Der grüne Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin hatte am Montag zunächst forsch gefordert, man müsse früher aus der Kernenergie aussteigen als im Jahr 2022. Und es komme auch nicht in Frage, von den ältesten Kernkraftwerken eines als so genannte "Kaltreserve" für Stromengpässe in Bereitschaft zu halten. Auch Parteichef Cem Özdemir machte breitflächig gegen die Atompläne der Regierung Front: "Ich erkenne noch keinen wirklich neuen Weg", erklärte er und fügte hinzu, das grüne Siegel bekomme man nur, wenn der Inhalt stimmt.
So sperrig präsentierte sich die grün-rote Landesregierung von Stuttgart bei weitem nicht. In einer Sieben-Punkte-Erklärung lobten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) die Bundesregierung am Dienstag dafür, dass "erstmalig eine Strategie für die Entwicklung der Energieversorgung in Deutschland bis 2050 formuliert" worden sei.
Mit Blick auf den bereits unter Kanzler Gerhard Schröder vereinbarten Atomausstieg wird der jetzigen Bundesregierung bescheinigt, der Weg führe "in die richtige Richtung". Bis zur Atomkatastrophe von Fukushima hatte Angela Merkel diesen Atomausstieg noch rückgängig machen wollen - nun hat sie den Ausstieg vom Ausstieg rückgängig gemacht.
Was jetzt beschlossen worden sei, so die Stuttgarter Grünen-Spitze, sei "grundsätzlich vernünftig und das Gebot der Stunde, weil es im Übrigen auch dem Bürgerwillen entspricht und von einer großen Mehrheit getragen wird". Kretschmann akzeptiert auch die Forderung seines bayerischen CSU-Amtskollegen Horst Seehofer, der erklärt hat, alle Bundesländer müssten bei der Frage nach einem atomaren Endlager grundsätzlich zur Suche auf ihrem Terrain bereit sein.
Atomausstieg verbindlich
Kretschmann macht in der Erklärung allerdings auch klar, dass seine Kooperationsbereitschaft mit Schwarz-Gelb in Berlin Grenzen hat. Auch er warnt davor, die harte Zeitvorgabe 2022 weich zu reden. "Oberste Priorität" bei der Zustimmung, "hat für mich, dass der Atomausstieg verbindlich und unumkehrbar bleibt". Nur ein Enddatum für den finalen Atomausstieg zu setzen, genüge nicht. Kretschmann verlangt für jedes Kernkraftwerk einen klaren Fahrplan. Hoch gelobt wird auch die Berliner Entscheidung, die beiden älteren Reaktorblöcke Neckarwestheim I und Philippsburg 1 dauerhaft stilllegen zu wollen.
Trotz ihrer sanften Zuwendung zur historischen Energiewende fordert die grün-rote Landesregierung vorsorglich die Änderung zahlreicher Details des Ausstiegs. Das kann noch zu schwierigen Verhandlungen im Bundesrat führen. Zwar können die Länder die zum Ausstieg gehörenden Gesetze nicht blockieren, weil sie nicht zustimmungspflichtig sind. Aber Kanzlerin Merkel hat klar angesagt, dass sie die Länder beim Ausstieg an ihrer Seite haben möchte. Darüber verhandelt sie am kommenden Freitag mit den Ministerpräsidenten aller Länder.
Kretschmann stellt Bedingungen
Die Bedingungen Baden-Württembergs an Berlin sind:
- Die Entscheidungen auf Bundesebene müssten in Einklang mit den energiepolitischen Zielen des Landes sein.
- Zu fördern sei der Ausbau der Erneuerbaren Energien ebenso wie die Modernisierung der Energieinfrastruktur, inklusive Netzausbau und der Entwicklung von Stromspeichern. Die bisher vorliegenden Planungen in diesem Bereich seien unzureichend.
- Berlin wird aufgefordert, die für die Gebäudesanierung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zur Verfügung gestellten Mittel auf mindestens fünf Milliarden Euro jährlich aufzustocken.
- Beim Ausbau erneuerbarer Energien setze die Bundesregierung zu einseitig auf die Stromgewinnung durch Windkraft auf hoher See. Die Deckelung der zusätzlichen Vergütung von regenerativen Energien bei 3,5 Cent pro Kilowattstunde sei nicht akzeptabel. Das bremse den Ausbau kostengünstiger Windkraftanlagen in den südlichen Bundesländern, wo es bei der Windkraft ohnehin einen großen Nachholbedarf gebe.
- Begrüßt wird von Kretschmann auch die Planung des Bundes, schadstoffarme Gaskraftwerke zu bauen. Dafür müssten finanzielle Anreize geschaffen werden.
- Beim umfassenden Ausbau der Stromnetze will Baden-Württemberg bei der Planung beteiligt sein. Eine Bundesbedarfsplanung auf Bundesebene unterstütze sie. Strikt Nein sagt Kretschmann jedoch zur Absicht der Regierung, die dafür notwendigen Raumordnungsverfahren auf die Bundesebene zu ziehen. Die Länder müssten "frühzeitig, fortlaufend und umfassend" in die Planung einbezogen werden.
- Schließlich seien bei der Energiewende die Interessen der Verbraucher und der Wirtschaft auf eine kostenverträgliche Umsetzung zu beachten.
Obstruktion lohnt nicht
Der friedfertige Ton des Papiers der Landesregierung wird in Stuttgart als Hinweis darauf gewertet, dass Grüne und SPD im Ländle wissen, dass sich wilde Obstruktion gegen die Regierungspläne für sie sich nicht politisch auszahlen würde. So verlockend es sei, die schwarz-gelbe Regierung in Berlin für ihren abrupten Kurswechsel und ihre bisherige Untätigkeit schlecht zu machen, so koste das nur Sympathie bei den Wählern. Und da der Ausstiegsbeschluss von Gelb-Schwarz an den Beschluss von Grün-Rot im Jahr 2003 anknüpfe, der den Ausstieg zum Jahr 2023 zum Ziel hatte, gebe es keine echte Chance zur politischen Querlegerei. Allerdings will man nicht zulassen, dass die harte Zeitvorgabe auf das Jahr 2022 von den Gegnern des Ausstiegs in der CDU weich geredet werde.
Die Stuttgarter setzen dabei auf die Unterstützung des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der in diesem Zusammenhang seinen kritischen Parteifreunden predigt: "Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit." Der Ausstieg sei eine pragmatische und keine ideologische Frage.