Donald Trump brüstet sich damit, dass die Gerichtsverfahren, die auf Bundes- und Länderebene gegen ihn eingeleitet wurden, seine Popularität noch vergrößert hätten: "Jedes Mal, wenn sie eine Anklage erheben, steigen wir in den Umfragen", rief der ehemalige Präsident bei einer Wahlkampfveranstaltung in Alabama Anfang August seinen jubelnden Anhängern zu, kurz nachdem in Washington das dritte Verfahren gegen ihn eröffnet worden war. "Wir brauchen noch eine weitere Anklage, um diese Wahl zu gewinnen."
Diese weitere Anklage hat er nun. Fani Willis, Staatsanwältin aus Georgias Hauptstadt Atlanta, wirft dem 77-Jährigen in 13 Punkten vor, sich mit Verbündeten verschworen zu haben, um das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2020 in dem Südstaat zu kippen. Strategen der Republikanischen Partei bezweifeln allerdings, dass der vierte Prozess Trump tatsächlich den Wiedereinzug ins Weiße Haus sichern wird – sie befürchten sogar das Gegenteil.
"Der Weg ins Weiße Haus führt durch Georgia"
Sollte Trump sich in den Vorwahlen der "Grand Old Party" durchsetzen und im November 2024 gegen Joe Biden antreten, müsse er den Präsidenten im Schlüsselstaat Georgia schlagen, um sich eine erneute Amtszeit zu sichern, sagten vier republikanische Strategen mit Erfahrung in der Politik des Bundesstaates dem US-Sender NBC News. Ein weiteres Jahr, in dem in den lokalen, nationalen und internationalen Nachrichten pausenlos über die Anklagen berichtet wird, sei da nicht hilfreich.
Schon bei der Präsidentschaftswahl 2020 war der "Peach State", wie Georgia wegen seiner Pfirsichplantagen genannt wird, das Zünglein an der Waage für Bidens Erfolg – weshalb Trump genau dort so intensiv versuchte, das Ergebnis umzudrehen. "In anderen Bundesstaaten mag der Misthaufen größer sein, aber in Georgia ist es anders", zitiert NBC einen der Republikaner, der am letzten landesweiten Wahlkampf mitgewirkt habe. "Der Weg ins Weiße Haus führt durch Georgia." Der Parteistratege wollte wie auch seine Kollegen anonym bleiben, um mögliche politische Vergeltungsmaßnahmen von Trump und seinen Verbündeten zu vermeiden, wie der Sender berichtet.
Experten und US-Medien sind sich weitestgehend einig, dass Trumps juristische Probleme seine Kernklientel nicht abschrecken können. Auch die Umfragen zeigen das: Der Vorsprung des Mehrfachangeklagten gegen seine Rivalen im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner ist in den vergangenen Wochen sogar größer geworden. Und in der Präsidentenfrage liegen Trump und Biden unverändert eng beieinander.
Trump wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt – diese juristischen Probleme hat er noch am Hals

Die heute 79-jährige Carroll hatte Trump beschuldigt, sie im Frühjahr 1996 in der Umkleidekabine des New Yorker Luxus-Kaufhauses Bergdorf Goodman vergewaltigt zu haben. Öffentlich machte die langjährige Kolumnistin des Magazins "Elle" ihren Vorwurf erst 2019, als Trump Präsident war. Trump bezichtigte Carroll der Lüge und erklärte, sie sei nicht sein "Typ".
Strafrechtlich waren die Vorwürfe verjährt, doch zivilrechtlich konnte Carroll gegen den Milliardär vorgehen, und so verklagte Carroll Trump in New York wegen Verleumdung und im vergangenen November in einer zweiten Klage wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung selbst sowie erneut wegen Verleumdung. Sie verlangte Schmerzensgeld und Schadenersatz in nicht genannter Höhe. Weil es sich um einen Zivilprozess und nicht um ein Strafverfahren handelte, drohte Trump keine Gefängnisstrafe.
Für die Geschworenen war der Fall offenbar klar: Nach weniger als dreistündigen Beratungen sprachen sie Carroll fünf Millionen Dollar (rund 4,5 Millionen Euro) zu – zwei Millionen Dollar wegen sexuellen Missbrauchs und drei Millionen Dollar wegen Verleumdung. Ihr Urteil sei für alle Frauen, die ähnliches erlebt hätten, sagte die Autorin nach der Entscheidung. Es gehe ihr nicht um das Geld. Sie habe ihren Namen reinwaschen wollen. Und sie hätte Trump gerne im Zeugenstand vor Gericht gesehen.
Trumps Anwalt Joe Tacopina kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Er verwies unter anderem darauf, dass Carroll Trump stets Vergewaltigung zur Last gelegt habe, die Geschworenen aber lediglich sexuellen Missbrauch anerkannt hätten. Trump selbst reagierte erbost auf den Ausgang des Zivilprozesses. "Dieses Urteil ist eine Schande, eine Fortsetzung der größten Hexenjagd aller Zeiten", wetterte der 76-jährige auf seiner Onlineplattform Truth Social. Mit Blick auf Carroll erklärte Trump: "Ich habe überhaupt keine Ahnung, wer diese Frau ist."
Vor dem Urteil hatte der Ex-Präsident fälschlicherweise behauptet, er habe sich in dem Verfahren nicht "verteidigen" dürfen. Trump war dem Prozess aus eigenen Stücken ferngeblieben, zu einem Erscheinen vor Gericht war er nicht verpflichtet. Trump war während des Prozesses sogar zu einem Golfplatz in Schottland gereist, der ihm gehört.
Die Umfragewerte seien aber auch deshalb so gut, weil die Wählerinnen und Wähler Trump einfach nicht viel Aufmerksamkeit schenkten, insbesondere kritische unabhängige Wähler in umkämpften Staaten wie Georgia, geben die Strategen zu bedenken. Die in den kommenden Monaten zu erwartende Berichterstattung über die Anklagen könnte gemäßigte Republikaner und Unabhängige in wichtigen Regionen wie den Vororten von Atlanta noch weiter von Trump entfernen, so drei der Strategieexperten.
Erschwerend kommt für Trump hinzu, dass in Georgia Kameras im Gerichtssaal üblich sind und die Verhandlungen gerne live im Fernsehen übertragen werden. Der Ex-Präsident und seine 18 Komplizen werden also nicht nur auf der Anklagebank sitzen, sondern quasi auch im Wohnzimmer der TV-Zuschauer, wo sie sich monatelang immer wieder ihre mutmaßlichen Straftaten vorhalten lassen müssen.
Midterms sind schlechtes Omen für Donald Trump
Bereits bei den Zwischenwahlen hatte Trumps Märchen von den gestohlenen Wahlen die Menschen in Georgia, dessen Flagge und Siegel die Worte "Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung" zieren, abgeschreckt. Der republikanische Gouverneur Brian Kemp konnte damals die Vorwahlen gegen seinen von Trump unterstützen Herausforderer David Purdue klar gewinnen. Und in der Stichwahl um den letzten offenen Senatssitz schlug der demokratische Amtsinhaber Raphael Warnock den Trump-Protegé Herschel Walker. Selbst in seiner eigenen Partei machten viele mehr oder weniger offen Trump für das unerwartet schwache Abschneiden der Republikaner bei den Midterms verantwortlich.
Die Anklagen gegen Trump würden die Wahlberechtigten in traditionell republikanischen Bezirken Georgias wie Forsyth County, wo der Stimmenanteil des 77-Jährigen von 2016 bis 2020 um sechs Prozentpunkte gesunken ist, daran erinnern, warum sie ihm damals ihr Kreuz verweigert haben, prognostiziert nun einer der Strategen. "In Georgia ist er einfach ein Nettoverlierer. Punkt", stellt ein anderer fest.
Thomas Whalen, Professor für Sozialwissenschaften an der Boston University, teilt die Ansicht der republikanischen Strategieexperten. Er hält die Anklagen aber nicht nur für eine Schwächung Trumps, sondern für eine existentielle Bedrohung der gesamten Partei: "Auf Trumps republikanische Stammwähler wird sich das nicht auswirken, er ist im Moment ein sicherer Kandidat für die republikanische Präsidentschaftskandidatur", erklärte Whalen "Boston University Today". "Unabhängige Wähler werden die jüngsten Ereignisse jedoch nicht gutheißen, so dass die Wahl zugunsten von Joe Biden und den Demokraten ausfallen könnte – und in der Folge die Republikanische Partei international bedeutungslos machen würde."