Silicon Valley ging bald darauf der Internetblase die Luft aus, die Start-ups machten reihenweise Pleite, Millionäre wurden obdachlos.
Ein Kaleidoskop der Neugier
Aus Google aber wurde:
Die Suchmaschine. Die Geldmaschine.
Die Wissensmaschine. Die digitale Weltmacht.
Es ist ein sonniger Vormittag in Mountain View, Kalifornien, einem hügeligen Örtchen am Rande des Valley, das dominiert wird von einem Gebäudekonglomerat aus Stahl und Beton. Wo früher Gras wuchs, wächst heute Google.
Mountain View ist Google. Das Areal heißt Googleplex. Etwa 5000 Leute arbeiten und forschen auf diesem Campus, jede Woche kommen rund 100 neue Mitarbeiter dazu, und Googles größtes Problem ist, dass diese 100 nicht annähernd ausreichen. Die Welt ist neugierig, sie lechzt nach Antworten, nach Wissen, und Wissen ist Googles Macht. Die Welt sucht nach "Ferien in Thüringen 2006", "Fotos del Real Madrid", "Penis Enlargement", "Mapa de USA", "Die Leiden des jungen W. plus kurze Inhaltsangabe", "Paris Hilton Pictures" und auch die Antwort auf die Frage aller Fragen: "Why are parents so mean", warum Eltern so fies sind. Auch das soll Google wissen, muss Google wissen, denn Google weiß alles. Glaubt die Welt. Sie vertraut Google. Alles, was die Welt googelt, erscheint im Halbsekundentakt simultan auf dekorativen Monitoren in den lichten Foyers der Firmenzentrale auf dem Hügel von Mountain View. Es ist ein Kaleidoskop der Neugier.
So funktioniert Google
Wie durchforstet die Suchmaschine das Netz? Wie gut kennt Google das Internet? Und was ist ein Bot? Antworten finden sie hier.
An diesem Morgen hat die Firma wieder neue Software-Produkte vorgestellt.
Sie stellen unentwegt neue Dinge vor, manchmal merkt die Welt das gar nicht.
Schmidt als fürsorglicher Aufseher
Journalisten aus ganz Amerika sind angereist und stellen Fragen nach der verbesserten Version von "Desktop Search" und "Google Trends", einer Art Trendbarometer für alles, was die Menschen bewegt.
Oben auf der Bühne lehnt der Google-Geschäftsführer Eric Schmidt an einem Stehpult. Schmidt ist mit seinen 51 Jahren einer der Ältesten in der Firma. Er stieg vor fünf Jahren bei Google ein und wirkt ein bisschen wie ein fürsorglicher Aufseher neben den Firmengründern Brin und Page, die auf hohen Stühlen hocken und routiniert antworten. Nach einer Dreiviertelstunde ist alles vorüber, Sergey Brin eilt an den Reportern vorbei in ein Meeting, Larry Page bleibt stehen.
Er ist 33 Jahre alt, hat buschige Augenbrauen, erste graue Strähnen im braunen Haar. Page spricht mit einer ins Quaken changierenden Stimme. Man sagt, er sei das Gehirn von Google und Brin das Gewissen.
Das Privatvermögen der beiden wird seit dem Börsengang vor zwei Jahren auf jeweils zehn Milliarden Dollar geschätzt, und deshalb wird Page nun gefragt, wie wichtig ihm Geld sei. Da lächelt er fast geringschätzig und sagt: "Ach, wissen Sie, wenn mir Geld so wichtig wäre, hätte ich die Firma vor Jahren verkauft und würde mir eine schöne Zeit am Strand machen." Vielleicht hat er zuweilen diesen Peter-Pan-Moment und sehnt sich zurück nach den frühen Tagen, als er mit Brin noch in einer Garage in Menlo Park tüftelte, als sie alte Computer zusammenschraubten und vernetzten und er, Page, schließlich die Idee hatte für diese neue, revolutionäre Internetsuchmaschine, die Information kategorisieren würde und Seiten auflisten wie eine Hitparade. So hatte alles angefangen.
Weltenverbesserer
Aber diese Peter-Pan-Momente sind vermutlich selten, die Realität ist zu konkret: Immer mehr Menschen da draußen gehen online und suchen nach Antworten.
Sie brauchen mehr Google, besseres Google, sie brauchen Brin und Page.
Die beiden, das war ihr Ausgangspunkt, und daran hat sich nichts geändert, wollen die Welt verändern - und verbessern.
"Do no evil", Tue nichts Böses, ist das offizielle Credo der Firma. Sie meinen das ernst, so naiv es klingen mag, und genauso sagen sie das auch. Genauso sagen das im Übrigen alle bei Google und meinen es ernst: die Welt verbessern! Als müssten sie das im Arbeitsvertrag unterschreiben.
Aber irgendwann glaubt man es ihnen sogar und belächelt es nicht länger. Die Zeiten sind vorbei, als man die Google-Guys als genial-verspinnerte Träumer belächelte und sich die Wall-Street-Nadelstreifenträger amüsierten über diese Jungs aus Kalifornien, die Jeans und Turnschuhe trugen und nach wie vor tragen, auf Rollerskates durchs Büro fuhren und fahren und mit Legosteinen spielten und spielen.
Die waren so anders, sie sind es noch.
Nerds. Bill-Microsoft-Gates war auch ein Nerd. Niemand lacht mehr über ihn.
Das Google-Prinzip
Google ist das am schnellsten wachsende Unternehmen der Welt. Der Börsenwert der Firma lag Anfang der Woche bei 113 Milliarden Dollar. Das ist dreimal so viel wie der Wert von BMW, obwohl der Google- Umsatz mit 6,1 Milliarden Dollar lediglich ein Zehntel des BMW-Umsatzes beträgt. Fast jede zweite Suchanfrage in den USA läuft über Google, in Deutschland sind es sogar zwei von drei. In der US- Presse wird bereits die Schlacht der Computerwelt- Titanen ausgerufen: Google gegen Microsoft. Als wäre nur Platz für einen.
Das Google-Prinzip ist gleichermaßen simpel wie genial: Die Rechner zählen, wie viele andere Websites auf eine Site verlinken - und erhalten damit einen Maßstab, um deren Popularität einzustufen.
Das ist es schon, so funktioniert die Suchmaschine und damit auch die Geldmaschine. Die kleinen Textanzeigen, die AdWords, die rechts in einer Spalte neben den Trefferlisten stehen, werden verkauft. Der Preis richtet sich danach, wie begehrt ein Werbeplatz ist. Wer bei beliebten Suchanfragen wie "Digitalkamera" oder "Billig-Flüge" weit oben stehen will, muss eben mehr zahlen als jemand, der seine Anzeige neben Suchresultaten zu "Wanderdüne" oder "Ferienwohnungen in Wanne-Eickel" stellen will.
Die Anzeigen beziehen sich auf den eingetippten Suchbegriff. Zahlen muss der Werber nur, wenn seine Anzeige auch angeklickt wird. Allein im vorigen Jahr brachten die Textanzeigen Google gut sechs Milliarden Dollar ein. Das Modell ist derart erfolgreich, dass Microsoft die Geschäftsidee demnächst kopiert. Das Google-Geheimnis sind dabei die - natürlich: Algorithmen.
Die Google- Algorithmen sind anders als die der Konkurrenz.
Sie sind augenscheinlich besser und daher so geheim wie das Rezept von Coca-Cola.
Eine gigantische Montessori-Schule für Computerfreaks
Brin und Page lieben Algorithmen, offenbar liegen sie ihnen im Blut. Beide stammen aus verblüffend ähnlichem Milieu, aus Akademikerfamilien. Larrys Mutter arbeitete als Computerprogammiererin, sein inzwischen verstorbener Vater als Informatikprofessor an der Michigan State University. Sergey Brin wurde in Moskau geboren. Als er sechs war, wanderten seine Eltern wegen des aufkeimenden Antisemitismus in der Sowjetunion 1979 in die USA aus. Sergeys Vater Michael ist hochangesehener Mathematiker an der University of Maryland, die Mutter Eugenia forscht für die Nasa. Beide, Zufall wieder ausgeschlossen, gingen auf Montessori-Schulen, die Individualität, Selbstständigkeit und Kreativität propagieren.
"Es ist keine Frage", sagt Page dem stern, "dass mich das geprägt hat.
Die Schule hat meinen Nonkonformismus gefördert." Im Prinzip ist der Googleplex in Mountain View nichts anderes als eine gigantische Montessori-Schule für Tausende von Computerfreaks. Sie haben dort einen Beachvolleyballplatz und einen Swimmingpool mit Gegenstromanlage. Es gibt Fitnesscenter, eine Zahnarztpraxis, einen Friseur, eine Reinigung und eine Autowaschanlage.
Vollversorgung für die Arbeit
Google ist wie eine kleine Stadt. Die Angestellten bewegen sich mit Elektrorollern von Gebäude zu Gebäude, in den Gängen stehen Sofas in den Google- Farben. Das Essen in der Kantine reflektiert die multinationale Belegschaft - mongolisches Rindfleisch, Sushi, Pasta, das koreanische Nationalgericht Kimchi. Es hat Spitzenrestaurant-Qualität und ist streng bio: Die Eier kommen nur von freilaufenden Hühnern, die, falls sie denn doch auf dem kompostierbaren Teller landen, selbstredend hormonfrei sind. Fischgerichte werden nach den Richtlinien des "Monterey Bay Aquarium Seafood Watch Program" zubereitet. Und also begegnet der Besucher auf dem Campus chronisch gut gelaunten jungen Menschen, die sich, rundum versorgt, voll auf den Job konzentrieren können und müssen. Die gute Laune erklärt sich aber nicht nur damit, dass jeder Vierte schon Aktienmillionär ist.
Man trifft dort Menschen wie Urs Hölzle, 42, einen Schweizer Google-Veteranen, der 1999 zum ersten Dutzend Angestellten gehörte, inzwischen zum "Vizepräsident Operations" aufgestiegen ist, Chef von mehreren hundert Leuten, mit denen er etwa über Verbesserungen beim Suchen für Umlaute und Akzente oder chinesische Schriftzeichen brütet. Der von Brin und Page sofort fasziniert war - und ist, "weil die nicht aufs schnelle Geld aus waren, sondern aufs Produkt. Die waren so angenehm anders".
Pure Harmonie im Google-Imperium
Man trifft die hyperaktive Produktmanagerin Marissa Mayer, 31, eine zarte, blonde Frau, die vor sieben Jahren angeheuert wurde, der nun 700 Leute unterstellt sind und deren Stimme sich überschlägt, wenn sie ihren Job beschreibt:
"Unsere Arbeit ist so wichtig, dass ich auch ins Büro ginge, wenn ich dafür nicht bezahlt würde. Die Website, die ich mit Kollegen gebaut habe, die sich mehr wie Freunde und Familie anfühlen, wird von Milliarden Menschen angeklickt. Es haut mich immer wieder um." Oder man trifft den Deutschen Franz Ochs, 34, einen Experten für maschinelle Übersetzungen, der aus Franken kommt, auf Umwegen bei Google landete und sich darüber begeistern kann, dass sein Tun sogar dem Papa in Bayern hilft: "Mein Vater spricht kein Englisch, er kann durch meine Arbeit aber im Internet auch die 'New York Times' lesen. Mit unserer Arabisch- Englisch-Übersetzung kann jeder Amerikaner die Website von 'al Jazeera' lesen und jeder Araber die von CNN." Ochs fühlt sich stimuliert: "Ich kann genau machen, was ich möchte, nämlich mit großen Datenmengen arbeiten." Und vor allem, da sind sie wieder, "mit ausgefeilten Algorithmen arbeiten".
Solche Menschen trifft man in Mountain View. Sie leben die Firmenphilosophie, sie leben Google, "do no evil". Seid nett zueinander. Der Googleplex ist womöglich das Woodstock der Cyber-Generation, bis auf "make love not war" natürlich.
Zu schön, um wahr zu sein?
Die Google-Menschen laufen mit einem Dauerlächeln über den Campus, als wäre jeder Tag Weltkirchentag. Sie erzählen von den "Thank God It's Friday Parties", bei denen Bier getrunken wird und sich die drei Chefs stundenlang den Fragen ihrer jungen Elite stellen, selbst solchen nach neuen Kaffeemaschinen. Sie erzählen, dass Mitarbeiter, die dabei erwischt werden, dass sie den Google-Aktienstand checken, eine Strafe in der Höhe des Tagespreises einer Aktie blechen müssen - auf Geld soll's nicht ankommen.
Und dass es passieren könne, dass Sergey Brin in eine Sitzung schlappt, sich anhört, wie seine Ingenieure eine Idee vorstellen, mit der sich noch mal 80 Millionen Dollar mit dem Anzeigengeschäft erwirtschaften ließen, und am Ende fragt: "Haben unsere Nutzer etwas davon? Nein. Und verdienen wir nicht schon genug? Also." Die geschichte von Google klingt zu schön, um wahr zu sein. Und so geht es auch bei Google nicht ganz ohne Widersprüche und Brüche zu. Denn ausgerechnet jenes Unternehmen, das Transparenz, Offenheit und uneingeschränkten Informationszugang fordert, hält diese Parameter selbst nicht ein. Google gilt als notorisch geheimniskrämerisch. Wo stehen die Computer für die gigantischen Datenmengen und wie viele sind es? Geheim.
Wie viele Klicks pro Tag? Geheim. Wie lange werden die Daten der Google-Nutzer gespeichert? So lange, wie nötig.
Auch deshalb sieht sich Google einem neuen Phänomen ausgesetzt: Liebesentzug.
Funktioniert "Do no evil" an der Börse?
Kritiker werfen dem Unternehmen vor, es hätte seine Unschuld verloren und mit dem Börsengang seine Seele verkauft.
Sie glauben nicht länger an das "Do no evil"-Credo, seit Google nicht mehr ausschließlich seinen Nutzern, sondern eben auch den Aktionären verpflichtet ist, die gelegentlich über eine chaotisch anmutende Unternehmensführung klagen. Analysten mahnen, die Aktie sei überhitzt.
Und Datenschützer schließlich sehen in Google eine Bedrohung, weil es über jeden seiner Nutzer ein Profil anlegen könne.
Weshalb Google zuweilen auch staatliche Späher anlockt. Vor einigen Monaten konnten Google-Anwälte eine US-Regierungsanfrage halbwegs abwehren. Das Justizministerium wollte an alle Suchanfragen einer Woche herankommen, um die Wirksamkeit einer Pornofilter-Software zu prüfen. Das wären Milliarden Wörter von Millionen Usern gewesen.
Letztlich musste Google nur 50.000 Internet- Adressen herausrücken.
Die Google-Nutzer schreckt das kaum.
Eine US-Umfrage unter 1017 Internetnutzern - 74 Prozent von ihnen klickten Google an - belegt deren Ahnungslosigkeit:
77 Prozent glaubten, ihre Daten ließen keine Rückschlüsse auf die Identität zu. Rein theoretisch, sagen die Google-Leute dazu, sei es zwar möglich, die elektronischen Spuren zurückzuverfolgen. In der Praxis aber würden die Daten nur so lange gespeichert, wie sie der Optimierung ihrer Suchmaschine dienten.
Wo liegt die Wahrheit?
Der größte Widerstand gegen Google regt sich in Europa. "Quälende Unruhe" befällt Jean-Noël Jeanneney, Präsident der Französischen Nationalbibliothek in Paris, angesichts der Google-Pläne für eine digitale Bibliothek. Im ersten Schritt sollen 15 Millionen Bücher erfasst werden - aus Universitätsbibliotheken in Oxford, Harvard, Michigan und Stanford und der New York Public Library. Würden die alle ihren gesamten Bestand scannen lassen, kämen gut 50 Millionen Werke zusammen. Die Deutsche Bibliothek verfügt nicht mal über die Hälfte davon in Buchform. Durch den Google-Coup, fürchtet der Franzose, werde "alles, was der amerikanischen Weltsicht widerspricht, aussortiert". Womöglich fände man unter "Goethe" oder "Victor Hugo" bald nur noch englischsprachige Bücher. Die einen halten das für Kulturfrevel, andere loben die Megabücherei als digitale Version der Bibliothek von Alexandria.
Wo liegt die Wahrheit?
Vielleicht müssen die Google-Leute damit zu leben lernen, dass Kritik die Schwester des Erfolgs ist. Dass Google bei allen hehren Vorsätzen ein Global Player ist und als solcher zu Recht unter verschärfter Beobachtung steht. Als das Unternehmen Anfang 2006 verkündete, eine freiwillig zensierte Version ihrer Seite in China unter google.cn zu öffnen, löste das vor allem in den USA Empörung aus. Die Weltverbesserer, hieß es, schielten auf den Profit, den 110 Millionen chinesische Internetuser versprechen, und machten sich gemein mit einem repressiven System.
Bei einer Anhörung vor dem Kongress wurden sie sogar mit Nazi-Kollaborateuren verglichen. Wissen stand gegen Gewissen. "Es waren quälende Diskussionen", sagt Google-Chef Eric Schmidt.
Google geht es prächtig
Es ist Donnerstag, Aktionärstreffen.
Das Durchschnittsalter auf dem Googleplex steigt dramatisch. Die Aktienbesitzer könnten die Großväter und Großmütter der jungen Forscher sein. Es gibt gute Nachrichten für die Oldies. Google geht es prächtig, natürlich geht es Google prächtig, Gewinn und Umsatz steigen, Innovationen am laufenden Band, wenn auch der Aktienkurs auf hohem Niveau schwächelt.
Eric Schmidt, der Geschäftsführer, hat entsprechend gute Laune. Er hat klare, blaue Augen, eine sanfte Stimme und einen irrwitzig schnellen Verstand. Schmidt zieht sein blaues Jackett aus und erzählt.
Erzählt, wie er vor sechs Jahren auf Drängen des Internetgurus und Google-Finanziers John Doerr endlich einwilligte, Page und Brin zu treffen, "der Raum war eine einzige Katastrophe, Kaffee auf dem Boden, Essensreste, Müll". Die beiden hatten seine Vita mit einem Projektor an die Wand geworfen, dann fingen sie an, Schmidt, diesen gestandenen Computermanager, auseinander zu nehmen. Sie hinterfragten alles, sie stritten, sie debattierten.
Nach Stunden gingen sie auseinander.
Und irgendwann, sagt Schmidt, wurde ihm klar, "dass Sergey und Larry mit allem, was sie sagten, Recht hatten".
Wieder der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Und das ist erst der Anfang
Wenige Monate später wurde Schmidt zum Google-Chef berufen. Sie streiten immer noch regelmäßig und intensiv. Zuletzt über das China-Abenteuer, neun Monate lang. Schmidt ist nüchterner als Brin und Page. Die beiden sind die Ideenmotoren des Konzerns, Schmidt ist der Mann für die Balance zwischen Kreativität und Geschäft. Wenn in den Meetings mal wieder die Fetzen fliegen, agiert Schmidt wie ein Familientherapeut. Er sagt: "Ich kam, um zu helfen." Vor Schmidt wirkte die Firma auf Außenstehende chaotisch. Mit Schmidt wirkt die Firma immer noch so - allerdings kontrolliert chaotisch. "Wir verkaufen uns selbst als chaotisch, aber hinter dem Chaos steckt Logik." Die Idee ist, die Konkurrenz ein wenig im Dunkeln zu lassen. Google ist für seine Rivalen ein Rätsel.
Für Schmidt manchmal offenbar auch.
Strategie? "Wir haben keine langfristigen Pläne. Wir entscheiden kurzfristig." Als sie das neue Produkt "Google Trends" vorstellten, erfuhr er davon erst wenige Tage zuvor. Sagt er. Man kann ihm das glauben oder nicht. Larry Page hatte gesagt, dass sie nicht über Strategien reden, "weil auch das strategisch ist".
Natürlich hat Google eine Strategie und auch eine Vision jenseits von Weltverbesserung.
Sie sind ja erst am Anfang.
Keine Wachstumsgrenze in Sicht
Gerade einmal zehn Prozent der Informationen weltweit sind online. Für Google bedeutet das: wachsen, wachsen, wachsen. "Es gibt zwar eine Grenze des Wachstums", sagt Schmidt, "aber ich sehe sie noch nicht." Also werden sie weiter Talente rekrutieren, Hunderte, Tausende.
Brillante junge Leute, die sich extrem harten Job-Interviews stellen müssen, zur Firmenphilosophie passen sollen, "und gegebenenfalls den Boden schrubben würden, um dabei zu sein, wenn wir die Welt verändern", wie Schmidt sagt. Sie werden weitere Büros eröffnen auf der ganzen Welt und neue Programme für Handys schreiben. Schon deshalb, weil es davon viel mehr gibt als Computer.
Und sie werden sich daran machen, den Medien- und Werbemarkt umzukrempeln und Fernseh-, Radio- und Printwerbung nach dem Online-Vorbild ganz speziell auf Kunden zuschneiden.
"Klingt doch logisch, oder?"
Google ist längst mehr als ein Technologiekonzern, Google ist auch ein Medienund Werbegigant. "Der Tag wird kommen", sagt Schmidt, "an dem ich den Fernseher anstelle und Werbung für Männerkleidung sehe. Hundebesitzer werden Reklame für Hundefutter bekommen, Katzenfreunde welche für Katzenfutter.
Klingt doch logisch, oder?" Eigentlich fragt er nicht, er stellt vielmehr fest. Dieser Schmidt klingt nicht wie ein Weltverbesserer. Er klingt wie ein Pragmatiker.
Genau deshalb ist er da.
Weltverbesserer gibt es genügend auf dem Google-Hügel von Mountain View, wo sie Algorithmen und Visionen lieben.
Sie dürfen träumen und spinnen auf dem Hügel. Die Googler sind sogar offiziell angehalten, zehn Prozent ihrer Arbeitszeit dafür zu investieren. Selbst Page und Brin spinnen immer noch. "Was spricht dagegen, den Geist zu verbessern?", hat Sergey Brin einmal gesagt. "Vielleicht wird es irgendwann möglich sein, eine kleine Version von Google direkt ans Gehirn anzuschließen." Man ist versucht zu lachen. Und tut es dann doch nicht.
So funktioniert Google
Wie die Spinne im Netz: Zu fast jedem Suchwort liefert Google eine passende Seite über das riesige Schlagwortverzeichnis der Firma. Doch Google kennt nicht das ganze Web Dass Google sich im Internet so gut auskennt, liegt an Googlebot. So heißt die automatische Surfsoftware, mit der Google das Internet permanent durchforstet.Alle Suchmaschinen nutzen solche Surf-Programme, die auch Spider, Webrobots oder kurz Bots genannt werden.
Wahllos steuern sie alle Webseiten an, deren sie habhaft werden können, vom kleinsten Forumseintrag bis zum Leitartikel. Stoßen sie beim Surfen auf einen Link zu einer neuen Webseite, besuchen sie auch diese und hangeln sich so wie eine Spinne von Seite zu Seite.
Auf diese Weise lernt die Suchmaschine das Internet Schritt für Schritt kennen. Und das immer wieder von Neuem: Denn Internetseiten werden verändert oder verschwinden, und dies darf einer guten Suchmaschine nicht verborgen bleiben. Umgekehrt bedeutet das auch:
Seiten, die Googlebot noch nie besucht hat, findet man mit Google auch nicht. Dieser unentdeckte Teil des Webs ist womöglich viel größer als der, den Google kennt. Mit den von Googlebot angesteuerten Seiten geschieht dreierlei: Erstens speichert Google eine Kopie der Seite im hauseigenen Rechenzentrum.
Relevanz und Pagerank
Zweitens gibt Google jeder katalogisierten Seite eine Nummer. Drittens analysiert Google den auf der Web-Seite enthaltenen Text, aber auch andere Informationen wie Dateinamen von Bildern, den Seitentitel und die vom Autor der Seite festgelegten Suchbegriffe. Daraus erstellt Google Schlagwörter, die in das Google- Verzeichnis, Index genannt, eingearbeitet werden. Der Index ist wie das Schlagwortregister am Ende eines Buches - eine lange Liste von Wörtern und dazu die Nummern der Seiten, auf denen diese vorkommen.Auch falsch Geschriebenes oder Fremdwörter werden aufgenommen - einzig häufige Wörter wie "und" oder "das" bleiben unberücksichtigt. Startet ein Internetsurfer eine Suchabfrage, schaut Google im Index, ob der Begriff vorhanden ist.
Das ergibt meistens viele tausend Treffer - die nun nach Relevanz sortiert werden müssen, denn das Wichtigste soll in der Trefferliste ganz oben stehen.
Dazu nutzt Google ein Verfahren, das "Pagerank" heißt: Jede Internetseite wird vor allem danach bewertet, wie viele andere Seiten auf sie verweisen.
Wie relevant die verweisenden Seiten sind, wird ebenfalls berücksichtigt.
Insgesamt über 100 Faktoren spielen eine Rolle. Doch was genau wie viel zählt bei der Seitenbewertung, bleibt Googles Geschäfts- und letztlich auch Erfolgsgeheimnis.
Lokale Suche
Das Gute liegt so nah. Nicht alles,was man sucht, gibt es im Netz. Aber man kann es übers Netz finden. Jetzt boomen Spezialsuchdienste für regionale Adressen Google ist vorn, die Konkurrenz hat keine Chance: Bei der Internetsuche ist das seit Jahren so.Wenn es aber darum geht, einen Blumenladen oder einen Zahnarzt in der Nähe ausfindig zu machen, können regionale Internetanbieter oft mehr. Solche lokalen Suchmaschinen sind sozusagen die Gelben Seiten des Internets. Sie finden Restaurants, Friseure und Klempner auch dann,wenn die gar nicht mit einer eigenen Seite im Internet vertreten sind. Um geschätzte 30 Prozent sollen die Umsätze solcher lokalen Suchmaschinen in diesem Jahr wachsen, auf weltweit insgesamt 3,4 Milliarden Dollar. Klar, dass auch Google dabei mitmischen will. In den USA läuft "Google Maps" tatsächlich schon sehr erfolgreich. Hier kann der Internetnutzer gezielt nach einer bestimmten Branche in einer bestimmten Stadt suchen und erhält mit einem Mausklick eine Trefferliste mit allen infrage kommenden Anbietern.
Auf einem Stadtplan weisen kleine Fähnchen auf den Standort der Fundorte hin, sodass man sich problemlos den nächstliegenden aussuchen kann. Zur besseren Orientierung kann man sich das Ziel auch auf Satellitenbildern anzeigen lassen.
Ein, zwei weitere Klicks, und dieselbe Seite spuckt auch noch die kürzeste Fahrtroute zum Ziel aus. Doch während Google in den USA gewohnt erfolgreich ist, musste der Konzern die ursprünglich schon für 2005 geplante Einführung seiner lokalen Suche in Deutschland gleich mehrfach verschieben.
Hierzulande startet Google aus der zweiten Reihe
Bis heute befindet sich Google Maps Deutschland im Versuchsstadium ("Beta").
Und eins ist schon jetzt klar: Bei seinem neuen Eroberungszug startet Google hierzulande nur aus der zweiten Reihe. Denn in der Zwischenzeit haben sich deutsche Anbieter bereits in der Marktlücke breit gemacht, zum Beispiel die Herausgeber der gedruckten Telefonbücher mit "dastelefonbuch.de", "dasoertliche.de" und "gelbeseiten.de". Sie haben attraktive Angebote entwickelt, die in Deutschland dasselbe können wie Google Maps - und oft sogar besser. Zum Beispiel zeigen sie ihre Suchergebnisse - zumindest in Großstädten - auf Luftbildaufnahmen an, die viel detailreicher sind und auch besser aussehen als die Satellitenbilder von Google. Ebenfalls mit attraktiven lokalen Angeboten gestartet ist Web.de,wo allerdings die Ergebnisse auf klassischen Stadtplänen präsentiert werden. Bei Web.de kann man sich dafür mit einem Zusatzklick zum Beispiel Geldautomaten, Apotheken oder Tankstellen darstellen lassen, die auf dem Weg zum Ziel liegen. Ähnliches bietet der noch junge Dienst GoYellow.de, dessen Site über eine hochwertige Luftbildoptik verfügt. Dort kann man sich zum Beispiel die Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsmittel anzeigen lassen, wie man bei der WM Großbildleinwände findet oder die Fundorte von Vogelgrippe- Opfern umfährt. Ganz neue Wege geht der erst kürzlich gestartete Dienst Qype (qype.de). Hier wird der Inhalt von den Nutzern selbst angelegt: Wer zum Beispiel eine gute Pizzeria in Münster kennt, kann die Adresse anderen Nutzern zur Verfügung stellen und mit einer Bewertung versehen.
Andere Suchmaschinen
Wer bei Google nicht fündig wird, sollte mal bei der Konkurrenz vorbeischauen. Die ist oft ebenso gut - und manchmal sogar besser Im Schatten von Google stehen Suchmaschinen wie Ask (ask.de), Lycos (lycos.de), MSN (msn.de) und Yahoo (yahoo.de).
Dabei müssen die Konkurrenten keineswegs schlechter sein. Manche, zum Beispiel Yahoo, legen größeren Wert auf katalogbasierte Suche. Dabei werden die Webseiten nicht nur automatisch, sondern von Redakteuren in einen Katalog einsortiert - was zu besseren Suchergebnissen führen kann. Lycos bietet unter iq.lycos.de einen neuen Dienst an, bei dem man anderen Internetnutzern Fragen stellen kann. Die Antworten kommen oft prompt, sind kostenlos und liefern den passenden Internetlink gleich mit. Bei web.de muss man die gefundenen Seiten noch nicht mal anklicken, um sie zu sehen. Dort gibt es eine Vorschaufunktion, mit der man eine Seite im "Guckloch" schon einmal anschauen kann. Speziell auf deutsche Internetseiten konzentriert sich die kürzlich neu gestartete Suchmaschine Fireball, die gleichzeitig aktuelle Schlagzeilen zum Suchbegriff findet.Wer schnell einen Überblick über ein bestimmtes Thema braucht, ist bei Wikipedia an der richtigen Adresse (wikipedia.de). In dem Online-Lexikon finden sich nicht nur Informationen, sondern zumeist auch aktuelle Internetlinks.
Was Google sonst noch kann
Jenseits der Suche: Längst ist Google mehr als eine Suchmaschine. Die Firma ist Mail-Dienstleister, Kleinanzeigen-Portal und Software-Konzern "Es ist das Beste, eine Sache wirklich, wirklich gut zu machen." So lautet das zweite der "Zehn Gebote" von Google, die sich das Unternehmen vor ein paar Jahren selbst verordnet hat. Gemeint war die Internetsuche, von allem anderen wollte man die Finger lassen. Inzwischen hat Google seine Strategie total geändert:
Kaum eine Woche vergeht, in der nicht eine neue Geschäftsidee unter dem Google- Logo verkündet oder ein neuer Dienst gestartet wird. So wie zuletzt Google Trends. Unter google.com/trends kann man beobachten, wie oft nach Begriffen gesucht wird. Wer "Gerhard Schröder" eingibt, sieht auf einem Diagramm, wie die Zahl der Suchen nach dem Ex-Kanzler seit Herbst stark zurückgegangen ist. Das funktioniert auch nach Regionen sortiert:
So kann man sehen, in welchen Ländern am häufigsten etwa nach "Sex" gesucht wird (Ergebnis: 1. Pakistan, 2. Ägypten, 3.Vietnam, 4. Iran). Schon länger gibt es die Möglichkeit, sich mit Hilfe von Google eine personalisierte Startseite zu bauen (google.de/ig). Google News (google.de/news) ist eine Art Web- Tageszeitung mit aktuellen Meldungen.Auf Wunsch verschickt Google Neuigkeiten auch als "News Alert" per E-Mail (google.de/alerts).
Googles Froogle und mehr
Speziell für Produkte und deren Preise hat Google eine eigene Suchmaschine eingerichtet: Froogle (froogle.de).
Google Mobile (google.de/mobile) ist eine Spezialversion für Handys und PDAs.Wer ein Internettagebuch führen möchte, kann den Google-Service Blogger (blogger.com) nutzen. Offiziell noch nicht freigegeben, aber schon nutzbar ist Google Books (google.de/books), zum Schmökern im Inhalt von gedruckten Büchern. Ebenfalls im Erprobungsstadium befindet sich der kostenlose Webmail-Service Google Mail (google. de/mail), der sich durch besonders viel Speicherplatz und eine ungewöhnliche, aber überaus praktische Benutzeroberfläche auszeichnet.
Vieles, was Google ausprobiert und plant, ist in Deutschland nur eingeschränkt oder noch gar nicht verfügbar. Zum Beispiel der brandneue Online-Terminkalender google. com/calendar. Bei Google Video werden Filme teils verkauft, teils kostenlos angeboten.
Kleinanzeigen aufgeben kann man in den USA bei Google Base (base.google.com). Erprobt wird auch ein Taxi-Service, bei dem man sich den Standort des nächsten Taxis in Echtzeit auf einer Straßenkarte anschauen kann (labs.google.com/ridefinder).Auch als Software- Produzent versucht sich Google inzwischen, zum Beispiel mit Google Earth (Bild oben), dem Programm, mit dem sich virtuelle Satellitenbild-Rundreisen auf der gesamten Erdkugel unternehmen lassen (earth.google. com). Desktop Search ist ein Programm, mit dem man die eigene Festplatte durchsuchen kann (desktop.google.de). Praktisch und nützlich ist die Foto-Software Picasa (picasa. google.de) zum Ordnen, Betrachten und Nachbearbeiten von Digitalfotos (Bild unten).
Mit Google Talk (talk.google.com) kann man chatten und übers Netz telefonieren.
Sämtliche Google-Software ist kostenlos.