Sein letzter Artikel wurde am 28. März veröffentlicht. Nur einen Tag später, kurz vor 16 Uhr, bekam ein Kollege des renommierten "Wall Street Journal" die vorerst letzte Nachricht von Evan Gershkovich: "Danke, Mann! Ich sag Bescheid, wie's gelaufen ist." Der Kollege hatte ihm viel Glück bei seiner Recherche in Jekaterinburg gewünscht. Kurz darauf wurde Gershkovich von russischen Agenten festgenommen. Der Vorwurf: Spionage. Die letzten Bilder zeigen den US-amerikanischen Reporter in Moskau mit einer ockerfarbenen Jacke und der Kapuze über dem Kopf, Beamte führen ihn in einen schwarzen Transporter mit Blaulicht. Am Freitag wurde Gershkovich nun offiziell angeklagt.
Es ist das erste Mal seit dem Kalten Krieg, dass ein US-Korrespondent in Russland verhaftet und angeklagt wird. Laut dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB wurde der 31-Jährige Ende März in Jekaterinburg festgenommen, rund 1800 Kilometer weg von der Hauptstadt Moskau. Gershkovich habe versucht, geheime Informationen zu beschaffen, er sei auf "frischer Tat ertappt" worden, behauptete Kremlsprecher Dmitri Peskow. Eine Verurteilung würde mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft. Der Reporter, seine zuständige Zeitung und auch die US-Regierung weisen die Vorwürfe vehement zurück.
Für Spionage drohen in Russland bis zu 20 Jahre Haft
Das WSJ forderte "die sofortige Freilassung unseres vertrauenswürdigen und engagierten Reporters", ebenso wie US-Präsident Joe Biden, der die Vorwürfe "lächerlich" nannte. Washington wirft der russischen Regierung schon länger vor, willkürlich Bürgerinnen und Bürger der USA festzunehmen, um russische Gefangene austauschen zu können.
Ein bekannter Fall war zuletzt die Basketballerin Brittney Griner, die zehn Monate lang in russischer Haft saß. Festgenommen wurde sie im Februar 2022 an einem Flughafen in Moskau, weil sie Cannabisöl bei sich getragen hatte. Später wurde sie wegen illegalen Drogenbesitzes und versuchten Schmuggels zu neun Jahren Haft verurteilt. Im Dezember tauschte die Biden-Administration Griner gegen den russischen Waffenhändler Viktor But aus, der 2012 in New York zu 25 Jahren verurteilt worden war. But soll Waffen, Munition und sogar Kampfhubschrauber in Konfliktgebiete wie den Kongo, Ruanda oder Angola geschmuggelt haben.
Griner spielt mittlerweile wieder Basketball. Sie dürfte wissen, wie der US-Reporter sich fühlt. Auf Instagram forderte sie die Biden-Regierung auf, Gershkovich ebenfalls zurück in die USA zu holen: "Wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, um ihn und alle Amerikaner nach Hause zu bringen."
Evan Gershkovich ist ein offiziell durch das russische Außenministerium akkreditierter Korrespondent. Aufgewachsen ist er in New Jersey bei New York City. Seine Eltern waren selbst aus der ehemaligen Sowjetunion geflohen, er hatte eine Affinität für das Land und die Sprache, so das WSJ. Seit fünfeinhalb Jahren berichtet er nun für die bekannte Tageszeitung aus Russland und der Ukraine.
Die Verhaftung des Journalisten verschlechtert die sowieso schon angespannte Beziehung zwischen Russland und den Vereinigten Staaten. Unmittelbar nach der Verhaftung hatte das Weiße Haus den russischen Botschafter in Washington einbestellt. Die Anklage von Freitag sorgt nun selbst bei den zerstrittenen Parteien für selten gewordene Eintracht. Demokrat Chuck Schumer und Republikaner Mitch McConnell forderten eine sofortige Freilassung, die Vorwürfe seien "unbegründet, fabriziert". Dies sei ein neuer Versuch "der russischen Regierung, unabhängige Journalisten und Stimmen der Zivilgesellschaft einzuschüchtern, zu unterdrücken und zu bestrafen".
Von der Motte zu Putin, dem Ewigen – der blutige Weg des Kreml-Herrn in Bildern

US-Senat: "Journalismus ist kein Verbrechen"
2022 hatte der Kreml gleich mehrere Gesetze erlassen, die die Berichterstattung für Journalistinnen und Journalisten erheblich erschweren (der stern berichtete). Wer angebliche "Fake News" über die russische Armee oder andere Staatsorgane verbreitet, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft. Mehrere große Medienhäuser wie die britische BBC oder Bloomberg unterbrachen daraufhin zeitweise ihre Berichterstattung aus dem Land.
Noch im Juli 2022 twitterte Evan Gershkovich über einen russischen Oppositionellen: "Über Russland zu berichten heißt inzwischen auch, regelmäßig zu beobachten, wie Menschen, die man kennt, für Jahre weggesperrt werden." Nun sitzt er selbst in Haft. Derweil hat das WSJ hat alle seine Artikel ohne Bezahlschranke zugänglich gemacht, damit alle sie lesen können.
Quellen: "Wall Street Journal", Twitter Evan Gershkovich, Instagram Brittney Griner, "Axios", ZDF, Mit Informationen der Nachrichtenagenturen