Auftritt bei Volksfest Hubert Aiwanger – plötzlich Bierzelt-Gandhi

Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler und stellvertretender Ministerpräsident von Bayern
Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler und stellvertretender Ministerpräsident von Bayern
© Sven Hoppe / DPA
Wie reagiert er? Was macht er? Worüber schimpft er? Beim Politischen Frühschoppen auf dem Volksfest Gillamoos sagt Hubert Aiwanger über die Flugblatt-Affäre – einfach gar nichts. Über einen merkwürdigen Auftritt.

Um 11.04 Uhr ist es so weit, die Rufe des "Weißbierstadl" wurden erhört: Hubert Aiwanger betritt die Bühne. "Wir woll’n den Hubsi sehen, wir woll’n den Hubsi sehen…", hatten die Bierzelt-Besucher im Chor gefordert. Nun sehen sie ihn, mit hochgekrämpelten Hemdärmeln und ernster Miene. Aiwanger sieht abgekämpft aus. Waren ja auch ein paar ereignisreiche Tage. Was er wohl sagen wird?

An diesem Montagmorgen hätte Aiwanger reichlich Gelegenheit, sich verbal auszubreiten. Wut aus dem Bauch zu lassen. Mal richtig auszuteilen. Dafür ist das politische Frühschoppen beim Volksfest Gillamoos in Niederbayern schließlich bekannt. Alljährlich werden hier heftige Attacken auf die politische Gegnerschaft platziert, kernige Stammtisch-Parolen bei randvollen Maßkrügen und zünftiger Musik zum Besten gegeben. Perfektes Terrain für einen Bierzelt-Politiker wie Hubert Aiwanger.

Doch Aiwanger sagt: nichts. Jedenfalls nichts zur Flugblatt-Affäre, nichts zu seiner Begnadigung durch Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die ziemlich genau 24 Stunden zurückliegt. Nur so viel: "Danke für diese Rückenstärkung, den wunderbaren Vertrauensbeweis." Ist etwa alles gesagt?

Wenn es nach Aiwanger geht, dann offensichtlich schon. Dabei hatten seine dürftigen Antworten auf Söders Fragenkatalog, der zur Aufklärung über seine Rolle in dem Skandal um ein antisemitisches Pamphlet aus Schulzeiten beitragen sollte, erst recht Fragen aufgeworfen – über die Causa hinaus. Wird er nach dem fragwürdigen Freispruch durch Söder tatsächlich Reue zeigen oder sich abermals als Opfer einer angeblichen Kampagne stilisieren?

Hubert Aiwanger geht zur Tagesordnung über

In Gillamoos geht Aiwanger demonstrativ zur Tagesordnung über. Eine knappe Stunde arbeitet er sich an der "ideologischen Ampel-Politik" ab, poltert gegen das Bürgergeld oder die Energiepolitik, fordert die Abschaffung der Erbschaftssteuer und eine härtere Migrationspolitik. Routinierte Regierungsschelte, kombiniert mit Wahlkampfschlagern der Freien Wähler – als sei nichts gewesen. Das ist Aiwangers Botschaft an diesem Montagmorgen.

Und die kommt im Bierzelt bestens an: Aiwanger erhält stehenden Applaus, wird mehrfach mit "Hubert, Hubert!"-Sprechchören gefeiert. Um 12.05 Uhr, am Ende seiner Rede, steht der Vizeministerpräsident sichtlich zufrieden im Schweiß. Seine Fans haben sich nicht von ihm abgewendet, auch seine Partei hat sich in der Flugblatt-Affäre hinter ihm versammelt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Aiwangers Losung, wonach es sich bei der Flugblatt-Affäre um eine "Kampagne" gegen ihn handele, die ihn "politisch und persönlich" fertigmachen solle, wird unter seinen Anhängern offenbar geteilt. Auf jeden Fall von Fabian Mehring, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Freien Wähler im bayerischen Landtag und einer von Aiwangers Vorrednern im Festzelt.

Er spricht mit dem Brustton der Überzeugung von einer "Schmutzkampagne" gegen "unseren Hubert", der wie kein Politiker zuvor in Bayern gefeiert werde. "Wir stehen vor dir, wenn mit Dreck geworfen wird, und wir stehen hinter dir, wenn mit Dreck geworfen wird", versichert Mehring. Wer glaube, die Landtagswahlen am 8. Oktober könnten zu einer Abstimmung über Hubert Aiwanger werden, der dürfe "optimistisch" sein.

Mehring ist es allemal. Er bemüht sogar ein Zitat des indischen Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi, damit auch ja kein Zweifel an der eigentlichen Conclusio aus der Causa Aiwanger aufkommt: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du." Und völlig klar, welcher Part nun angesagt sei: das Gewinnen.

Bis zur bayerischen Landtagswahl sind es noch rund vier Wochen. Dann wird sich zeigen, ob die Flugblatt-Affäre den Freien Wählern und Aiwanger mehr genutzt denn geschadet hat. "Wir müssen jetzt wieder zur Tagesarbeit für unser Land zurückkehren, damit Bayern ab Herbst stabil und vernünftig weiterregiert werden kann", forderte der Parteichef kurz nach Söders Begnadigung via X, vormals Twitter. Aiwanger will die unschöne Angelegenheit abhaken, auch das hat sein Auftritt in Gillamoos gezeigt.