Diskussion um Militär-Interventionen in Libyen Weshalb der Westen zaudert

In Libyen tobt ein blutiger Bürgerkrieg. Und die westlichen Staaten? Zögern. Und zwar zu Recht. Denn ein militärisches Eingreifen birgt erhebliche Risiken - und der Nutzen ist ungewiss.

Es ist eine schwierige Frage: In Libyen hat sich ein blutiger Bruderkampf entzündet, der sich blitzschnell zu einem regelrechten Bürgerkrieg entwickeln kann. Muammar al Gaddafi, der wankende Staatschef, will sein Land lieber brennen, seine Bürger lieber sterben sehen, als von der Macht zu lassen. Deshalb schreckt er in seiner Brutalität vor nichts zurück, auch nicht vor dem Einsatz von Kampfflugzeugen und Helikoptern gegen seine eigenen Bürger. Erst am Dienstagmorgen wurde von arabischen TV-Sendern wieder gemeldet, dass Flugzeuge des Regimes Angriffe gegen die ostlibysche Stadt Ras Lanuf fliegen.

Was also tun? Der Westen steckt in einem Libyen-Dilemma. Sollen USA und Europäer militärisch eingreifen, sich einmischen, um den Regime-Gegnern zu helfen, um weiteres Blutvergießen zu erschweren? Sollen sie eingreifen, aus humanitären Gründen, aber auch aus ideologischen, um die Befreiung des Volkes aus der eisernen Umarmung eines despotischen Herrschers voranzutreiben? Oder ist genau das der falsche Weg? Können die Aufständischen in Libyen nichts weniger gebrauchen als einen vermeintlichen westlichen Freund, der in den vergangenen Jahrzehnten mitunter glänzend mit Gaddafi zusammengearbeitet hat? Wäre das gar eine unerträgliche Heuchelei, die das Regime sogar propagandistisch nutzen könnte, um gegen die Aufständischen zu mobilisieren? Würde eine militärische Intervention dem Geist der arabischen Revolutionen widersprechen, die sich ja gerade dadurch auszeichnen, dass sie ohne wohlwollende Bevormundung aus den westlichen Hauptstädten auskommen?

Diskussion über Flugverbot im Zentrum

Es ist genau dieses Spannungsfeld, in dem sich die westlichen Regierungen auf der Suche nach einer Antwort derzeit bewegen. Klar ist dabei nur: Je mehr Todesopfer es in Libyen gibt, je brutaler Gaddafi um sein Überleben ringt, umso schneller wird der Handlungsdruck auf den Westen steigen. Wie hält der Westen es also mit der militärischen Intervention? Denkbar sind mehrere Varianten: Die USA und die Europäer könnten eine Flugverbotszone über dem libyschen Luftraum durchsetzen. Das hätte den Vorteil, dass Kampfjets des Gaddafi-Regimes die Bevölkerung nicht mehr bombardieren könnten. Helikopter könnten das Flugverbot aber nach Einschätzung einiger Experten dennoch umgehen, sodass den Regime-Gegnern auch weiter Gefahr aus der Luft drohen könnte. Einer der Führer der Opposition in Libyen, Mustafa Abdel Dschalil, der Vorsitzende des von den Rebellen gegründeten Nationalrats, sagte stern.de am Montag, er befürworte die Einrichtung einer solchen Flugverbotszone.

In den USA ist die Haltung der Regierung von US-Präsident Barack Obama im Hinblick auf das Flugverbot nicht eindeutig. Zwar hat Obama klar gesagt, dass Gaddafi nicht an der Macht bleiben könne. Aber was daraus konkret folgt, ist offen. Die Option ist in den USA heiß umstritten. Obamas Verteidigungsminister Robert Gates etwa mahnte in der vergangenen Woche mit drastischen Worten zu Vorsicht. Die Einrichtung einer Flugverbotszone würde nach seiner Auffassung voraussetzen, dass die Radaranlagen Gaddafis zerstört werden müssten. Das käme, so Gates sinngemäß, einem Angriff auf das Regime gleich. Damit wären die USA an einem Libyen-Krieg beteiligt. Der US-Verteidigungsminister fürchtet zudem, nach den Kriegen im Irak und in Afghanistan, die Verstrickung seiner Streitkräfte in einen weiteren Krieg - und die Überlastung der US-Kapazitäten.

Mächtige US-Senatoren dringen auf ein Eingreifen

Dem gegenüber stehen mächtige Senatoren beider US-Parteien, die auf ein Eingreifen Washingtons in Libyen dringen: der Republikaner John McCain, der Unabhängige Joseph Lieberman, vor allem aber der Demokrat John Kerry, dessen Wort in der Obama-Regierung großes Gewicht hat. Kerry warnt laut "New York Times" davor, dass ein Zögern aus humanitären Gründen nicht hinnehmbar sei. Damit wiederhole man Fehler der Vergangenheit: Auch im kurdischen Teil Iraks, in Ruanda und in Bosnien-Herzegowina habe man dem Abschlachten von Menschen zu lange zugesehen. Lieberman sagte laut "New York Times", dass die Durchsetzung der Flugverbotszone kaum ein Versuch der USA wäre, der muslimischen Welt ihren Willen aufzudrücken.

Ohnehin ist unwahrscheinlich, dass sich die USA alleine, also unilateral, zu der Durchsetzung einer Flugverbotszone entschließen würden. Als Voraussetzung gilt eine Beteiligung der Nato. Der Generalsekretär des westlichen Militärbündnisses, der Däne Anders Fogh Rasmussen, sagte zwar, man rüste sich "für alle Eventualitäten". Aber es gibt auch innerhalb des Bündnisses, etwa mit der Türkei, Skeptiker gegenüber der Errichtung einer Flugverbotszone. Zudem beharrt Rasmussen auf einem Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Im Sicherheitsrat sitzen fünf ständige Mitglieder - die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien - und zehn nichtständige Mitglieder, darunter auch Deutschland. Keines der ständigen Mitglieder darf bei einer Abstimmung gegen eine Resolution sein. Franzosen und Briten arbeiten laut Diplomatenangaben hinter den Kulissen offenbar an einer Beschlussvorlage für das Uno-Gremiums.

Die Briten haben immerhin Erfahrung: 1991 kontrollierten sie gemeinsam mit den USA die Flugverbotszonen im Irak. Russland hat aber bereits signalisiert, dass es gegen eine Militärintervention in Libyen ist. Auch eine Zustimmung Chinas gilt als eher unwahrscheinlich. "Technisch wäre es möglich, viele der Flüge der Gaddafi-Armee zu verhindern. Aber es ist höchst fraglich, ob die USA dafür die politische Unterstützung von Ländern wie Russland oder China bekommen könnten", sagte Peter Wezemann, Forscher am Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri, der "Frankfurter Rundschau".

Dagegen hat sich der Golfkooperationsrat, dem auch selbst krisengeschüttelte Länder wie Bahrain und Oman angehören, für die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen ausgesprochen. Die Organisation appellierte an den UN-Sicherheitsrat, alle für den Schutz von Zivilisten in Libyen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

Verhandlungen in New York und Brüssel

Eine weitere Möglichkeit des Eingreifens wären Waffenlieferungen des Westens an die Aufständischen, die aber mindestens ebenso umstritten wären wie ein Flugverbot und dazu auch völkerrechtliche Probleme mit sich brächten. Die US-Regierung hat entsprechenden Forderungen jedenfalls vorerst eine Absage erteilt. Dafür sei es "zu früh", sagte Obamas Sprecher Jay Carney am Montag. Es wäre "verfrüht, einen Haufen Waffen an ein Postfach im Osten Libyens zu schicken." Außenamtssprecher Philip Crowley sagte, Waffenlieferungen wären für die USA wegen des von der Uno in der vergangenen Woche gegen Libyen verhängten Embargos illegal. Aber, wie gesagt, derzeit halten sich die USA alle Optionen offen, selbst den Einsatz von Bodentruppen schließen sie nicht aus. Und so wird sich erst im Laufe dieser Woche herauskristallisieren, wie der Westen mit seinem Libyen-Dilemma konkret umgeht. Die interne Verhandlungsdiplomatie ist in vollem Gange. Am Donnerstag sprechen die Verteidigungsminister der 28 Nato-Staaten in Brüssel vor allem über das Flugverbot - auch wenn ungewiss ist, ob es dort auch irgendwelche Entscheidungen geben wird. Wichtig wird sein, ob der Uno-Sicherheitsrat zuvor in New York ein Mandat beschließt. Ebenfalls am Donnerstag reden die 27 EU-Außenminister ebenfalls in Brüssel über Europas Antwort auf die Libyen-Krise. Einen Tag später sollen die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel beschließen, wie die "dramatischen Ereignisse" in Libyen "überwunden" werden sollen - wobei EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy bisher das Wort "überwunden" nicht näher erläutern mochte.

DPA · Reuters
mit AFP/DPA/Reuters