Eigentlich wollte Greg Kehoe nichts mehr zu tun haben mit Kriegsverbrechern. Vier anstrengende Jahre lang hatte der Staatsanwalt aus Florida als Ermittler des Internationalen Jugoslawien-Gerichtshofes in Den Haag gearbeitet, war zurück in seiner Heimatstadt Tampa. Doch dann kam der Anruf aus dem US-Justizministerium, und Greg Kehoe ging in den nächsten Buchladen und kaufte alle Bücher über den Nahen Osten, die er kriegen konnte.
55 Richter und Staatsanwälte
Im Mai 2004 wurde Greg Kehoe, 50, erster Leiter des "Regime Crimes Liaison Office" in Bagdad. Dieses "Verbindungsbüro über Verbrechen des Regimes" soll das "Irakische Sonder-Tribunal" unterstützen, jene insgesamt 39 Richter und 16 Staatsanwälte also, die über das Regime Saddam richten werden. Das Verbindungsbüro ist offiziell unabhängig. Doch es wird vom US-Justizministerium finanziert, und es ist in der US-Botschaft in Bagdads Green Zone untergebracht.
Rund 50 Menschen arbeiten hier, fast nur Amerikaner. Die meisten Staatsanwälte, Ermittler vom FBI und der Drogenfahndung DEA. Dazu 50 Archivare und rund 100 Experten wie Gerichtsmediziner und Anthropologen. Sie sind die Logistiker der Anklage: gemeinsam mit irakischen Ermittlern des Sonder-Tribunals haben sie zwei Millionen Dokumente erfasst, 7000 Zeugen befragt, rund 200 Massengräber freigelegt. Sie haben Beweise für die Verbrechen des Regimes gesammelt. Und in Zusammenarbeit mit internationalen Anwaltsvereinigungen haben sie die Staatsanwälte und die Richter des Tribunals trainiert, ganze Gerichtsverfahren mit ihnen durchexerziert. "Wir haben unsere irakischen Kollegen in Fragen des Völkerrechts beraten. Wir haben nicht für sie entschieden", sagt Greg Kehoe. Auch er stand an den freigelegten Massengräbern. "So etwas habe ich noch nie gesehen. Frauen und Kinder, hingerichtet. Sie waren doch so hilflos, so schutzlos. Mit unserer Arbeit wollten wir dazu beitragen, dass die Iraker die Wahrheit finden. Das ist alles."
Kilometerweites Laufen für eine Aussage
Auch John Lopez, 36, arbeitete für das Verbindungsbüro. Anfang dieses Jahres war der Staatsanwalt aus Phoenix, Arizona vier Monate als "beratender Ermittler" im Irak. Er hatte sich freiwillig gemeldet. "Ich glaube an unsere Mission", sagt er. Lopez reiste durchs Land, immer begleitet von schwer bewaffneten US-Militärs. "Ohne den militärischen Schutz hätten wir unsere Aufgabe nie erfüllen können. Auch as Tribunal nicht. Sonst gäbe es in zehn Jahren noch keine Anklage gegen die Täter." Lopez befragte Zeugen der Gasangriffe in Kurdistan. "Ich traf Männer, die kilometerweit durch den Schnee gelaufen waren, um mir, dem Amerikaner, ihre Geschichte zu erzählen." Lopez ermittelte auch im Fall al Dujail, jenes Dorfes, das Saddam aus Rache niedermetzeln ließ. Mit dem Fall al Dujail beginnt das Tribunal gegen den Diktator. "Die Zeugen setzen ihr Leben aufs Spiel. Also haben wir die Verantwortung, ihnen zu helfen. Mit einem gerechten Tribunal. Die Verfahren müssen unbedingt transparent sein, mit allen Rechten für die Angeklagten."
Das Irakische Sonder-Tribunal soll ein Jahrhundert-Ereignis werden, vergleichbar allenfalls mit den Nürnberger-Kriegsverbrecherprozessen 1945. Zunächst acht Angeklagte, allen voran der mutmaßliche Massenmörder Saddam Hussein. Vor Gericht wegen Völkermord. Er soll verantwortlich sein für bis zu eine Million Tote. Das Sonder-Tribunal soll Gerechtigkeit in ein bislang rechtloses Land bringen, und es soll beweisen, dass selbst ein Tyrann und seine Henker einen fairen Prozess bekommen. Es soll ein Symbol für den neuen, rechtstaatlichen Irak sein. Und zugleich soll es der Welt einen Etappensieg der US-Demokratisierungspolitik verkünden.
Im Moment allerdings hat das Tribunal vor allem um seine Glaubwürdigkeit zu kämpfen. Denn Männer wie Greg Kehoe und John Lopez sind den Kritikern nur der Beweis: das im Dezember 2003 gegründete und mit 75 Millionen Dollar von den USA finanzierte Tribunal ist ein Gericht von US-Gnaden. "Es herrscht eben der allgemeine Eindruck, dass dieses Gericht von den Amerikanern gemacht wurde", sagt der Menschenrechtler Eric Stover von der Universität Berkeley, "und zwar während der US-Besatzung." Warum, fragen Kritiker, wird Saddam nicht vor einem UN-Gerichtshof der Prozess gemacht, so wie etwa dem serbischen Diktator Milosevic in Den Haag?
Dabei hatten die USA ein solches Tribunal mit Mandat des UN-Sicherheitsrates zunächst sogar unterstützt. Als "Sonderbotschafter für die Ermittlung von Kriegsverbrechen" von Präsident Clinton trommelte der Rechtsprofessor David Scheffer jahrelang für diese Idee. Damals, noch vor dem Irak-Krieg, hätten Russland und Frankreich mit ihrem Veto gedroht, meint er. "Doch unter Bush wurde die Initiative dann fallen gelassen. Warum? Die Bush-Leute wollten mit UN-Gerichten wohl nichts zu tun haben."
Ein merkwürdiger Zwitter
So entstand ein neues Gericht, fanden die Juristen eine neue Bezeichnung für das Irakische Sonder-Tribunal: "Internationalisiertes inländisches Gericht". Ein merkwürdiger Zwitter, eine explosive Mischung aus irakischem Strafrecht und den Verfahrensregeln der UN-Tribunale. So erlaubt das irakische Strafrecht die Todesstrafe, die UN-Gerichtshöfe dagegen nicht. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch kritisieren vor allem die Todesstrafe. Deswegen verweigerte Human Rights Watch die Herausgabe von bereits gesammelten Dokumenten. Außerdem werde nicht sichergestellt, dass Beweise "jenseits vernünftiger Zweifel" liegen müssten. UN-Generalsekretär Kofi Annan wiederum blockierte die Entsendung von Juristen des Jugoslawien-Gerichtes als Trainer für die irakischen Richter. Man zweifle an der Kompetenz des irakischen Gerichtes, heißt es bei der UN.
"Doch die USA wollten die Todesstrafe zunächst sogar fallen lassen. Sie fürchteten die politischen Probleme, vor allem für ihren Verbündeten Großbritannien," sagt der renommierte Völkerrechtler Professor Michael Scharf von der Case Western Universität in Cleveland. Er war einer der Ausbilder für die Richter des Tribunals. "Doch die Iraker bestanden auf der Todesstrafe. Sie haben Angst, dass einer wie Saddam eines Tages wieder an die Macht kommen könnte. Außerdem habe es im Irak immer die Todesstrafe gegeben, meinten sie."
Ein wenig hilfreicher Präsident
In den USA sorgt man sich vor allem um die Transparenz und PR-wirksame Fairness des Verfahrens. Gar nicht hilfreich fand man in Washington die Äußerungen des irakischen Präsidenten Jalal Talabani. Der meinte, Saddam habe seine Verbrechen gestanden. "Er müsste 20 Mal hingerichtet werden." Schon fürchten Experten, dass die Iraker auf eine rasche Verurteilung und eine rasche Hinrichtung Saddams drängen. Das wahre Ausmaß seiner Verbrechen würde dann ausgespart, die Opfer ungesühnt.
Rechtsprofessor Scharf hofft dennoch auf ein faires Verfahren. "Doch ich weiß auch, es ist das erste dieser Art. Der Druck ist groß. Und dabei kommt es immer zu Problemen. Ich glaube, es wird ein ziemliches Durcheinander. Es steht doch so viel auf dem Spiel."
US-Bedenken gegen Anklagepunkt "Angriffskrieg"
Auch, weil die auf Unabhängigkeit bedachten irakischen Richter gegen US-Bedenken auch den Punkt: "Angriffskrieg" auf die Anklage-Liste setzten. "Saddams Kriege gegen den Iran oder Kuwait sind für die Iraker von entscheidender Bedeutung", so Michael Scharf. "Sie verwiesen dabei ausdrücklich auf die Prozesse gegen die Nazis in Nürnberg. Die USA hingegen wollten das unbedingt vermeiden. Denn dieser Punkt kann für die USA ziemlich gefährlich werden. So könnte Saddam das Tribunal nutzen, um Amerika wegen des Krieges gegen den Irak vorzuführen. Der Mann hat 50 exzellente internationale Verteidiger, darunter auch einen ehemaligen US-Justizminister. Seine Waffen sind scharf."
Vielleicht, spekulieren die Experten, könnte dann sogar Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nach Bagdad zitiert werden. Zum Kreuzverhör.