Um kaum ein Ereignis der jüngeren Zeitgeschichte ranken sich so viele Mythen, wie um die Anschläge vom 11. September 2001: Als al-Kaida-Terroristen mehrere Passagiermaschinen kaperten und ins World Trade Center und ins Pentagon steuerten. Mehr als 3000 Menschen verloren an diesem Tag ihr Leben. Seit Jahren steht der Vorwurf im Raum, dass Geld aus Saudi-Arabien an die Attentäter geflossen seien soll - und nun erhält diese Anschuldigung neuen Schub.
Der Vorwurf basiert auf einem mehrere hundert Seiten langen Bericht einer Untersuchungskommission, die die Ereignisse des 11. September im Detail aufarbeitet. Hinterfragt wird nun der offizielle Schluss des Reports: "Wir haben keine Beweise dafür gefunden, dass die saudische Regierung als Institution oder einzelne, hochrangige saudische Beamte die Organisation finanziert haben." Denn nicht alle Teile des Berichts sind einsehbar. Das Kapitel über "ausländische Unterstützung einiger Attentäter" wurde vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush zum Staatsgeheimnis erklärt.
Und es ist genau dieses Kapitel, das sich nun zur Staatsaffäre entwickeln könnte, denn die Rufe nach einer Veröffentlichung der geheimen Passage werden immer lauter. Noch im Juni soll nun entschieden werden, ob es zu einer vollständigen oder teilweisen Veröffentlichung der 28 Seiten kommen wird. Die Entscheidung könnte weitreichende Folgen haben.
Offiziell hat Saudi-Arabien nichts mit 9/11 zu tun
Möglicherweise sollte durch die jahrelange Geheimhaltung ein Zerwürfnis zwischen den USA und Saudi-Arabien verhindert werden. Schon 2011 hatten die britischen Journalisten Anthony Summers und Robbyn Swan in ihrem Pulitzer-Preis-nominierten Buch "The Eleventh Day" Anschuldigungen erhoben, wonach das saudische Königshaus viele der 19 Terroristen vom 11. September - von denen 15 saudische Staatsbürger waren - finanziell unterstützt habe.
Kurz nach den Anschlägen hatte George W. Bush gesagt: "Jede Nation, die den Terroristen Unterschlupf gewährt oder sie unterstützt wird von uns als feindliches Regime betrachtet." Die Kriege in Afghanistan und im Irak folgten dieser Rhetorik. Woher die Attentäter ihre finanziellen Mittel erhielten, ist bis heute umstritten. Der ehemalige demokratische US-Senator Bob Graham, der nun dem ARD-Magazin "Monitor" in New York ein Interview gab, erhebt schon länger schwere Vorwürfe gegen Saudi-Arabien. Graham, der damals die -Untersuchungskommission zur Aufarbeitung der Geschehnisse leitete und auch Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des US-Senats war, sagte in der Sendung: "Ja, die Geschichte vom 11. September muss neu geschrieben werden, weil es eine Unterstützergruppe gab, die die Anschläge erst möglich gemacht hat." Laut "Monitor" sei Graham eine der wenigen Personen, die wissen, was in den geheimen 28 Seiten des Untersuchungsberichtes stehe. Auf konkrete Inhalte dürfe er aber nicht eingehen, sonst mache er sich strafbar.
"Die Erkenntnisse zeigen eindeutig auf Saudi-Arabien"
"Es geht vor allem um die Frage, wer die Attentäter vom 11. September finanziert hat. Und die Erkenntnisse zeigen eindeutig auf Saudi-Arabien", so der Ex-Senator. Sowohl die saudische Regierung als auch Wohltätigkeitsorganisationen und Privatpersonen seien in dem Dokument aufgeführt. Von saudischer Seite habe es eine systematische Unterstützung für die Attentäter gegeben.
Graham fordert die Veröffentlichung der geheimen Dokumente. Und er ist nicht allein. Laut "Monitor" fordern mehr als 50 aktive und ehemalige Abgeordnete und Senatoren ein Ende der Geheimhaltung des Berichts. Mehr und mehr ehemalige Kommissionsmitglieder, die Einblick in die Informationen hatten, schließen sich der Forderung an.
Rüstungsgeschäfte von 100 Milliarden US-Dollar
"Es gab Diplomaten, sowohl im Konsulat in Los Angeles, als auch an der Botschaft in Washington und weitere saudische Staatsbürger, die auf die eine oder andere Weise an der Finanzierung der Attentäter vom 11. September beteiligt waren", sagte Graham. Auch die Obama-Regierung weigert sich bislang, die geheimen Dokumente zu veröffentlichen. Graham äußerte den Verdacht, dass es darum gehe, "die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien nicht zu beschädigen."
Sollten die Aussagen von Graham zutreffen, stünde die US-Regierung vor einem Dilemma. Denn seit vielen Jahren gibt es sehr enge Beziehungen zu Saudi-Arabien. Schon seit Jahrzehnten beziehen die Vereinigten Staaten Öl, das das wirtschaftliche Schwergewicht USA am Laufen hält. Wie "Monitor" weiter berichtet, unterhalten die USA zudem mehrere wichtige Militärbasen in der Region, seit 2010 hätten die USA und Saudi-Arabien zudem Rüstungsgeschäfte in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar abgeschlossen. Zweifelsfrei ein Argument dafür, dass eine diplomatische Eiszeit mit Saudi-Arabien die USA sehr viel Geld kosten würde.
Unlängst hatte auch Rudi Giuliani, zum Zeitpunkt der Anschläge Bürgermeister von New York, die Veröffentlichungen der Dokumente gefordert - und spricht von einem Bestechungsversuch durch einen saudischen Prinzen nach den Terrorangriffen. Dieser habe ihm damals einen Scheck in Höhe von zehn Millionen Dollar angeboten, den Guiliani jedoch ablehnte. In einem Interview mit dem US-Sender "Fox News" sagte der Ex-Bürgermeister: "Sein Geld konnte er behalten und in der Hölle verbrennen. Die amerikanischen Bürger müssen im Detail erfahren, was die Rolle der saudischen Regierung bei den Anschlägen war: Wir haben ein Recht darauf zu erfahren, wer unsere geliebten Mitmenschen - und beinahe uns alle - umgebracht hat."
Saudis finanzieren angeblich neue Terror-Generation
Der US-Senat hat unlängst ein Gesetz auf den Weg gebracht, wonach ausländische Staaten wegen Terrorunterstützung verklagt werden können. Milliardenforderungen könnten die Folge sein. Auch dies ist möglicherweise ein Grund, warum die geheim gehaltenen Dokumente nun wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Ein Anwalt, der eine Vielzahl der Hinterbliebenen der Anschläge vertritt, sagte "Monitor": "Natürlich sollte Saudi-Arabien nicht ungestraft davonkommen dafür, dass es al Kaida geholfen hat, 3000 Amerikaner zu ermorden."
Saudi-Arabien wird immer wieder vorgeworfen, weltweit seine radikale Interpretation des Islam zu verbreiten - und das mit großem finanziellen Aufwand. Durch diese Mittel werde jetzt "die nächste Generation an Terroristen ausgebildet", so Graham in "Monitor".