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Die Grünen sagen so, die Liberalen so, die Kanzler-SPD sagt auffällig wenig – und damit ist, nun ja, eigentlich alles gesagt. Einmal mehr kabbeln sich die Ampel-Koalitionäre, die Liste an Reiz- und Streitthemen wird zuverlässig länger. Ob die Bundesregierung diesen oder jenen Konflikt bei ihrer Kabinettsklausur am kommenden Wochenende auf Schloss Meseberg entschärfen können, bleibt abzuwarten. Genug Gesprächsstoff ist jedenfalls gewiss. Ein Überblick über die aktuellen Kontroversen.
Die Sache mit den Heizungen
Beinahe konnte man den Eindruck gewinnen, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) einen neuen Vorstoß in der Angelegenheit unternommen hat. Tatsächlich ist das geplante Einbauverbot komplett fossiler Heizungen schon länger vorgesehen, eine entsprechende Vereinbarung steht im Koalitionsvertrag.
Dort hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, dass ab 2025 jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Angesichts der Energiekrise vereinbarten die Koalitionsspitzen im vergangenen Jahr, das Vorhaben "möglichst" schon ein Jahr zuvor umzusetzen. Das grüne Wirtschafts- und rote Bauministerium arbeiten an einem entsprechenden Gesetz.
Nun sind erste Details durchgesickert. Am Dienstag berichtete die "Bild"-Zeitung von einem Gesetzesentwurf aus Habecks Haus, bei dem es sich allerdings um einen gemeinsamen Referentenentwurf aus Wirtschafts- und Bauministerium handelt. Für Aufregung sorgt das Papier so oder so, insbesondere bei der FDP. Der Grund, vereinfacht gesagt: Fachleuten zufolge ist der 65-Prozent-Wert mit gängigen Öl- und Gasheizungen nicht zu erreichen, was wiederum ihr Aus beim Neueinbau bedeuten könnte.
"Der FDP-Fraktion liegt kein Entwurf zum Verbot von Öl- und Gasheizungen vor", sagte der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr zum "Tagesspiegel". Und: Dazu werde es auch nicht kommen. "Pauschale Verbote halte ich für falsch – stattdessen sollten wir technologieoffen bleiben und dafür sorgen, dass auch klassische Heizungen in Zukunft klimaneutral betrieben werden können". Fraktionsvize Lukas Köhler mahnte eine grundlegende Überarbeitung des Entwurfs an, habe man doch im Koalitionsvertrag "ganz bewusst" auf "politische Technologieentscheidungen" verzichtet. Grünen-Co-Chef Omid Nouripour kritisierte, nun ja, die Kritik: "Die FDP soll vielleicht schauen, wo sie alles zugestimmt hat, was sie jetzt plötzlich nicht mehr wissen will."
Die Sache mit der Junk-Food-Werbung
Grundsätzlich geeinigt haben sich SPD, Grüne und FDP auch auf Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel, die für Kinder angepriesen werden. "An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben", heißt es dazu kurz und knapp im Koalitionsvertrag. Nun hat Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) Punkte für einen Gesetzesentwurf vorgelegt, die zunächst in der Bundesregierung weiter abgestimmt werden sollen.
Ob Süßigkeiten-Spots zwischen Trickfilmen, Chips-Reklame im Internet und beim TV-Länderspiel: An Kinder gerichtetes Marketing für Ungesundes soll per Gesetz eingedämmt werden. Özdemir schweben Werbeverbote in "allen für Kinder relevanten Medien" vor, und zwar nicht nur für reine Kindersendungen, sondern generell von 6 Uhr bis 23 Uhr. Die SPD-Fraktion begrüßt die Pläne, aus der FDP-Fraktion kommt Kritik.
"Pauschale Verbote von Werbung, die die Kinder regelrecht abschirmen sollen, übergehen die wahren Kernprobleme von ungesunder Ernährung und sind nur maximal die zweitbeste Lösung", sagte die FDP-Vize-Fraktionsvorsitzende Carina Konrad zur "Welt". Für eine solche Politik gebe es keine Mehrheit, sagte sie, und forderte unter anderem mehr Ernährungscoaches an Schulen und Seminare zur Medienkompetenz für Kinder und Eltern. "Verbote bringen an dieser Stelle aus meiner Sicht nichts", meint auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
Die Sache mit dem Verbrenner-Aus
Immerhin die Zulassung sogenannter E-Fuels ist geregelt. Die Regierungskoalition will den Weg frei machen für gesetzliche Änderungen zum Einsatz der synthetischen Kraftstoffe in Deutschland – für die FDP ein Durchbruch in Sachen Klimaschutz, für die Grünen eine "technische Anpassung", auf die man sich verständigt habe. Nun gut.
Für die Liberalen ist das offensichtlich nicht genug: Verkehrsminister Volker Wissing rüttelt am Verbrenner-Aus ab 2035, das in der EU eigentlich als abgemacht galt, und droht mit einer Absage aus Deutschland. Er fordert eine Zulassung von Verbrennungsmotoren in Neuwagen über 2035 hinaus, wenn diese nachweislich mit E-Fuels betankt werden. Mache Brüssel keinen entsprechenden Regulierungsvorschlag, werde Deutschland nicht zustimmen.
Wissing kann zwar nicht im Alleingang ein Veto gegen das Vorhaben einlegen, sich jedoch in der Koalition querstellen. Kommt dort keine gemeinsame Position zustande, dann enthält sich Deutschland gemäß der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Für die finale EU-Abstimmung, bei der eine qualifizierte Mehrheit reicht, könnte das insofern relevant werden, weil andere Länder dem Beispiel Deutschlands folgen könnten.
Die Grünen sind jedenfalls sichtlich verstimmt. Bremens Mobilitätssenatorin Maike Schaefer ätzte, die Auto-Lobby treibe Wissing und die FDP vor sich her. Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, warf Wissing mit Blick auf das Klimaschutzgesetz vor, "immer tiefer in die Gesetzeswidrigkeit" zu rutschen.
Die Sache mit dem Autobahn-Ausbau
Zunächst galt der Streit um AKW-Laufzeiten als leidige Langzeitdebatte zwischen Grünen und FDP, neues Dauer-Streitthema ist aber unlängst der Neu- und Ausbau von Autobahnen. Wieder einmal treffen Grundsatzüberzeugungen aufeinander.
FDP-Verkehrsminister Wissing hält das für eine wirtschaftliche Notwendigkeit und setzt sich für eine Planungsbeschleunigung ein, wie es auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien der Fall ist. Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke hält dagegen, sie sieht die Klimaziele gefährdet und will vor allem den Schienenverkehr stärken. Eine verfahrene Situation.
Und die SPD? Sucht offenbar den Mittelweg. "Es ist kontraproduktiv, Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen, das verzögert die Beschleunigung für alle Projekte, und das kann keiner wollen", sagte zuletzt SPD-Fraktionsvize Detlef Müller. Umweltaktivisten von Greenpeace ist das offenkundig zu wenig: Sie fordern mehr Engagement gegen den Autobahn-Ausbau und stiegen den Sozialdemokraten aus Protest buchstäblich aufs Dach.
Die Sache mit dem nächsten Haushalt
Wer darf wie tief in die Kasse greifen, wer muss zurückstecken? Das alles ist Teil der laufenden Haushaltsplanungen für 2024, die schon jetzt heftige Verteilungskämpfe erwarten lassen – und Christian Lindner, FDP-Bundesfinanzminister und letztlich Kassenwart der Ampel-Koalition, vor knifflige Etatgespräche stellen dürften.
Nach Jahren der Krisenhaushalte und Entlastungspakete sind die Mittel knapper, die Ausgabenwünsche der Fachressorts aber nach wie vor groß: Die Bundesministerien wollen im kommenden Jahr 70 Milliarden Euro mehr ausgeben, zusätzlich zur bisherigen Etatplanung von 424 Milliarden Euro. Mitte März will das Bundeskabinett einen Beschluss zu den Eckpunkten des neuen Bundeshaushalts fassen.
Dass es in der Ampel durchaus Meinungsverschiedenheiten bei der Aufstellung des Haushalts 2024 gibt, zeigte schon ein bemerkenswerter Briefwechsel zwischen Lindner und Wirtschaftsminister Habeck, in dem die Koalitionspartner über vermeintlichen Sinn und Unsinn in der Etatplanung aneinander gerieten. Zuletzt haben Verteidigungsminister Boris Pistorius und Arbeitsminister Hubertus Heil, beide SPD, im rhetorischen Doppel-Wumms ihren jeweiligen Finanzbedarf angemeldet – gleichzeitig aber bekräftigt, dass weder das eine (höhere Verteidigungsausgaben) noch das andere (höhere Sozialausgaben) dadurch unter die Räder kommen dürfe.
Folglich versucht der FDP-Finanzminister, der sich gegen neue Steuern und Schulden stemmt, die Ausgabenwünsche kleinzuhalten und mahnt eine Priorisierung an. Die Kindergrundsicherung, ein Prestigeprojekt der Grünen, kann ihm zufolge warten: "Nicht alles, was wünschenswert ist, geht sofort", sagte Lindner. "Konkret bei der Kindergrundsicherung gibt es noch gar kein Konzept", fügte er hinzu. Aus seiner Sicht gehe es vor allem um die Digitalisierung und Vereinfachung der Förderung von Kindern, nicht notwendigerweise um mehr Geld. "Höhere Transfers sind nicht immer der Königsweg."
Das sehen die Grünen, wenig überraschend, entschieden anders. Die Kindergrundsicherung – bei der diverse Leistungen vom Kindergeld bis zum Kinderzuschlag gebündelt werden sollen – sei das "wichtigste sozialpolitische Projekt dieser Bundesregierung", sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) zum "Spiegel". "Ein solches prioritäres Vorhaben muss natürlich auch im Haushalt Priorität haben." Geht es nach Paus, die im Januar Eckpunkte für das Projekt vorgelegt hatte, soll die Kindergrundsicherung im Jahr 2025 ausgezahlt werden. Auch Arbeitsminister Heil forderte im "Bericht aus Berlin" die Einführung, wenngleich er sich in der Finanzierungsfrage noch zurückhaltend gab.