Am 20. Januar 2009 wird ein amerikanischer Politiker vor dem Kapitol in Washington seine Hand auf eine Bibel legen. Er wird Luft holen und seinen Amtseid sprechen: "Ich schwöre, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten getreulich ausführen und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften wahren, schützen und verteidigen werde." Wenn es nach dem Willen der meisten Deutschen geht, ist danach nichts mehr so, wie es einmal war. Denn sie wünschen sich, dass es Barack Obama sein wird, der Demokrat, der an jenem Tag den Eid schwört. Die Hoffnung: Mit ihm möge sich das Verhältnis zu den USA verbessern. Grundsätzlich.
Obama selbst hat erkannt, welche Hoffnungen weltweit in ihn gesetzt werden. Und er gibt sich als Versöhner. Nach Jahren der außenpolitischen Eiszeit zwischen Amerika und fast dem ganzen Rest der Welt will er einen Neuanfang in der Diplomatie wagen. In vielen Punkten liegt er dabei in Sachen Politikstil auf einer Wellenlänge mit den EU-Staaten. "Der Vereinigten Staaten sind die Hände gebunden durch die Weigerung von Bush und Cheney, mit nicht befreundeten Staaten zu reden", heißt es in seinem Wahlprogramm. "Nicht zu reden lässt uns keineswegs stark aussehen, sondern arrogant. Es nimmt uns Möglichkeiten und macht es schwerer für Amerika, internationale Unterstützung für unsere Führungsrolle zu erlangen." Obama möchte das Gefängnis in Guantanamo Bay schließen und den Krieg im Irak beenden. Außerdem plant er, eine Diplomatieoffensive zu starten, um den Nahen Osten zu stabilisieren.
Obama-Extra
Obamas Weltreise in einer nur einer Woche - lesen Sie alles über seine Tournee von Afghanistan bis London im -Extra "Obamas Auslandstour"
Im aktuellen stern: Barack Obama - Erlöser oder Verführer?
Mehr Verantwortung
Kritiker werfen ihm vor, dass er sich bisher nur vage zum transatlantischen Verhältnis geäußert habe. Seine Rede in Berlin soll offenbar genau diese Lücke schließen.
Dass es ihm dabei aber neben der Entkrampfung im Verhältnis zu Europa auch um eine gemeinsame Verantwortung für den Anti-Terror-Kampf geht, ist seit langem bekannt. Der US-Politiker will, dass die Verbündeten der USA sich stärker an Auslandseinsätzen beteiligen: "Obama wird bei Nato-Mitgliedern darum werben, dass sie mehr Soldaten in gemeinsame Sicherheitsoperation mit einbringen und mehr in den Aufbau- und Stabilisierungsprozess investieren. Er wird die Entscheidungsprozesse flacher gestalten und den Nato-Kommandeuren vor Ort mehr Flexibilität zugestehen", so der entsprechende Passus in seinem Wahlprogramm.
SPD und CDU sind nicht begeistert
Obama fordert mehr Solidarität im Anti-Terror-Kampf. Da wirkt es fast schon überraschend, dass die sonst so Obama-begeisterte SPD abweisend und kühl reagiert. "Man hilft seinen Partnern nicht, indem man sie überfordert", sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, stern.de. "Die Amerikaner müssen in Afghanistan die Hauptverantwortung tragen." Arnold verweist auf die 1000 zusätzlichen Soldaten, die Deutschland im Herbst in den Mittleren Osten schicken wird. "Wir sind damit drittstärkstes Entsenderland", so der SPD-Politiker. "Wir müssen in Deutschland aufpassen, dass wir uns nicht immer zuerst angesprochen fühlen." Gleichzeitig hofft Arnold jedoch auch, dass Obama einen neuen außenpolitischen Stil pflegen wird. "Es ist positiv zu bewerten, dass er internationaler denkt", so Arnold. "Wir sind überzeugt, dass Obama wieder mehr auf Verhandlungen setzt."
Auch die CDU hält sich bedeckt, was eine mögliche Obama-bedingte Aufstockung des Afghanistan-Kontingents angeht. "Wir dürfen nicht vergessen, dass die Bundeswehr bereits mit einer großen Zahl von Soldaten in ihren Auslandseinsätzen engagiert ist, besonders in Afghanistan", sagt Bernd Siebert, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. "Wir werden weiterhin deutliches Engagement zeigen, aber das muss nicht zwangsläufig militärisch sein. In diesem Bereich leistet die Bundeswehr bereits jetzt Erhebliches. Man sollte Aussagen im amerikanischen Präsidentenwahlkampf auch nicht überbewerten."

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Außenpolitisches Dilemma
Erst kürzlich hatte Obama vorgeschlagen, 10.000 amerikanische Soldaten aus dem Irak nach Afghanistan zu verlegen. Sein Signal: Auch die USA verstärken ihr Engagement. Obamas "Politik der vielen Schultern" bekommt damit immer plastischere Züge.
So droht die Frage der Nato-Auslandseinsätze zum Realitätstest für die deutsche Politik zu werden. Wenn Obama neue diplomatische Perspektiven mit bisher verfeindeten Staaten eröffnete und auch selbst bereit wäre, als amerikanischer Präsident einen höheren Einsatz zu erbringen, dann könnte man ihm schlecht aus Prinzip die Gefolgschaft verweigern, so wie einst George W. Bush. Ein moralisches Dilemma wäre die Folge, denn als politischer Totalverweigerer will schließlich niemand gelten. Gut möglich, dass Deutschland sehr bald wieder über den Einsatz in Afghanistan diskutieren muss.
Insgesamt jedoch steht die deutsche Politik Obama offen gegenüber. Die meisten Abgeordneten begrüßten, dass er seine Europa-Rede in Berlin halten will. Merkel sträubte sich zwar gegen seinen Plan, am Brandenburger Tor aufzutreten, empfängt ihn jetzt aber trotzdem in ihrem Amtssitz - Fototermin inklusive. Wahrscheinlich ist, dass es sich kaum ein deutscher Politiker derzeit leisten kann, offen gegen Obama zu opponieren. 61 Prozent der Deutschen wünschen sich ihn nach einer aktuellen stern-Umfrage zum Präsidenten.
Widerspruch aus der Bundesrepublik handelte sich Obama zuletzt bei einem innenpolitischen Thema ein. Als der Demokrat aus Illinois vor einigen Wochen die Einführung der Todesstrafe für Kinderschänder forderte, gab es einige Kritik. Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) appellierte an den demokratischen Präsidentschaftskandidaten: "Herr Obama, die Todesstrafe gehört weltweit abgeschafft!" Grünen-Chefin Claudia Roth widersprach dem Amerikaner energisch, und der CSU-Vorsitzende Erwin Huber sagte: "Kinderschändung ist mit das abscheulichste Verbrechen. Aber das Verbot der Todesstrafe muss absolute Gültigkeit haben." Das Getöse war schon bald verklungen.
Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den Deutschen und Obama bleibt die Gegnerschaft zur Außenpolitik der Ära Bush. Und der sorgt momentan für die größtmögliche Euphorie. Ein Stimmungswechsel im Verhältnis zur USA, das wär's. Was auch immer danach kommen mag.