EU-Schuldenkrise Merkels gefährliche Euro-Mission

Vor dem wegweisenden Euro-Wochenende zeigt sich die Bundesregierung verhalten optimistisch. In wichtigen Details gibt es Fortschritte. Für Kanzlerin Merkel hängt vom Verhandlungsergebnis in Brüssel auch der Haussegen in der schwarz-gelben Koalition ab.

Der lange Arbeitstag im Dienste der Euro-Rettung beginnt für die Kanzlerin ziemlich früh mit Sondersitzungen der Koalitionsfraktionen. Während andere beim Frühstück sitzen, hat Angela Merkel gerade ihren Auftritt bei den FDP-Abgeordneten hinter sich. Ein Pulk von Journalisten hält sie auf dem Flur des Reichstags auf. Ob denn der europäische Rettungsschirm eine Banklizenz bekomme, wird gefragt. "Jetzt kommt erstmal die Sonne raus", sagt Angela Merkel, eher genervt.

Ob sie in der vertrackten Euro-Schuldenkrise noch glänzen kann, wird sich bis kommenden Mittwoch zeigen. Die seit sechs Jahre regierende CDU-Chefin steht vielleicht vor ihrer größten Bewährungsprobe. Beim Gipfel-Marathon in Brüssel muss sie eine Lösung für den Euro und Europas Banken präsentieren, die alle Beteiligten überzeugt: Die hypernervösen Märkte, die ungeliebten Ratingagenturen, die G20-Partner bis zum US-Präsidenten Barack Obama hinauf - und ihre verunsicherte schwarz-gelbe Truppe in Berlin.

Um Erfolg zu haben, muss Merkel mit Frankreich endlich einen Kompromiss finden. In Berlin und Paris wird mit Engelszungen erklärt, es gebe gar keinen Streit. Die nicht abreißenden Spekulationen, die Franzosen wollten dem Euro-Rettungsfonds EFSF mit Hilfe einer Banklizenz Zugang zu den Gelddruckmaschinen der EZB-Währungshüter in Frankfurt verschaffen, gehörten ins Reich der Legende.

Dafür, dass die deutsch-französischen Differenzen tatsächlich kleiner als gedacht sein könnten, spricht der Optimismus der Bundesregierung, schon bis Sonntag das Konzept für die Bankenrettung unter Dach und Fach zu haben. Das wäre immerhin schon was. Doch Fortschritte in wichtigen Details des Gesamtpakets sind nicht viel wert, sollte es zwischen Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy beim Hebel-Mechanismus für den EFSF und der Umschuldung Griechenlands keinen Durchbruch geben.

Die Finanzwelt soll bereit sein, auf etwa 40 Prozent ihrer Forderungen gegenüber Athen freiwillig zu verzichten - im Juli waren es nur 21 Prozent, was längst nicht mehr reicht. Experten fordern, dass Banken und Versicherer 50 Prozent, wenn nicht gar 60 Prozent opfern müssen, um den Griechen eine Überlebensperspektive zu bieten.

Beim ominösen Hebel wird weltweit mit Spannung verfolgt, was die Euro-Spitzen ausbrüten. Wie in Berlin zu hören ist, gibt es zwei erfolgversprechende Modelle, die in der engeren Auswahl sind. Erstens die viel diskutierte Versicherungslösung, eine Art Teilkasko, bei der der Fonds EFSF nur teilweise das Risiko bei neuen Staatsanleihen übernimmt, aber Investoren von außen dazu kommen und so die Schlagkraft des Schirms erhöht wird.

Denkbar ist zweitens, dass der finanzstarke Internationale Währungsfonds (IWF) über seine vielfältigen Programme eine Art Co-Finanzierung beim EFSF für kriselnde Euro-Länder übernimmt. Zuletzt gab es aber Knatsch zwischen Europäern und IWF wegen Griechenland.

Eine dritte, interessante Variante wäre die Möglichkeit, ausländische Staatsfonds zu einem Engagement in der Euro-Zone zu bewegen. Das ist politisch aber heikel, weil noch mehr Fremde den Euro-Bossen hineinreden könnten.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Innenpolitisch ist die Hebel-Geschichte zur Achillesferse von Merkel geworden, weil viele Abgeordnete kaum glauben können, dass das Risiko für die Steuerzahler bei 211 Milliarden Euro bleibt - selbst, wenn der EFSF auf Billionensummen gehebelt wird. Immer größer wird der Unmut ausgerechnet in der CDU-Schwesterpartei CSU, während die FDP zunächst einmal mit ihrem Steuersenkungs-Bonbon zufrieden sein dürfte.

Dazu kommt eine Opposition, die angesichts der Euro-Dramatik eine Kanzlerinnendämmerung aufziehen zieht. Am Freitag versuchten SPD, Grüne und Linke vergeblich, im Haushaltsausschuss den schwarz-gelben Fahrplan bei den Euro-Leitlinien zu verzögern.

In Koalitionskreisen wird eingeräumt, dass man sehr auf der Hut bleiben müsse, damit künftige Abstimmungen zu den neuen Werkzeugen des Euro-Rettungsschirms EFSF nicht doch noch im Plenum des Bundestages landeten. Ob Merkel dort noch ein weiteres Mal ihre Kanzlermehrheit erreichen würde, ist fraglich. Diesen Kraftakt will sich Schwarz-Gelb für Anfang 2012 aufheben, wenn der dauerhafte Rettungsfonds ESM beschlossen werden soll. Das wäre im Erfolgsfall endlich wieder ein Sonnenschein-Tag für Merkel - aber der Weg dahin ist weit.

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Tim Braune/DPA

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