Wer wählt wie und was? Schicksalswahlen in den USA: Was Sie über die Midterms wissen müssen

Für US-Präsident Joe Biden sind die Zwischenwahlen mehr als nur ein Stimmungstest
Für US-Präsident Joe Biden sind die Zwischenwahlen mehr als nur ein Stimmungstest
© Imago Images
Zur Hälfte der Amtszeit steht die Regierung Biden auf dem Prüfstand. Die Midterms könnten einen Wendepunkt in Washington markieren, aus Sicht der Demokraten sind die Prognosen alles andere als rosig. Doch: Worum geht es eigentlich? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Historischer Halbzeitpfiff: Seit zwei Jahren ist Joe Biden nun Präsident der Vereinigten Staaten. Traditionsgemäß sind die US-Bürger am Dienstag nach dem ersten Montag im November dazu aufgerufen, die Mitglieder des Kongresses (zum Großteil) neu zu wählen. Für Biden sind die Zwischenwahlen ein Stimmungstest mit wahrscheinlich ernsten Konsequenzen, die seine Handlungsfähigkeit in den kommenden zwei Jahren massiv einschränken könnten.

Was Sie vorab wissen müssen – ein Überblick. 

Was ist der Kongress?

Der Kongress, die gesetzgebende Gewalt im Land, besteht aus zwei Kammern – dem Senat und dem Repräsentantenhaus. Letzteres entscheidet darüber, über welche (landesweiten) Gesetze überhaupt abgestimmt wird. Jeder der 50 Bundesstaaten schickt Abgeordnete nach Washington. Wie viele, das hängt von der Bevölkerungszahl ab. Die Amtszeit der Abgeordneten dauert zwei Jahre – dann wird das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt.

Der Senat wiederum kann diese Gesetze entweder absegnen oder blockieren. Außerdem bestätigt er die Ernennung des Präsidenten und kann (in seltenen Fällen) Untersuchungen gegen das Staatsoberhaupt durchführen. Jeder Bundesstaat entsendet zwei Senatoren in die Hauptstadt – unabhängig von der Bevölkerungszahl. Diese Senatoren bleiben sechs Jahre im Amt – alle zwei Jahre wird ein Drittel von ihnen neu gewählt.

Was steht zur Wahl?

Alle zwei Jahre entscheiden die US-Bürger über die Zusammensetzung dieses Kongresses. Liegen die Wahlen zeitlich in der Mitte der vierjährigen Amtsperiode des Präsidenten, spricht man von Midterms.

Am 8. November bestimmen die wahlberechtigten Bürger (in den USA müssen sich Wahlwillige vorher in ein Verzeichnis eintragen lassen) alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses, sowie 35 der insgesamt 100 Senatoren.

Zudem werden diesmal in 36 Staaten neue Gouverneure (vergleichbar mit Ministerpräsidenten in Deutschland) gewählt.

Doch damit nicht genug. Zeitgleich werden auf landes- und kommunaler Ebene Tausende weiterer Posten neu vergeben – von Schulbeiräte bis hin zu Sheriffsämtern. Entscheidend für die nationale Politik ist jedoch die Zusammensetzung des Kongresses, sprich: die Wahl der Abgeordneten und Senatoren.

Wie sieht es aktuell im Kongress aus?

Sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat halten die Demokraten bislang einen hauchdünnen Vorsprung vor den Republikanern. Im House of Representatives steht es 222 zu 213 für "die Blauen". Weil einige Wahlbezirke allerdings neu zugeschnitten werden, müssen die Republikaner bei den Midterms nur fünf zusätzliche Sitze gewinnen, um in Zukunft die Mehrheit zu stellen.

Noch enger ist es jetzt schon im Senat. Hier steht es tatsächlich 50:48 für die "roten" Republikaner. In der Praxis lief das bislang allerdings auf ein Unentschieden hinaus, da zwei parteiunabhängige Senatoren stets zugunsten der Demokraten votierten. Dass es Biden bis dato überhaupt gelang, Gesetze durch die Kammer zu bringen, verdankt er seiner Stellvertreterin. Als Vizepräsidentin hat die Stimme von Kamala Harris bei Gleichstand das letzte Wort. 

Welche Themen sind wichtig?

Republikanern sind beispielweise traditionsgemäß Einwanderungspolitik und Waffenrechte ein Anliegen, wohingegen sich demokratische Wähler unter anderem für Sozialpolitik und Abtreibungsrechte stark machen.

Genau in diesem Punk könnten sich die Blauen verrannt haben. Nach der Aufhebung des Urteils Roe v. Wade durch den Supreme Court im Juni und die darauffolgende landesweite Welle der Empörung hatten die Demokraten das Thema als entscheidend für die Midterms ausgemacht, analysiert die "New York Times". Hunderte Millionen Dollar habe die Partei an Wahlkampfgeldern für Abtreibungsbotschaften ausgegeben. Mit diesem Fokus haben sich die Demokraten allerdings womöglich verkalkuliert. Denn Abtreibungsrechte spielen vor allem für die entscheidenden Wechselwähler (zum Beispiel religiös-konservative Hispanics) eine untergeordnete Rolle.

Mit weitem Abstand Thema Nummer Eins ist die Wirtschaft – unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Laut Umfragewerten des Meinungsforschungsinstituts "Pew Research Center" (PRC) gaben acht von zehn Befragten dies als wichtigstes Thema an. Dass die Inflation nicht nur ein Problem in den USA ist und nicht zuletzt durch geopolitische Faktoren (wie den Ukraine-Krieg) befeuert wird, erreicht die meisten Wähler nicht. Das liegt auch daran, dass es dem Präsidenten nicht gelungen ist, die eigenen Erfolge effektiv zu vermarkten: So ist beispielsweise die Arbeitslosenquote seit Bidens Amtsantritt von 6,3 auf 3,7 Prozent gesunken. Die Zustimmung der Bevölkerung hängt tatsächlich von weitaus "banaleren" Zahlen, wie etwa vom Benzinpreis ab. Und der ist unter Biden im Schnitt kräftig gestiegen. Dem PRC zufolge glauben 82 Prozent der Amerikaner, dass die wirtschaftliche Lage schlecht sei – was den Republikanern in die Hände spielen dürfte. 

Weitere wichtige Themen sind laut Daten der Nachrichtenagentur Reuters die Kriminalität, das Gesundheitswesen, die Umweltpolitik und Einwanderung – in dieser Reihenfolge. Corona spielt den Umfragen nach zu urteilen kaum noch eine Rolle bei der Wahlentscheidung. Obwohl die Prognosen bestimmte Wählerprioritäten und Tendenzen zeigen, unterscheiden sich die Schwerpunkte in den Bundesstaaten teils erheblich voneinander. Am Ende kommt es wohl (wie immer) darauf an, wie die Ergebnisse in den sogenannten Swing States ausfallen – in Staaten, in denen besonders viele Wechselwähler leben.

Auf welche Staaten komm es an?

Allein in diesem Wahlzyklus sollen die beiden Parteien fast zehn Milliarden Dollar für Werbekampagnen ausgegeben haben, wie das Magazin "Politico" berichtet. Ein Viertel davon entfiele auf einige wenige, noch umkämpfte Bundesstaaten.

Überraschenderweise gehört dazu Kalifornien, das normalerweise fest in demokratischer Hand ist. Auch auf der New Yorker Vorstadtinsel Long Island stehen alle vier Repräsentantensitze auf der Kippe.

Turbulent geht es auch in Nevada zu, wo sowohl im Rennen um die Senats-, als auch um den Gouverneursposten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zu erwarten sei.

Interessant dürfte es auch in Texas, speziell im Süden werden. Hier haben sich die Republikaner mit den Hispanics eine aus ihrer Sicht lange vernachlässigte, aus demokratischer Sicht eine allzu sicher geglaubte Wählergruppe erschlossen. Gleiches gilt für Arizona, das die Republikaner wieder für sich gewinnen wollen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2020 war Biden seit 1996 der erste Demokrat, der den Staat für sich entscheiden konnte. Auch hier dürften Hispanics, die fast ein Fünftel der Wählerschaft ausmachen, entscheidend sein. Auch Georgia war bis 2020 über Jahrzehnte fest in roter Hand. Die Demokratin Stacey Abrams könnte hier erste schwarze Gouverneurin in der US-Geschichte werden. 

Michigan votierte 2020 ebenfalls extrem knapp für Biden und beendete damit seinen kurzen Ausflug in Richtung rechts unter Trump. Auch das Recht auf Abtreibung, Steckenpferd der Demokraten, steht hier zur Wahl.

Eng dürfte es auch im ländlichen Wisconsin werden, das CNN als einen der am "stärksten gespaltenen Staaten der Nation" beschreibt. Sowohl der republikanische Senator Ron Johnson, als auch der demokratische Gouverneur Tony Evers müssen hier um ihre Wiederwahl fürchten.

Traditionell im Fokus liegt auch (wie so oft) Pennsylvania. Mit Doug Mastriano kandidiert hier ein Mann für den Gouverneursposten, der selbst den meisten Republikanern deutlich zu rechts ist (mehr dazu lesen Sie hier). Gleichzeitig tritt in Trumps Namen auch der bekannte Fernseharzt Mehmet Oz, besser bekannt als "Dr. Oz", gegen den Demokraten John Fetterman an.

Was würde eine Niederlage der Demokraten bedeuten?

Angesichts der knappen Rennen sehen politische Analysten in den Midterms nichts Geringeres als "Schicksalswahlen" – büßen die Demokraten ihre Mehrheiten ein, wäre Biden in seiner verbliebenen Amtszeit größtenteils handlungsunfähig. Keine erfreulichen Aussichten für den Präsidenten, dessen Zustimmungswerte seit seinem Amtsantritt ohnehin auf Talfahrt sind. Stand 1. November lehnen 55 Prozent der US-Bürger Bidens Politik ab – bei seinem Amtsantritt waren es 32 Prozent. 

Sollten die Republikaner auch nur eine der beiden Kammern erobern, könnten sie auch die Untersuchungen zum Kapitolsturm im Januar 2021 (und Trumps Rolle dabei) beenden. Gleichzeitig könnten sie ganz neue Untersuchungen einleiten – und den öffentlichen Fokus auf Themen setzen, die den Konservativen zugute kämen und die Biden-Regierung und das persönliche Umfeld des Präsidenten diffamieren. Zudem würde eine rote Mehrheit Biden auch einen Knüppel in Sachen Außenpolitik zwischen die Beine werfen. Die Milliardenhilfen für die Ukraine dürften dann wohl zumindest neu verhandelt werden. Nicht zu vergessen: Der Senat entscheidet auch über die Ernennung von Obersten- und Bundesrichtern. Ein republikanisch kontrollierter Senat hätte die Macht, Bidens zukünftige Nominierungen zu blockieren. Die Richter wiederum sind in der Realpolitik ein wichtiges Machtinstrument.

Ganz machtlos wäre Biden jedoch nicht. Als Präsident könnte er konservative Gesetzesvorhaben per Veto blockieren. In dem Fall müsste sich Biden (wie viele seine Vorgänger) wohl auf das Regieren per Dekret, auf sogenannte Executive Orders verlassen. Diese gelten allerdings nur auf Zeit und können vom nächsten Präsidenten wieder aufgehoben werden. Außerdem könnten die Republikaner die einseitig beschlossenen Gesetze teilweise torpedieren, indem sie die nötige Finanzierung blockieren. Das Ergebnis wäre ein politisches Tauziehen. Zumindest bis 2024.

Was bedeutet das für die Präsidentschaftswahlen 2024?

Apropos 2024. Vor allem für die Republikaner sind die Midterms eine Art inoffizielles Auswahlverfahren für die nächsten Präsidentschaftswahlen. Wer hier von sich reden macht, kann sich Chancen für eine erfolgreiche Kandidatur ausrechnen. Aus konservativer Sicht dürfte interessant werden, ob sich die Riege der Trump-Anhänger endgültig durchsetzt.

Dass bei den Midterms auch viele Secretaries of State zur Wahl stehen, erhielt in der Vergangenheit meist wenig Aufmerksamkeit. Im Hinblick auf 2024 dürften sie diesmal jedoch deutlich wichtiger werden. Denn sie sind es, die häufig die künftigen Wahlen in dem Bundesstaat organisieren. Wer sie kontrolliert, kontrolliert auch die Stimmauszählung. Vor allem die Trumpisten halten bis heute an der Mär der manipulierten Wahlen fest. 

Wie sind die Prognosen?

"Politico", dessen Prognosen gemeinhin als besonders fundiert gelten, glaubt, dass es im Senat bei einem Patt bleibt, das Repräsentantenhaus jedoch wahrscheinlich in die Hände der Republikaner fällt. Ein aus demokratischer Sicht noch düstereres Bild zeichnet die viel zitierte Nachrichtenseite "FiveThirtyEight", laut deren Rechenmodellen auch der Senat an die Republikaner geht. Die Vorhersagen unterliegen jedoch enormen Schwankungen.

Zusammengefasst: Selten war der Ausgang der Midterms so ungewiss. Laut einer Umfrage der "New York Times" Mitte Oktober sehen sich 31 Prozent definitiv als Demokraten und 30 Prozent definitiv als Republikaner (der stern berichtete). Nur rund drei Prozent gehören einer anderen Partei an. Ankommen wird es also vor allem auf die Wechselwähler. Angesichts der ohnehin nur hauchdünnen Mehrheit der Demokraten und den weiterhin katastrophalen Zustimmungswerten für den Präsidenten, stehen die Zeichen allerdings eher auf Rot.

Quellen: "Politico (1), (2)"; "BBC"; "New York Times (1); (2)"; "CNN (1), (2)"; "Reuters"; "Associated Press"; "Pew Research Center"; "Washington Post"; mit dpa

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