Auf der Tagesordnung stand der Haushalt für das kommende Jahr. Sprich: Wie viele Millionen werden in das Bildungssystem investiert, welches Budget erhält der Verteidigungsminister, wie viel muss an Hartz-IV-Empfänger ausgezahlt werden und was bleibt für den Ausbau des Gesundheitswesens oder der Forschung? Und vor allem: Mit wie viel neuen Schulden muss dieser Haushalt finanziert werden.
Aber die Generaldebatte ist traditionell der Zeitpunkt, an dem die Opposition mit der Regierung abrechnet. Wenn man sie lässt. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte SPD und Grüne nicht lassen. Sie ließ SPD-Chef Sigmar Gabriel den Vortritt am Rednerpult - und widmete sich in ihrer Antwort zunächst anderen Themen.
Denn dieser Tage rückt die finanzielle Zukunft der Bundesrepublik – und sei sie noch so nah – in den Hintergrund – angesichts der Mordserie einer Gruppe von Neonazis. Daher beginnt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem Exkurs. "Diese Taten sind nicht mehr und nicht weniger als ein Angriff auf unser demokratisches Gemeinwesen", sagt Merkel. Die ganz in Schwarz gekleidete Kanzlerin forderte die demokratischen Parteien zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die rechtsextremistische Ideologie auf. "Wir sollten uns allen den Vorwurf, auf irgendeinem Auge blind zu sein, ersparen. Das treibt nur einen Keil in die Gemeinsamkeit der Demokraten." Die Kanzlerin verspricht den Angehörigen der Opfer der Mordserie, Politik und Sicherheitsbehörden würden alles tun, um die Taten und deren Hintergründe aufzuklären.
Deutschland und der Euro - untrennbar
Und auch nach dem derzeit wichtigsten innenpolitischen Thema, muss der deutsche Haushalt noch eine Weile warten. Zunächst wirbt Merkel erneut für ihren Kurs in der Eurokrise. Auf gute Stimmung im Parlament bedacht, bedankt sich Merkel für die Unterstützung für den Rettungsschirm. "Deutschlands Zukunft ist untrennbar mit dem Euro verbunden", unterstreicht die Kanzlerin.
Merkel setzt an, um Schritt für Schritt die Griechenlandrettung zu erklären. Dabei scheint sie das Manuskript, das vor ihr auf dem Rednerpult liegt, nicht mehr zu benötigen. Die Eurokrise – das ist ihr Thema, da fühlt sie sich sicher. Durch Zwischenrufe lässt sie sich nicht irritieren. Immer wieder fällt das Wort "Vertrauensverlust". Griechenland sei zwar ein Ausnahmefall, so Merkel, aber die Europäische Union müsse jetzt Instrumente entwickeln, damit sie gegen weitere Krisen und verschuldete Staaten gewappnet sei.
Merkel: "Wir sind ja alle einer Meinung"
Es sind keine neuen Erkenntnisse und Einschätzungen, die Merkel verkündet. Vielmehr unterstreicht sie ihre Positionen: An dem Mandat für die EZB darf nichts geändert werden, Eurobonds sind keine Lösung, die Fiskalunion ist das erstrebenswerte Ziel, auch wenn es dafür Änderungen in den EU-Verträgen geben muss.
Mit der Finanztransaktionssteuer ist Merkel bislang bei ihren europäischen Kollegen gescheitert, aber sie will nicht klein beigeben. "Es hat sich schon vieles in Europa geändert, daher gebe ich die Hoffnung nicht auf." Zwischenrufe wehrte sie auch hier ab mit dem Hinweis: "Wir sind ja alle einer Meinung."
Selbst als diese beiden gewichtigen Themen durch sind, kommt Merkel noch nicht zum Innenpolitischen. Sie verliert ein paar Worte zum ständig steigenden CO2-Ausstoß und dass es in Durban keine Anschlussregelung für Kyoto geben werde, die Bundesregierung aber an ihren Reduktionsziele festhalten will.
Während das Gemurmel im Saal größer wird, versucht Angela Merkel, den Bogen vom arabischen Frühling ("Wir schauen mit Bangen nach Ägypten und mit Schrecken nach Syrien") über die anstehende Afghanistankonferenz in Bonn zur Energiewende.
Dann doch - der Haushalt
Für den Haushalt 2012 bleiben dann nur noch ein paar Minuten. Kurz werden Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, das Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt abgehakt. " Sechs Milliarden mehr für Forschung, sechs Milliarden mehr für Bildung. Das ist Zukunftsinvestition, das hat es noch nie gegeben." Merkel rühmt die Erfolge für den Arbeitsmarkt: 41 Millionen Menschen seien in Arbeit, so viele wie noch nie. Merkels Fazit: "Die Situation in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Die Realeinkommen sind gestiegen und steigen."
Hämische Lacher und Zwischenrufe aus der Oppositionsecke blockt Merkel ab. In Sachen Arbeitsmarktpolitik hätte die SPD nichts auf die Reihe bekommen. "Sieben verschwendete Jahre auf diesem Bereich. Sie hätten sieben Jahre Zeit gehabt, wenn es Ihnen so am Herzen liegen würde." Auch das Betreuungsgeld verteidigt sie gegen die Angriffe der Opposition. "Jetzt machen Sie mal nicht Rosinenpickerei." Schließlich stamme die Idee doch aus Schweden und das sei nun mal das hoch gelobte Vorbildland.
Abschließend giftet Merkel gegen ihre Kritiker, die ihr vorwerfen, immer die selben Themen zu haben. "Ich spreche überall gleich, egal, ob ich mit Ihnen spreche, mit meinen politischen Freunden, mit der Bundesbank. Das ist mein Vorteil. Ich spreche nicht doppelzüngig."
Gabriel musste vorlegen
Zu dem erwarteten Schlagabtausch zwischen Opposition und Bundeskanzlerin konnte es nicht kommen, da Merkel SPD-Chef Sigmar Gabriel den Vortritt gelassen hatte. So musste Gabriel in Vorleistung treten. Er warf der schwarz-gelben Bundesregierung Unglaubwürdigkeit bei der Haushaltskonsolidierung vorgeworfen. In einer Zeit mit gutem Wirtschaftswachstum und steigenden Staatseinnahmen vergrößere die Koalition den Schuldenberg Deutschlands, sagte Gabriel zu Beginn der Generalaussprache. Der Haushaltsentwurf sei eine Sprechblase, die direkt in die Rezession führe, wetterte Gabriel, das Manuskript in seiner Hand bebte.
Damit verstießen Union und FDP gegen den Grundsatz der Schuldenbremse, in guten Zeiten zu sparen und in schlechten Zeiten zu investieren. "Sie stellen die Schuldenbremse in unserer Verfassung auf den Kopf", sagte Gabriel. "Wann, wenn nicht jetzt, sollen wir die Schulden abbauen?" Zugleich fordere die Kanzlerin von anderen Staaten in Europa einen ganz harten Sparkurs ein, kritisierte Gabriel. Scharf kritisierte Gabriel Merkels Kurs in der Schuldenkrise. Die Europäische Zentralbank (EZB) häufe durch Ankäufe von Staatsanleihen aus Schuldenländern immer höhere Risiken an. "Wir wollten doch keine Schulden- und Transferunion, doch genau das geschieht zur Zeit in Europa", sagte er. "Sie spielen mit dem Feuer", warf er Merkel vor.
Scharf kritisierte Gabriel die von Union und FDP geplanten Steuersenkungen, die er als "Blödsinn" bezeichnete. "Statt zu sparen, ziehen Sie auch noch die Spendierhosen an", sagte er. Die Steuersenkungen würden die Finanznot von Städten und Gemeinden verschärfen und dadurch auch der Verbreitung des Rechtsextremismus Vorschub leisten. "Dort, wo sich Städte und Gemeinden aufgrund ihrer Finanznot zurückziehen, dort dringen Neonazis ein", sagte Gabriel. Die Streichung von Freizeit- und Betreungseinrichtungen schaffe "sozial entleerte Räume", in denen sich Neonazis breit machen könnten.
Das Parlament soll den Haushalt 2012 am Freitag verabschieden. Der Entwurf sieht Gesamtausgaben des Bundes in Höhe von 306,2 Milliarden Euro sowie eine Neuverschuldung von 26,1 Milliarden vor.
Die Luft war raus
Nach der Rede der Bundeskanzlerin war die Luft aus der Debatte raus. Die Reihen im Parlament lichteten sich, der Applaus für die Redner wurde dünner. Vorwürfe prallten an Merkel ab. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sprang ihr noch zur Seite: Er warnte die SPD davor, die geplanten Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen über den Bundesrat zu blockieren. Dies würde gerade die Anhänger der Sozialdemokraten treffen, sagte Brüderle. Schwarz-Gelb will die unteren Einkommen 2013 und 2014 um insgesamt sechs Milliarden Euro entlasten.
Zugleich hob Brüderle die positive wirtschaftliche Lage in Deutschland hervor. Gesamteuropa möge möglicherweise "nahe am Rande einer Rezession stehen, Deutschland nicht", sagte er an die Adresse der Opposition. Und der gab er auch gleich noch eine Weisheit mit auf den Weg: "Wenn Schröder, Scharping, Lafontaine das Trio Infernale waren, sind heute Steinmeier, Gabriel, Steinbrück das Trio Immobile. Sie machen so was wie ein Kanzlerkandidaten-Mikado: Wer sich von Ihnen als Erster bewegt, hat verloren."
Nach diesem müden Schmunzler auf Kosten der Opposition versuchte Linke-Chef Klaus Ernst die Debatte nochmals auf die europäische Ebene zu schieben. "Sie haben mit ihrer Politik der Erpressung das europäische Projekt entleert und die EU zum Inkassobüro der privaten Banken gemacht", sagte er. "Diese Politik wird sich rächen."