"Wir bekommen eine furchtbare, Amerika hassende WNBA-Spielerin, während Russland einen internationalen Waffenhändler bekommt", lästerte Donald Trumps Sohn Donald Trump Jr. über den Gefangenenaustausch zwischen den beiden Großmächten. Die Kritik ist familientypisch über's Ziel hinausgeschossen. Doch mit ihrer Empörung sind die Trumps keineswegs alleine: Zahlreiche namhafte Republikaner spotteten, ja wetterten gegen den Tausch Griner-But.
Trotz des altbekannten, reflexartigen Hasses, der in der Kritik mitschwingt, ist das Körnchen Wahrheit kaum zu leugnen. Denn rein rechnerisch macht der Deal zwischen den USA und Russland tatsächlich wenig Sinn: Eine wegen vermeintlichem Cannabisöl-Besitz inhaftierte Basketballerin wird gegen den wohl größten Waffenschmuggler seiner Zeit, den "Händler des Todes", eingetauscht (warum But dem Kreml so wichtig ist, lesen Sie hier).
Zumal es eine Alternative gab, wie Kritiker anmerken: US-Präsident Joe Biden hätte stattdessen auch auf die Auslieferung des seit 2018 inhaftierten Ex-Marinesoldaten Paul Whelan bestehen können. Der sitzt wegen vermeintlicher Spionage seit vier Jahren hinter russischen Gittern. Auch ais Justizministerium, in Bidens eigenen Reihen, kam offenbar Kritik für das vermeintlich ungleiche Geschäft. "Einen berüchtigten internationalen Waffenhändler gegen eine Basketballspielerin einzutauschen, ist Wahnsinn", zitiert die "Washington Post" einen anonymen Insider. Doch: War Whelans Freilassung je eine valide Option?
Wer ist Paul Whelan und warum ist er in russischer Gefangenschaft?
Als Sohn britischer Eltern, der in Kanada geboren wurde und als Kind in die USA zog, besitzt Paul Whelan gleich vier Staatsbürgerschaften: die US-amerikanische, die irische, die britische und die kanadische. Der BBC, die sich auf Militärakten beruft, trat er 1994 als Reservist der US-Marine bei. Zuvor sei er sechs Jahre lang Polizist gewesen. Anfang der Nullerjahre habe er als IT-Projektmanager gearbeitet, sei jedoch gleich zweimal (2004 und 2006) mit den Marines in den Irak entsandt worden. Zu dieser Zeit soll Whelan auch zum ersten Mal nach Russland gereist sein, worüber er auch auf seiner Webseite berichtete.
Laut BBC schrieb er unter Fotos, die er damals veröffentlichte, dass er eine "recht angenehme Zeit" bei Besuchen in Moskau und St. Petersburg verbracht habe. 2008 sei Whelan, der es bis zum Stabsunteroffizier gebracht habe, unehrenhaft entlassen worden. Unterlagen des Pentagon zufolge soll es dabei um Diebstahl gegangen sein. Laut eines CNN-Berichts habe man Whelan vorgeworfen, die Sozialversicherungsnummer einer anderen Person benutzt und "ungedeckte Schecks" ausgestellt zu haben. Seine Familie habe davon nichts gewusst.
2018, er war angeblich zur Hochzeit eines ehemaligen Marinekameraden nach Moskau gereist, lief für den heute 52-Jährigen alles aus dem Ruder: Whelan wurde vom Geheimdienst FSB verhaftet, der Vorwurf: Spionage. Laut dessen Anwalt soll Whelan ein Speicherstick mit geheimen Informationen erhalten haben. Davon habe sein Mandant allerdings nichts gewusst. Andere vermuteten damals, dass der Kreml Whelan nur einkassiert habe, um ihn gegen die in den USA-inhaftierte Waffenrechtsaktivistin Marija Walerjewna Butina einzutauschen.
2020 wurde er zu 16 Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Sowohl seine Familie als auch die US-Regierung bestehen weiterhin auf Whelans Unschuld.
Moskau wollte offenbar Russen aus deutschem Gefängnis freitauschen
Medienberichten zufolge war Whelan ursprünglich als Teil des kürzlich abgeschlossenen Deals mit Moskau vorgesehen: Griner und Whelan gegen But, lautete das Angebot der Biden-Administration. Laut Informationen der "Washington Post" habe der Kreml Whelan in monatelangen Verhandlungen allerdings nur mit auf den Tauschzettel packen wollen, sollten die USA gleichermaßen den Einsatz erhöhen. Moskau habe dabei auf den ehemaligen FSB-Oberst Wadim Krassikow geschielt, der in Deutschland wegen Mordes zu einer lebenslangen Haft verurteilt ist. Berlin habe sich aber vehement gesträubt.
Kurz vor dem Austausch hatte Alexei Tarasow, einer von Buts Anwälten, im russischen Staatsfernsehen erklärt, dass Whelan nicht Teil des Deals sein könne, weil der Austausch auf einer "eins zu eins"-Basis erfolgen müsse. "Wenn wir eine Person austauschen, sollten wir sie gegen eine Person austauschen, nicht gegen zwei", zitiert ihn die BBC.
Im Gegensatz zu Whelan ist der Fall Griner ein Politikum
Fest steht auch, dass Griner die prominenteste US-Bürgerin in russischer Gefangenschaft war. Dass die Star-Basketballerin und Olympia-Goldmedaillengewinnerin als schwarze, offen homosexuelle Frau in einem Land eingesperrt wurde, in dem Homophobie Teil der Politik ist, habe "rassistische, geschlechtsspezifische und soziale Dynamiken" in den Fall eingebracht, fasst es der US-Sender NBC zusammen. Eine vermeintliche Lappalie mutierte dadurch zur diplomatischen Krise.
Anders gesagt: Im Gegensatz zu Whelan ist der Fall Griner ein Politikum. "Mehr als 90 Prozent der schwarzen Frauen haben bei den Präsidentschaftswahlen 2020 für Biden gestimmt. Wenn es also tatsächlich eine Wahl zu treffen gab, wäre es dann völlig falsch vom Präsidenten gewesen, einer oft als selbstverständlich angesehenen Gruppe, die ihm gegenüber am loyalsten war, Loyalität zu zeigen?", fragt ein Autor der US-Zeitschrift "Forbes".
Es stellt sich auch die Frage, ob Moskau die junge Frau nicht ohnehin ausschließlich als Faustpfand einkassiert hatte. Denn aus politischem Kalkül heraus ist Whelan für den Kreml ohne Zweifel wertvoller. Das soll ein hochrangiger US-Regierungsbeamter gegenüber US-Zeitung "The Hill" bestätigt haben. Für die Freilassung eines Mannes, der wegen Spionage einsitzt, seien die Anforderungen schlicht höher. "Dies war keine Situation, in der wir die Wahl hatten", zitiert ihn die Zeitung.
Das Leben eines Menschen gegen das eines anderen aufzuwiegen, widerspricht zwar grundsätzlich allen Regeln der Ethik. Auf politischer Bühne, besonders in einer derart aufgeladenen Situation, ist es jedoch in erster Linie eine Frage des Machbaren. "Dies war keine Entscheidung darüber, welchen Amerikaner wir nach Hause bringen sollten", sagte Biden nach Griners Freilassung. "Leider behandelt Russland Pauls Fall aus völlig illegitimen Gründen anders als den von Brittney."
Die Heimkehr von Griner macht Hoffnung – auch für Whelan
In einem Interview, das Whelan dem US-Nachrichtensender CNN aus dem Gefängnis heraus gab, zeigte sich der Ex-Soldat überrascht, nicht in den Austausch miteinbezogen worden zu sein. Er habe geglaubt "dass sich die Dinge in die richtige Richtung bewegten"."Ich bin sehr enttäuscht, dass nicht mehr für meine Freilassung getan wurde, zumal sich meine Verhaftung bald zum vierten Mal jährt", so Whelan. Andererseits sei er sich durchaus bewusst, dass für seine Freilassung höhere Maßstäbe gelten würden als für die von Griner.
Whelans Bruder David zeigte zwar Verständnis für die Entscheidung Washingtons. Es sei schließlich besser gewesen, einen Deal zu machen, "der möglich war, anstatt auf einen zu warten, der nicht zustande kommen würde", sagte er. Aus Sicht der Familie sei das nichtsdestotrotz eine "Katastrophe" für Whelan. Es ist bereits das zweite Mal in diesem Jahr, dass die Hoffnungen der Familie enttäuscht werden. Im April war Trevor Reed, ein weiterer ehemaliger Marine-Soldat, im Zuge eines Deals freigekommen. Im Gegenzug konnte der wegen Drogenvergehen verurteilte Russe Konstantin Jaroschenko nach Hause zurückkehren. Schon damals äußerte David Whelan Zweifel daran, dass die Regierung zu den nötigen Eingeständnisse bereit sei, um seinen Bruder freizubekommen.
Wenig überraschend hat Biden nach Griners Freilassung mehrfach betont, Whelan keineswegs aufgegeben zu haben und das auch niemals zu tun. Man werde weiter für dessen Rückkehr kämpfen, sagte der Präsident auf einer Pressekonferenz am Donnerstag.
Der Tausch macht aber tatsächlich Hoffnung: Nach Monaten des halbkalten Krieges zwischen Russland und den USA gibt es auf beiden Seiten offenbar immer noch ausreichend Besonnenheit, um nicht nur einen Dialog aufrechtzuerhalten, sondern auch, um waschechte Kompromisse zu erzielen. Auch Whelan gibt die Hoffnung nicht auf: "Meine Koffer sind gepackt. Ich brauche nur noch ein Flugzeug, das mich abholt", sagte er CNN.
Quellen: "NBC"; "BBC"; "CNN"; "The Hill"; "Forbes"; "Washington Post"