Es heißt, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist einer der Anführer der freien Welt. Ein Verfechter der Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit. Der sich all jenen in den Weg stellt, die diese Werte mit Füßen treten. "Kim Jong Un, der offensichtlich ein Verrückter ist und dem es nichts ausmacht, seine eigenen Leute verhungern zu lassen, wird geprüft wie niemals zuvor!", brodelte es einst dem vermeintlichen Wortführer dieser Werte heraus. Und das ist nur eine von vielen (und noch viel lauteren) Warnschüssen, die Donald Trump an Kim Jong Un abgegeben hat.
Aber das ist auch schon einige Wochen und Monate her.
Mittlerweile ist Kim Jong Un in den Augen des US-Präsidenten offenbar ein feiner Kerl. Oder wie er sagt: "Ein sehr ehrenwerter, sehr smarter Verhandler." Kim habe eine "große Persönlichkeit", sei "sehr schlau" und "sehr talentiert" - um nur einige Superlative zu nennen, mit denen Trump den nordkoreanischen Diktator bei ihrem gemeinsamen Gipfeltreffen in Singapur belegt hat. "Ich habe auch gelernt, dass er sein Land sehr liebt." Man ist geneigt zu fragen: Wie kommt Trump darauf?
Kim Jong Un, Architekt eines Angstregimes
Kim Jong Un ist immer noch der Anführer eines Angstregimes, das Deserteure nicht selten mit dem Tod bestraft. Hinrichtungen, Straflager, Abschottung - Nordkorea bleibt wohl vorerst die schlimmste Diktatur der Welt. Und Kim Jong Un bleibt einer ihrer Architekten.
Vor weniger als zwei Wochen veröffentlichte das US-Außenministerium einen Bericht, nach dem das kommunistische Regime zwischen 80.000 und 120.000 politische Gefangene in "entsetzlichen" Lagern festhalten soll. Ehemalige Häftlinge berichten aus den Straflagern - eine Art staatliche Folterkammer, die Nordkorea entweder bestreitet oder als "Erziehungsanstalten für staatsfeindliche Verbrechen" verharmlost - von Folter, Versklavung und Tod.
Aber Donald Trump habe gelernt, "dass er (Kim Jong Un) sein Land sehr liebt."
Donald Trump: "Er will die richtigen Dinge machen"
Auf dem Gipfel seien auch Menschenrechtsfragen behandelt worden, versicherte Trump. "Das ist angesprochen worden, und es wird in Zukunft angesprochen werden." Allerdings im Vergleich zur atomaren Abrüstung nur "verhältnismäßig kurz". Zugleich äußerte er sich überzeugt, dass Nordkoreas Machthaber bereit sei, die Lage in seinem Heimatland zu verbessern. "Die werden was machen", sagte Trump. "Ich glaube, er will was machen. Er will die richtigen Dinge machen."
In der Vergangenheit hat Kim Jong Un vor allem eines gemacht: An seiner Macht festgehalten, mit grausamen Mitteln. Sein Onkel soll hingerichtet worden sein, seine Tante vergiftet. Das kommunistische Regime hat seine Bevölkerung weitestgehend von der Außenwelt abgeschottet. Öffentliche Hinrichtungen und Desinformationen (und nicht zuletzt die Straflager) sollen Angst schüren und die Bildung von Abweichlern vereiteln.
Im Februar 2014 haben Experten der Vereinten Nationen dem nordkoreanischen Diktator persönliche Verantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. "Die Schwere, das enorme Ausmaß und die Art und Weise der in diesem Staat begangenen Verbrechen sind in der heutigen Welt beispiellos", erklärte die Untersuchungskommission. Nordkorea sei eindeutig ein "totalitärer Staat", in dem systematisch Menschen ermordet, versklavt, gefoltert, sexuell missbraucht und dem Hunger ausgesetzt werden.
Aber Kim Jong Un will, laut Trump, "die richtigen Dinge machen."
Daumen hoch für einen Diktator
Für den nordkoreanischen Machthaber ist das Gipfeltreffen mit Donald Trump - fast unerheblich, ob die Verhandlungen auch konkrete Ergebnisse liefern werden - daher in jeder Hinsicht ein Erfolg. Beinahe ebenbürtig und auf Augenhöhe hat Kim Jong Un am Verhandlungstisch mit dem US-Präsidenten Platz genommen. Nicht zuletzt, weil Trump bei der Eskalationsrhetorik des Diktators mitgespielt hat. Viele Nordkoreaner könnten den Kurs ihres Anführers als legitimiert ansehen, ihn für seine Gräueltaten auch noch feiern.

Natürlich: Der Dialog mit Nordkorea ist wichtig und richtig, das Gipfeltreffen ist und bleibt ein historischer Moment. Doch Trumps Loblieder auf Kim Jong Un, und damit indirekt auf sein Angstregime, haben einen bitteren Beigeschmack. Und so bleibt neben dem Handschlag für die Historie auch ein Daumen hoch für einen Diktator in Erinnerung.
