Der Untersuchungsausschuss des Senats zum Sturm auf das Kapitol macht Sommerpause. Das politische Amerika fragt sich derweil, ob Donald Trump für den Angriff auf die US-Demokratie zur Rechenschaft gezogen werden kann. Das Material, das die parlamentarischen Ermittler zusammengetragen haben, ist erdrückend. Entsprechend wächst der Druck auf Justizministerium und Generalstaatsanwaltschaft, Anklage zu erheben. Das ist bei Ex-Präsidenten bisher noch nie geschehen. Doch in diesem Fall liegen die Dinge anders – in erster Linie, weil Trump auch ein künftiger Präsident sein könnte. Außerdem lieferten die Enthüllungen des Ausschusses genug Gründe für Justizminister Merrick Garland, strafrechtliche Schritte gegen den 76-Jährigen einzuleiten, meinen Kritiker:innen.
Drei Ansatzpunkte für eine Anklage kommen Berichten zufolge aktuell in Frage:
- Behinderung eines offiziellen Verfahrens.
- Verschwörung zum Betrug der Vereinigten Staaten (mit dem Ziel, das Ergebnis der Präsidentenwahl 2020 zu kippen).
- Aufrührerische Verschwörung (wie sie bereits Mitgliedern der rechten Gruppierungen Proud Boys und Oath Keepers vorgeworfen wird).
Donald Trump: Zeugen müssen vor Grand Jury aussagen
Laut einem Bericht der "Washington Post" haben die Bemühungen, Trump auf einem dieser drei Wege für die Ereignisse am 6. Januar zur Rechenschaft zu ziehen, deutlich Fahrt aufgenommen – dank der Erkenntnisse aus den Hearings. So hätten Staatsanwälte Zeugen vor einer Grand Jury stundenlang detaillierte Fragen zu Treffen gestellt, die Trump im Dezember 2020 und Januar 2021 geleitet hatte. Eine Grand Jury wird immer dann eingeschaltet, wenn es gilt, Beweise in möglichen Verbrechensfällen zu prüfen und zu entscheiden, ob Anklage erhoben werden soll oder nicht. Man sei bisher davon ausgegangen, dass sich diese Untersuchungen vor allem auf Trump-Verbündete wie Rudy Giuliani bezögen, hieß es. Aber das Interesse der Staatsanwälte an Trumps Handlungen sei offenkundig größer als bisher gedacht.
So gehe es in den Ermittlungen nun darum zu belegen, in welchem Umfang Trump direkt daran beteiligt war, seinen damaligen Vizepräsidenten Mike Pence dazu zu drängen, das Wahlergebnis während des Termins am 6. Januar 2021 im Kapitol nicht zu verifizieren. Und es soll derzeit um die Frage gehen, ob der Ex-Präsident direkt daran beteiligt war, dem Kongress nach der verlorenen Wahl "falsche Wähler" in sechs Battleground-Staaten mit knappem Ausgang sowie in New Mexico unterzujubeln, um Zweifel am Wahlsieg Joe Bidens zu nähren. E-Mails und Geständnisse belegen laut einem Bericht der "New York Times" (NYT), dass führende Köpfe der Trump-Wahlkampfmannschaft von 2020 wie Rudy Giuliani, John Eastman und einige Anwälte daran beteiligt gewesen sein sollen. Und dass sie diese Fälschungen Vize-Präsident Pence an die Hand geben wollten, um den nötigen Vorwand zu liefern, die Verifizierung der Wahl abzulehnen oder zu verschieben.
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Nur "gefälschte Wahlstimmen": E-Mails belegen Verschwörung
Dass es diese Verschwörung rund um gefälschte Wählerstimmen in der Trump-Mannschaft gab, belegen die nun veröffentlichten E-Mails recht eindeutig. Ziel sei es demnach gewesen, einen falschen Konflikt zwischen konkurrierenden Wahllisten in den Staaten mit knappem Wahlausgang zu erzeugen. Eine E-Mail eines Anwaltes aus Arizona namens Jack Wilenchik, der laut NYT in die Sache verstrickt war, enthalten Formulierungen wie "gefälschte Wahlstimmen" oder "gefälschte" Stimmen. Die besagte Nachricht ging im Dezember 2020 dem Bericht zufolge an Boris Epshteyn, damals strategischer Berater der Trump-Kampagne 2020.
"Wir würden Pence nur 'gefälschte' Wahlstimmen schicken, damit 'jemand' im Kongress Einspruch erheben kann, wenn sie mit der Auszählung der Stimmen beginnen, und anfangen kann zu argumentieren, dass die 'gefälschten' Stimmen gezählt werden sollten", zitiert die "New York Times" eine der E-Mails. Später soll sich Wilenchik in einer weiteren Nachricht darum bemüht haben, das Ganze nicht ganz so offensichtlich zu beschreiben. "Alternative" Abstimmung sei wohl ein besserer Begriff als "gefälschte" Abstimmung, soll es darin heißen – garniert wurde die Äußerung mit einem Emoji, das für Juristen das Unrechtsbewusstsein Wilenchicks zusätzlich dokumentiert.
"Das Land hat so viele Beweise für kriminelle Absichten gesehen"
"Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die Aktivitäten des Justizministeriums nach den Anhörungen entweder auf den ehemaligen Präsidenten abzielen oder das Verhalten des Ex-Präsidenten umfassen", urteilt Jeff Robbins, früherer Bundesstaatsanwalt und Untersuchungsberater des Kongresses laut dem Polit-Portal "The Hill". Die jüngsten Enthüllungen hätten die Ermittlungen wohl auch deshalb befeuert, weil davon auszugehen sei, dass die nun öffentlich gewordenen E-Mails der Justiz schon bekannt waren.
Doch reicht das alles wirklich aus, um Donald Trump tatsächlich vor Gericht zu bringen? Das bleibt nach Einschätzung von Experten weiter fraglich. Bekanntlich scheiterte das Impeachment-Verfahren zum 6. Januar, mit dem Trump wegen Anstiftung zum Aufruhr noch nach seiner Abwahl Anfang 2021 des Amtes enthoben werden sollte. Auch deshalb dürfte Chefankläger Garland eher zurückhaltend agieren, auch was den Austausch mit dem Untersuchungsausschuss angeht. Er werde sicherstellen wollen, dass es nicht nur zu einer Anklage komme, sondern auch eine Verurteilung nahezu sicher sei, glaubt Ex-Bundesanwältin Danya Perry. Überaus eindeutige Beweise wie die E-Mails, in der die Fälschung von Wählerstimmen unmissverständlich beschrieben werde, könnten dabei besonders hilfreich sein. Denn einen so klaren Beleg könne jede Geschworenenjury nachvollziehen, so Perry.
"Ich glaube nicht, dass die Umstände die gleichen sind wie vor einigen Monaten", glaubt Ex-Bundesstaatsanwalt Robbins, dass eine Anklage wahrscheinlicher geworden ist, "weil das ganze Land so viele Beweise für kriminelle Absichten gesehen hat." Nach Ansicht vieler politischer Beobachter in Washington könnte Trump sogar so dicht davor stehen, sich vor Gericht verantworten zu müssen, wie selten zuvor.
Quellen: "Washington Post". "New York Times", "Slate", "The Hill", Nachrichtenagentur DPA