Ein Mob von Trump-Anhängern mit Flaggen, "Make America Great Again"-Kappen und zum Teil mit militärischer Kleidung stürmt das Kapitol in Washington DC. Bilder von den Protestlern, die in die Sitzungssäle von Senat und Repräsentantenhaus und in Büros von Abgeordneten eindringen, sorgen für Kopfschütteln, Schock, Fassungslosigkeit auf der ganzen Welt. Vier Menschen kommen bei der Aktion ums Leben.
"Der US-Präsident ist schuld am Angriff auf den Kongress"
Für die internationale Presse ist klar, dass der scheidende Amtsinhaber Donald Trump Schuld an dem Ereignis von Mittwoch hat, das die Kommentatoren einen "Putschversuch" und "Skandal" nennen. Die internationale Presseschau:
"El País", Spanien: "Die bewundernswerte Demokratie der Vereinigten Staaten hat eine ihrer dunkelsten Stunden erlebt. Die Anhänger Donald Trumps, die von ihm angefeuert wurden, stürmten das Kapitol. Es ist die erschreckende Folge jahrelanger Bemühungen des Populisten, die amerikanische Gesellschaft zu spalten. Er hat die Fundamente des zivilen und friedlichen Zusammenlebens immer wieder mit Benzin begossen, und nun ist es im Herzen der US-Demokratie zu einer Explosion gekommen.
Indem der scheidende Präsident das Wahlergebnis ohne irgendein rationales Argument ablehnt, fügt er der amerikanischen Gesellschaft eine schwere Verletzung zu. Es geht nicht nur um die Radikalen, die das Parlament angegriffen haben, sondern um Millionen Bürger, die wegen der schamlosen Lügen eines des Amts unwürdigen Präsidenten den Glauben an die Demokratie verloren haben. Die Lehre für alle westlichen Demokratien könnte nicht klarer sein: Der Preis der Polarisierung ist extrem hoch. Es ist dringend angeraten, das nicht zu unterschätzen."
"Politiken", Dänemark: "Das war nicht bloß eine Demonstration, die Amok gelaufen ist, als fanatische Trump-Anhänger den US-Kongress gestürmt und die Gesetzgeber und Vizepräsident Mike Pence zur panischen Flucht gezwungen haben. Das war ein wahrer Putschversuch, angestiftet von dem Mann, der auf dem Papier die Verantwortung dafür trägt, die USA und ihre Demokratie zu beschützen: Donald J. Trump. Trump ist ganz offensichtlich eine solch große Gefahr für die amerikanische Demokratie geworden, dass er abgesetzt und strafrechtlich verfolgt werden sollte. Setzt Trump jetzt ab! Es ist viel zu gefährlich, einen ausgesprochenen Feind der Demokratie im Weißen Haus sitzen zu lassen. Der US-Präsident ist schuld am Angriff auf den Kongress."
"Iswestija", Russland: "Ein Aufstand von Trump-Anhängern braut sich seit zwei Monaten zusammen. Unterschiedlichen Einschätzungen zufolge glaubten mehr als 75 Prozent der republikanischen Wähler an 'gefälschte Wahlen'. Infolgedessen "explodierte" die Situation am 6. Januar. Erst erreichten die Demonstranten das Kapitol, dann drangen sie ein. Was dann geschah, traf alle unmittelbar. Die Gewalt, die das Kongressgebäude erfasste, erschreckte sowohl die Gesetzgeber, die sich mit der Evakuierung beeilten, als auch die republikanischen Vertreter, die zwei Schritte vorausdachten und erkannten, dass das Verhalten der Wähler ein Schlag für die eigene Partei und sogar für die Weltgemeinschaft war."
"Sme", Slowakei: "Donald Trump beendet seine Amtszeit mit einem Angriff auf die demokratischen Institutionen. Er will, dass seine Wähler das Bild der zornigen Massen, die das Kapitol angreifen, in Erinnerung behalten und nicht einen Wahlverlierer Trump, der sich gehorsam aus dem Weißen Haus verzieht. Der Preis dafür ist ihm egal. (...)
An diesem Punkt würde auch der hartnäckigste politische Gegner mit einem Rest an Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft seine Niederlage anerkennen und die tobende Masse einbremsen. Er würde eine Schädigung der Demokratie fürchten. Doch Trump sendet stattdessen unklare Signale und behauptet weiter, die Wahlen seien ein Betrug gewesen. Er hat keinen Rest an Verantwortungsgefühl. (...) Trump gefährdet Amerika. Er will Chaos, Ungewissheit, Hass und Spaltung. Denn das ist das, was ihn stark macht. Anständigkeit, Verantwortungsgefühl und Wahrheit schwächen ihn."
Eskalation in Washington: Der Sturm auf das Kapitol in Bildern

"Adevarul", Rumänien: "Die peinliche Art, auf die der Trumpismus in diesen Tagen das Weiße Haus verlässt (...), ist ein Grund zur Genugtuung. Je hässlicher sein Abgang ist, desto mehr wird sich die Kraft seiner Anziehung und Verführung in den nächsten Jahren verringern. Je intensiver sein antidemokratischer Reflex ist, desto mehr werden sich die marginalen Anhänger des Trumpismus – die von manchen guten Ergebnissen des Weißen Hauses in der Wirtschaft und in der Außenpolitik irregeleitet wurden – endgültig von diesem entfernen. Amerika hat eine bemerkenswerte politische Klasse – es ist bei Weitem die professionellste, am besten ausgebildete und verantwortungsvollste in der Welt. (...)
Egal wie schlimm die demokratische Krise sein wird, die der scheidende Trumpismus in den USA auslöst, Amerika wird sich schnell davon erholen. Der Rechtsstaat wird keinen Augenblick lang in Gefahr sein – gerade weil, wie gesagt, die amerikanischen Verwaltungseliten ihre Rolle perfekt verstehen und die verfassungsmäßigen Regeln kennen. Andererseits hat die liberale Welt, die sich nun um die EU und die Regierung von (Joe) Biden versammelt, von der hässlichen Art, in der sich der Trumpismus zeigt, nur zu gewinnen."
"Hospodarske noviny", Tschechien: "In seiner Antrittsrede im Januar 2017 sprach Donald Trump vom 'roten Blut der Patrioten'. Mit einem Blutvergießen endet nun, vier Jahre später, seine Präsidentschaft. Doch zu Ende ist sie noch lange nicht: Nach den schockierenden Bildern von Trump-Anhängern, die aus Protest gegen das Wahlergebnis den Sitz des US-Kongresses stürmen, müssen wir uns Sorgen machen, zu was allem Trump noch fähig ist. Denn erst am 20. Januar wird er endgültig das Weiße Haus verlassen müssen."
"Dagens Nyheter", Schweden: "Der Mittwoch sollte der Schlusspunkt der politischen Epoche Donald Trump sein und hätte nicht charakteristischer für seine Präsidentschaft sein können. Seine Unterstützer stürmen das Kapitol. Seine eigenen Parteikollegen, darunter Vizepräsident Mike Pence, müssen in Sicherheit gebracht werden. Es ist sehr schwer, die Beteiligten als etwas anderes als Terroristen zu bezeichnen.
Die einzigen, die sich über die Szenen in Washington freuen können, sind die Feinde der USA. Es ist der Höhepunkt der Versuche, den Westen zu spalten, was insbesondere Moskau seit Jahren befeuert hat. Will man in all der Dunkelheit einen einzigen Keim für Optimismus finden, werden die Unruhen hoffentlich dazu führen, dass mehr Republikaner verstehen, welchen Weg sie eingeschlagen haben. Der Putschversuch sollte gescheite Republikaner endlich aufwachen und sehen lassen, welche Kräfte sie entfesselt haben."
"La Repubblica", Italien: "Die amerikanische Demokratie erlebte gestern einen düsteren und auf paradoxe Weise gleichzeitig beruhigenden Tag – für sich und das gesamte Abendland. Denn während die Trump-Trupps, angestachelt vom scheidenden Präsidenten zu einem Marsch namens 'Save America', laut CNN ein wahrlicher 'Putschversuch', den Capitol Hill belagerten und den Zugang zum in einer Sitzung befindlichen Kongress erzwangen, verschmolz auf der Achse Atlanta-Washington die endgültige demokratische Niederlage von Donald Trump.
Zuerst in der Wahlurne in Georgia und dann in den Aussagen des Führers der republikanischen Mehrheit im Senat, McConnell (...). Außerdem in der Haltung von Vizepräsident Mike Pence (...). Das Verhalten des besiegten Präsidenten bezeichneten einige Wortführer der Republikaner als "schrecklich". Die amerikanische Demokratie hat in der gestrigen Nervenprobe bewiesen, noch Abwehrkräfte zu haben, um den autoritären Impulsen eines Präsidenten zu widerstehen, der bereit ist, alles zu tun, um das Weiße Haus nicht verlassen zu müssen."
"DNA", Frankreich: "Der Angriff auf das Kapitol, der gestern Abend stattgefunden hat, ist eine irreparable, unfassbare Tat. Symbolisch gesehen ist es eine Kriegserklärung. Und diese Kriegserklärung, die die schlimmsten Befürchtungen der letzten Monate bestätigt, ist von Donald Trump unterzeichnet worden. Erst gestern hat er seine Anhänger dazu aufgerufen, zum Allerheiligsten der wichtigsten Demokratie der Welt zu marschieren. (...) Trump ist ein Wahnsinniger und eine Bedrohung für die freie Welt (...). Amerika steht heute Morgen am Rande des Zusammenbruchs, am Rande eines kollektiven Bewusstseinsverlusts und eines Bürgerkriegs. Wir können es nicht fassen, diese Worte zu schreiben."
"Guardian", Großbritannien: "Der Präsident der Vereinigten Staaten hat am Mittwoch einen Putschversuch angeführt. Ein rechter Mob versuchte den Staatsstreich in Form gewalttätiger Ausschreitungen, bei denen das Gebäude des US-Kapitols gestürmt wurde. Sie störten damit das Verfahren, das die Anerkennung der Wahl von (dem künftigen Präsidenten) Joe Biden und (seiner Stellvertreterin) Kamala Harris abgeschlossen hätte. Zuvor schon war dieses Verfahren von gewählten Offiziellen gestört worden, die böswillige Behauptungen aufstellten, wonach die Wahl nicht legitim sei und eigentlich zu einer Fortsetzung der Präsidentschaft von Donald Trump hätte führen müssen.
Auch das war bereits ein Putschversuch. Ein Versuch, die Verfassung zu verletzen und den Willen der Wähler bei dieser Wahl außer Kraft zu setzen. Innen und außen waren zwei Gesichter derselben Sache zu sehen, und beides wurde von Führern der republikanischen Partei und vom US-Präsidenten geschürt. Der Mob draußen würde ohne die Politiker drinnen nicht existieren."
"De Tijd", Belgien: "Es ist klar, dass der Sturm auf das Kapitol weltweit große Auswirkungen haben wird. Wie immer es weitergeht, dies ist ein schwerer Schlag für die amerikanische Demokratie. Das gesamte System wird nun in Zweifel gezogen. Abgesehen von der Frage, ob es für dieses Geschehen irgendeine logische Begründung gibt, bleibt vor allem die Feststellung, dass der Glaube an Wahlen in einer Nation gestorben ist, die behauptete, die Demokratie in andere Länder zu exportieren. Das ist nicht nur für die USA ein schwarzer Tag.
Autoritäre Führer in China und Russland lachen sich ins Fäustchen. Dem westlichen Modell demokratisch errichteter Gesellschaften ist mehr als nur ein heftiger Schlag zugefügt worden. Für Joe Biden ist das ein Albtraum. Nicht allein, weil die Amtsübergabe zu einem vollständigen Chaos gerät, sondern vor allem, weil er nun die Glaubwürdigkeit der USA wiederherstellen muss."
"NZZ", Schweiz: "Die Szenen vom Capitol sind ein Skandal. Doch sie reflektieren nicht primär den Zustand der USA, sondern den Zustand ihres Präsidenten. (...) Eine klare Distanzierung von Trump dürfte der Partei schwerfallen, aus Angst vor einer Entfremdung und Abspaltung eines Teils ihrer Wähler. Doch das jüngste Spektakel am Capitol, das auf einen erschreckenden kurzzeitigen Kontrollverlust der demokratischen, verfassungstreuen Kräfte hinweist, sowie die am Mittwoch besiegelte bittere Niederlage in der Senatsstichwahl in Georgia dürften den Republikanern eine nüchterne Einschätzung ihrer Lage erleichtern. (...)
Das Kunststück der Republikaner wie der Demokraten wird es in den nächsten Jahren sein, sich von Trumps Einflusssphäre und den extremistischen Elementen seiner Anhänger abzusetzen, den überwiegenden Teil seiner Wählerbasis aber, Millionen ganz normaler amerikanischer Bürger, an sich zu binden. Dass dieses Kunststück gelingt, ist keineswegs ausgemacht."
"The Age", Australien: "Indem (US-Präsident Donald) Trump sich weigerte, den friedlichen Machtübergang zu akzeptieren, hat er den Kreislauf der amerikanischen Politik beschmutzt und Gewalt unvermeidlich gemacht. Anstatt sich für Recht und Ordnung einzusetzen, wie er behauptete, hat er Gesetzlosigkeit und Anarchie gefördert. Wenn überhaupt, ist es bemerkenswert, dass es so lange gedauert hat, bis es zu dieser Art von gewalttätigen Unruhen gekommen ist, angesichts der Art und Weise, wie Trump seine Anhänger seit Monaten angestachelt hat.
Trumps Lügen über Wahlbetrug werden neben seinem katastrophalen Umgang mit der Corona-Pandemie sicherstellen, dass er als einer der schlimmsten Präsidenten in die amerikanische Geschichte eingehen wird – und möglicherweise als der schlimmste. Neben dem moralischen Versagen beendet er seine Präsidentschaft mit einem politischen Versagen. Vor vier Jahren kontrollierten die Republikaner das Weiße Haus, den Senat und das Repräsentantenhaus. Jetzt haben sie in allen dreien die Macht verloren."