Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte sie höchstpersönlich um Hilfe gebeten: In den ersten Tagen nach der russischen Invasion hatte Selenskyj Ausländer mit Kampferfahrung eingeladen, sich am Widerstand gegen die Armee von Kremlchef Wladimir Putin zu beteiligen und die Gründung einer "Internationalen Legion" angekündigt: "Jeder, der sich der Verteidigung der Ukraine, Europas und der Welt anschließen will, kann kommen und Seite an Seite mit den Ukrainern gegen die russischen Kriegsverbrecher kämpfen", hatte der Präsident gesagt.
Einer, der diesem Aufruf folgte, ist Kevin, ein stämmiger Amerikaner Anfang 30, wie der US-Nachrichtensender CNN berichtet. Kevin gehört demnach zu einer Gruppe von Veteranen ausländischer Spezialeinheiten, vornehmlich aus den USA und Großbritannien, die sich freiwillig gemeldet haben, um der Ukraine mit ihren Fähigkeiten und ihrer Erfahrung beizustehen. Dem Sender hat er nun von seinen Erfahrungen bei der Verteidigung des Kiewer Vorortes Irpin berichtet.
"Es war von Anfang an Wahnsinn"
Im März habe seine Einheit vier Tage in einem Kurheim in Irpin verbracht, oft nur 50 Meter von den russischen Truppen entfernt, erzählte Kevin, dessen vollen Namen CNN aus Sicherheitsgründen nicht nennt. Es sei die am weitesten vorgerückte ukrainische Stellung in dem Ort rund zehn Kilometer nordwestlich von Kiew gewesen, als die russischen Truppen versuchten, zur Einnahme der Hauptstadt vorzudringen. Sie hätten es "das Haus aus der Hölle" genannt.
Trotz seiner früheren Karriere als hochrangiger US-Terrorismusbekämpfer, der im Irak und in Afghanistan gedient habe, habe er in der Ukraine die intensivsten Kämpfe seines Lebens erlebt, sagte Kevin. Er und seine Mitstreiter hätten dabei viele der Guerillataktiken angewendet, die gegen das amerikanische Militär in Ländern wie Irak und Afghanistan eingesetzt wurden. "Alles ist viel stärker dezentralisiert", erklärte der US-Bürger. "Die Taktik der kleinen Gruppen ist hier definitiv ein großer Vorteil". Jetzt auf der anderen Seite zu stehen als bei seinen früheren Einsätzen und den Funkverkehr des Gegners zu hören, der wisse: okay, sie sind irgendwo da draußen, aber wir wissen nicht, wo oder wer es ist — das sei definitiv ein Vorteil.
Es gab aber auch erhebliche Nachteile. So habe er sich zum ersten Mal in seinem Leben gegen eine Invasion durch einen besser ausgerüsteten Feind verteidigen und sich Gedanken über Luftangriffe und Artilleriebeschuss machen müssen, wie sonst immer seine Gegner. "Es war wie in einem Film", berichtete Kevin CNN. "Es war von Anfang an Wahnsinn. Sie seien unter Beschuss mit Handfeuerwaffen geraten und er habe in einem Pick-up gesessen und sei einfach die Straße entlanggefahren. "Da sind Panzer. Und über uns sind Hubschrauber. Und du kannst die russischen Jets vorbeifliegen hören. Und draußen auf den Feldern setzten die Russen ihre Truppen mit Hubschraubern ab. Und du denkst dir so: 'Boah, wow! Das ist ganz schön viel."
Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

Viele ausländische Kämpfer hätten angesichts der Realität des Kampfes beschlossen zu gehen, erzählt Kevin. "Das ist der Moment, in dem sie sagen: 'Vielleicht ist das nichts für mich'. Das erste Mal, wenn die Kugel auf 20 Meter herankommt, ist das erste Mal, dass du denkst: 'Oh, Scheiße'", sagt er. Auch er und seine Kameraden hätten jeden Tag aufs Neue genug von dem Krieg gehabt. Doch dann sei der nächste Tag mit neuen Befehlen und Einsätzen gekommen und sie seien geblieben.
Schließlich sei seine Einheit im Sauna- und Fitnesskomplex gelandet, wo sie vier Tage lang ausgeharrt hätten, selbst als das Gebäude unter russischem Beschuss langsam zerfallen sei. "Wir nennen es das Haus des Horrors, weil es buchstäblich ein Albtraum war", berichtete Kevin dem US-Sender. "Es waren vier wirklich elende Tage mit sehr wenig Schlaf, schwerer Artillerie und schwerer Infanteriepräsenz der Russen. Egal, wie viele Leute wir von ihrer Seite entfernten, sie kamen einfach immer wieder." Einmal seien ihnen die russischen Truppen so nahe gewesen, dass er in der stockfinsteren Nacht auf dem Boden liegend das Knirschen von Glas unter den Füßen des Feindes habe hören können.

Er und die anderen Ausländer in seinem Team seien "schockiert" gewesen, erzählte Kevin. "Aber die ukrainischen Soldaten seien ruhig, kühl und gelassen geblieben. "Das ist normal, macht euch keine Sorgen", hätten sie gesagt. Er bewundere die Anstrengungen der ukrainischen Einsatzkräfte. "Sie sind Meister der Terrainverteidigung", erklärte Kevin. "Sie kennen jeden Zentimeter des Geländes. Sie kennen die kleine Gasse, in der wir warten können. Sie wissen, wie man dorthin kommt. Sie wissen, dass wir uns dort verstecken können. Sie wissen, zu welchem Gebäude wir gehen müssen. Und sie werden dir sagen, bevor wir dort ankommen, hey, fünf Häuser weiter gibt es einen sehr schönen Keller. Dorthin sollten wir gehen."
Kevin steht zu seinem Einsatz in der Ukraine
Wie viele Militärveteranen hatte Kevin sich nach dem Ende seines Militärdienstes vor einigen Jahren haltlos gefühlt. Zwar habe er einen Vollzeitarbeitsplatz in den USA gehabt, aber als Selenskyj seinen Aufruf an erfahrene ausländische Kämpfer veröffentlichte, habe er seinen Job gekündigt und sich der Internationalen Legion angeschlossen. Die Regierung zahlt ihm und seinen Kollegen laut CNN ein bescheidenes Gehalt von 2.000 bis 3.000 Dollar im Monat, obwohl Kevin sagt, sie hätten weit mehr als das für den Kauf von Ausrüstung ausgegeben.
Dennoch ist er sich sicher, dass es die richtige Entscheidung war, in die Ukraine zu kommen. "Es wurde für uns immer selbstverständlicher, dass es das Richtige war", betonte er. "Alles brannte. Die Artillerie war ununterbrochen im Einsatz. Wir hatten bereits gesehen, wie Zivilisten regelrecht ermordet wurden." Er und seine Kameraden hätten viele Menschen gefunden, die zusammengebunden, erschossen, an den Straßenrand geworfen und von Panzern überrollt worden waren. "Einfach barbarisch. Aus welchem Grund?" Es gehe wirklich um Gut gegen Böse, sagte Kevin. "Man hört, dass die Ukrainer die Russen 'Orks' nennen. Für sie ist das ein Symbol für Gut gegen Böse, wie in Herr der Ringe – das Licht gegen die Dunkelheit."
Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Venediktova untersucht Tausende von Fällen angeblicher russischer Kriegsverbrechen im ganzen Land und auch der Internationale Strafgerichtshof ermittelt gegen die Kreml-Truppen. Russland dagegen weist den Vorwurf von Kriegsverbrechen zurück und behauptet, seine Streitkräfte würden keine Zivilisten angreifen.
Kevin sagte, er habe das Gefühl, in den letzten drei Monaten um fünf Jahre gealtert zu sein. Er wisse nicht, wie er seinen Freunden in der Heimat erklären soll, was er erlebt. Er wisse auch nicht, ob er das will. Aber er wisse, dass die Ukraine "der Ort ist, an dem ich sein sollte", und er plane, in absehbarer Zeit dort zu bleiben. "Wir haben das in der Geschichte immer wieder erlebt", erklärte Kevin. "Die Leute fragen mich immer wieder: 'Oh, das ist nicht dein Kampf'. Oder: 'Was machst du da drüben?' Ja, aber in der Geschichte war es oft nicht unser Kampf. Und dann war er es. Es ist nicht euer Problem, bis es euer Problem ist."
Quelle: CNN