Einst prahlte Donald Trump lauthals, er werde Putin schon in die Schranken weisen. "Russland wird vor unserem Land viel mehr Respekt haben, wenn ich es führe", sagte er kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten. Nun wird sich zeigen, ob er den Mund nicht zu voll genommen hat. Am kommenden Freitag soll es beim G20-Gipfel in Hamburg zum großen Showdown kommen: Zum ersten Mal werden sich dann Putin und Trump in die Augen sehen.
In dieser Begegnung wittert der Kreml eine günstige Gelegenheit, die Machtverhältnisse in der Welt zu seinen Gunsten zu verschieben. Es sind nicht etwa konkrete realpolitische Ergebnisse, die Moskau sich von dem Treffen verspricht. Es ist das persönliche Tête-à-Tête, auf das Putin setzt.
"Dies ist das erste Treffen, das erste Kennenlernen der beiden Präsidenten. Und es ist das Wichtigste bei diesem Gipfel", ließ Putins Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch verlautbaren. Geplant sei ein vollwertiges, separates Gespräch.
"Es hängt viel von der Chemie ab"
Dass dabei greifbare Resultate zu erwarten sind, hält der politische Analyst und Journalist Fjodor Lukjanow für unmöglich. "Die amerikanische Administration ist an Händen und Füßen gebunden. Washington befindet sich mitten im Machtkampf und das russische Thema ist dabei die Hauptwaffe", schrieb er in einem Beitrag in der russischen Zeitung "Rossiskaja Gaseta", dem offiziellen Verlautbarungsmedium der russischen Regierung.
Aber Putin könne das Treffen dazu nutzen, um Trump auf den Zahn zu fühlen und seine Person einzuschätzen. Zur Zeit sei der Kreml "perplex" und wisse nicht, was von Trump zu erwarten ist, sagte Lukjanow während einer TV-Debatte im russischen Fernsehen. Man könne weder seine Prioritäten noch seine Kooperationsfähigkeit mit dem US-Kongress einschätzen.
"Ich denke, Herr Putin wird versuchen, eine persönliche Beziehung zu Herr Trump aufzubauen", schätzt auch Kadri Liik vom Europäischen Rat für Auswärtige Angelegenheiten. "Und die kann überall hinführen. Es kann plötzlich ein großes Treffen zweier Köpfe werden. Es hängt viel von der Chemie ab", führte sie in einem Interview mit dem "Weltspiegel" aus.
"Putin weiß, wie er Menschen manipulieren kann"
Nach Informationen europäischer Geheimdienste soll sich Putin sicher sein, seinen Amtskollegen austricksen zu können, berichtet das US-Magazin "The Daily Beast" unter Berufung auf EU-Offizielle. Tatsächlich spricht einiges dafür, dass diese Überzeugung stimmen könnte.
Der ehemalige KGB-Agent ist ein Vollblutpolitiker: manipulativ, gerissen, beherrscht und geruhsam. Er ist ein Meister der politischen Bühne. "Putin ist bei diesen ersten Treffen wirklich sehr gut", sagt Thomas Wright von der Brookings Institution, einer politischer Think-Tank-Organisation aus Washington, in einem Gespräch mit "The Daily Beast". "Er hat eine Agenda und weiß, wie er Menschen manipulieren kann."
Ein Blick in die Vergangenheit gibt Wright Recht. Zum ersten Treffen mit Angela Merkel brachte Putin seinen Labrador mit, wissend, dass die Kanzlerin eine ausgeprägte Angst vor Hunden hat. Beim ersten Treffen mit Nicholas Sarkozy drohte er öffentlich, den damaligen französischen Staatsoberhaupt in Stücke zu zerreißen. Und beim ersten Treffen mit George W. Bush trumpfte er mit einer rührenden Geschichte auf: Dem US-Präsidenten erzählte Putin von einem Kruzifix, das seine Mutter einst in Jerusalem habe segnen lassen und welches später wie durch ein Wunder das einzige war, was ein Feuer in Putins Datscha überlebt hat. Der gläubige Bush behauptete daraufhin, in die Seele des Kreml-Chefs geschaut zu haben.
Trump soll politische "Leckerbissen" vorbereitet haben
Ob Hunde, Drohungen oder Märchen - Putin kennt also den ein oder anderen Weg, um die Situation unter seine Kontrolle zu bringen. Welchen Weg er beim Treffen mit Trump einschlägt, bleibt abzuwarten. In Washington geht allerdings die Angst um, dass der US-Präsident sich übers Ohr hauen lässt und sich auf einen unbedachten Deal einlässt. Nach Informationen der britischen Zeitung "The Guardian" soll Trump seine Berater angewiesen haben, ihm eine Liste von politischen "Leckerbissen" zusammenzustellen, die er Putin anbieten könnte.
Was er aber von Putin überhaupt haben will, scheint Trump selbst noch nicht zu wissen. Sein Nationaler Sicherheitsberater Herbert McMaster erklärte im Vorfeld, es gebe für das Treffen keinen festen Fahrplan. "Es gibt keine spezifische Agenda. Der Präsident wird über das sprechen, was ihm gefällt", sagte er auf Nachfragen von Reportern hin.
Gefallsucht als Risiko
Genau das könnte sich als fataler Fehler erweisen. "Putin kommt zu solchen Treffen immer gut vorbereitet", sagte Thomas Graham, Geschäftsführer bei der Beratungsfirma Kissinger Associates und ehemaliger Russland-Berater von George W. Bush, in einem Interview mit dem US-Magazin "Politico".
Thomas Wright von der Brookings Institution ist sich sicher: Je länger Trump in einem Raum mit Putin bleibe, desto gefährlicher werde es - vor allem wenn der US-Präsident nicht vorbereitet sei, wie er im Gespräch mit "The Daily Beast" erklärte.
Putin wird nämlich eine Agenda haben. Er wird mit einem Katalog von Forderungen anreisen. Ihm gegenüber wird ein planloser, unerfahrener und impulsgetriebener Trump sitzen, der eine Schwäche für Autokraten hat. So ist es nicht verwunderlich, dass in Washington die Angst umgehen soll, der US-Präsident könnte Putin zu sehr gefallen wollen und ihm unbedachte Zugeständnisse machen.
Leichtsinniger Deal befürchtet
Ein ehemaliger Administrator der Bush-Regierung berichtete gegenüber "Politico", dass Putin Trump zu einem Deal in der Ukraine- oder Syrienpolitik verleiten könnte.
"Putin wird wohl die IS- oder Syrien-Karte ausspielen", vermutet auch der ehemalige Obama-Verteidigungsberater Derek Chollet. "Aber was wird er im Gegenzug fordern? Aufhebung der Sanktionen? Abzug der Truppen aus dem Baltikum?", fragte er besorgt in einer E-Mail an "The Daily Beast".
Auch wenn solch eine Vereinbarung keine zwei Tage Bestand haben würde, so wäre der Schaden angerichtet: Der US-Präsident wäre diskreditiert, die US-Regierung zerstritten.
Russische Diplomaten-Datschas plötzlich wieder Thema
Der Kreml kündigte zwar tatsächlich an, in dem Treffen die Konflikte in Syrien und der Ukraine thematisieren zu wollen. Doch tatsächlich könnte Putin weit weniger globalere Ziele ins Visier nehmen, die er jedoch zu Hause als große Siege verbuchen kann.
Zum einen könnte Putin die Rückgabe der russischen diplomatischen Ferienhäuser in der Nähe von Washington und New York fordern. Diese wurden Ende des letzten Jahres von der US-Regierung beschlagnahmt. Das US-Außenministerium gab damals an, die Beschlagnahme sei eine Vergeltung für Behinderungen, die die US-Vertretung in St. Petersburg erfahren habe. Aus Kreisen der US-Geheimdienste hieß es jedoch, dass die Russen die Gebäude für Spionagezwecke verwendet hätten.
Die Angelegenheit schien schon fast in Vergessenheit zu geraten. Bis der Kreml sie plötzlich in der vergangenen Woche wieder ins Rampenlicht rückte. Russlands Geduld sei nicht unbegrenzt, polterte Kremlberater Juri Uschakow. Sollte das Problem nicht bald behoben werden, würde Moskau Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.
Der Fall des Konstantin Jaroschenko
Der Fall des Konstantin Jaroschenko ist ein anderes Thema, das Moskau wieder auf die Tagesordnung setzen will. Der russische Pilot war 2010 gemeinsam mit sechs weiteren Ausländern auf dem Flughafen von Monrovia in Liberia von der amerikanischen Drogenpolizei verhaftet worden. US-Angaben zufolge hatten sie 4000 Kilogramm Kokain schmuggeln wollen. Jaroschenko wurde in die USA überführt und dort zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Russland warf daraufhin den USA vor, einen russischen Staatsbürger entgegen internationalem Recht festgenommen und dessen Auslieferung erwirkt zu haben. "Gewissermaßen sprechen wir von der Entführung eines russischen Staatsbürgers in einem Drittland", erklärte damals das russische Außenministerium.
Am vergangenen Montag brachte der stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow den Fall wieder ins Gespräch. "Dies ist eins der wichtigsten ungelösten Probleme in unserer Beziehung zu den USA", sagte er in einem Interview mit der russischen Zeitung "Iswestija". Die US-Behörden hätten eine Auslieferung von Jaroschenko in sein Heimatland erneut verweigert.
Anstatt sich den großen geopolitischen Themen zu widmen, könnte Putin sich also im Gespräch mit Trump diese zwei Problemfälle vorknüpfen. Es dürfte ihm nicht besonders schwer fallen, dem unvorbereiteten Trump diese zwei kleine Gefallen abzuringen. Aber bei Trump weiß man ja nie.
