Nur zwei Tage liegen zwischen den Morden an Mehmet Kubasik und Halit Yozgat, nicht mal 200 Kilometer zwischen den Tatorten Dortmund und Kassel. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren in einem Fiat-Wohnmobil Modell "Chausson Welcome 70" mit dem Kennzeichen C-AJ 940 unterwegs im Westen. Am 4. April 2006 töteten sie zunächst den Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubasik und dann, am 6. April 2006, Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel mit jeweils zwei Schüssen in den Kopf.
Ihre Freundin Beate Zschäpe, angeklagt als Mittäterin dieser und acht weiterer Morde, bekommt viele Briefe ins Gefängnis. Die Karte von Robin Sch., 28 Jahre alt, Dortmunder Neonazi und Häftling in der Justizvollzuganstalt Bielefeld, aber muss sich abgesetzt haben von all den anderen Heiratswilligen, Spinnern und Sensationsgierigen, die ihr sonst schreiben. Sie antwortete, auf 26 eng beschriebenen Seiten. Der Brief verrät viel über die mutmaßliche Terroristin, die im Gerichtssaal schweigt. Noch ist nicht bekannt, ob und, wenn ja, wie gut sich Beate Zschäpe und der zehn Jahre jüngere Robin Sch. kannten. Das Innenministerium Nordrhein-Westfalen, das den in der Zelle von Robin Sch. gefundenen Brief Zschäpes an ihre Ankläger der Bundesanwaltschaft überstellte, vermerkt: "Der außergewöhnliche Briefverkehr" könne Anhaltspunkte dafür geben, "dass bereits ein vorangehendes Kennverhältnis bestanden haben könnte".
Recherchen von stern.de zeigen: Die Brieffreundschaft zwischen Zschäpe und Robin Sch. wirft bereits jetzt ein Schlaglicht auf Verbindungen von Neonazis in Dortmund und Kassel – möglichen lokalen NSU-Unterstützern also –, die über einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang der beiden Taten hinausgehen.
Neonazi-Party in Kassel - kurz vor dem Mord
Robin Sch. ist ein schlaksiger junger Mann mit "Combat 18"-Tattoo am linken Handgelenk. 18, das steht für die Buchstaben AH im Alphabet, die Initialen von Adolf Hitler. Im Jahr 2005 war Sch. dabei, als Kasseler und Dortmunder Neonazis zusammen in Niedersachsen zu Skinmusik tanzen wollten. In Bad Essen, einem kleinen Nest in der Nähe von Osnabrück, hatte ein NPD-Funktionär gerade mit dem Park Hotel einen "Tagungsort für Nationale, ideal auch für Fest und Feiern" eröffnet. Doch die Polizei verbot das Konzert, die Teilnehmer erhielten Platzverweise, ihre Personalien wurden aufgenommen: Neben Robin S. waren unter den gut 50 angereisten Neonazis: Marco G., Sänger der Dortmunder Skinband Oidoxie und Michel F., eine Kasseler Neonazi-Größe und Führungskader der Kasseler Kameradschaft "Sturm 18".
Zwischen Michel F. und Marco G. bestand wohl guter Kontakt. Nur wenige Monate später versuchten sie es erneut mit der gemeinsamen Party: Am 18. März 2006, getarnt als Geburtstagsfeier eines weiteren Sturm-18-Führungskader, trat der Dortmunder Marco G. mit seiner Band im Bandidos-Clubhaus in Kassel auf und brachte seine eigene Schlägertruppe mit: Die "Oidoxie Streetfighting Crew" sorgte an diesem Abend für Sicherheit, koordiniert von Michel F. Er war für den Einlass zuständig, so erzählt er es in einer Vernehmung dem BKA. Daher erinnere er sich noch so genau an die Teilnehmer, sagt er und meint, dort einen von den beiden NSU-Terroristen gesehen zu haben. Als ihm die Vernehmer des BKA Fotos vorlegen, identifiziert er Uwe Mundlos: "Das ist der bei dem ich glaube, dass ich ihn in Kassel gesehen habe."
Ein weiterer Neonazi bestätigt die Version Michel F.s, andere Zeugen aus der Kasseler rechten Szene sagen unabhängig voneinander aus, Mundlos und Böhnhardt auf Neonazi-Konzerten im Raum Kassel gesehen zu haben, können aber den Zeitpunkt nicht bestimmen.
Und der Verfassungsschutz ist auch dabei
Das Clubhaus der Bandidos liegt nur 1,5 Kilometer von Yozgats Internetcafé entfernt. Sollte die Zeugenaussage Michel F.s stimmen, grölte Mundlos gut zwei Wochen vor dem Mord Oidoxie-Hits wie "Terrormachine" und "Rächer der Nation". Unter den Augen des Verfassungsschutzes, denn mindestens ein Spitzel erinnert sich ebenfalls an den Abend: Benjamin G. will auch auf diesem Konzert gewesen sein. Er berichtete über die Kasseler Kameradschaften an das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen – er berichtete an Andreas T. An den V-Mann-Führer, der zur Tatzeit in Yozgats Internetcafé chattete – und vom Mord nichts mitbekommen haben will.
Doch Benjamin G. war möglicherweise nicht der einzige V-Mann auf dem konspirativen Kasseler Konzert: Sebastian S., der jahrelang vom nord-rheinwestfälischen Verfassungsschutz für seine Informationen bezahlt wurde, war Mitglied der "Oidoxie Streetfighting Crew", die an diesem Abend die Security stellte. In seiner Kneipe "Störtebecker" in Lünen bei Dortmund trafen sich bis zu seiner Enttarnung regelmäßig Neonazis, S. soll 2006 und 2007 darüber an das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen berichtet haben, obwohl gegen ihn gleichzeitig ein Ermittlungsverfahren wegen Drogen- und Waffenhandels lief. Er wurde 2008 verurteilt.
Der Spitzel Sebastian S. war bis 2006 sogar selbst Mitglied einer Terrorgruppe, die dem NSU nicht unähnlich war. Als militärischer Arm des Neonazi-Netzwerks "Blood and Honour" soll er nach 2003 gemeinsam mit Robin Sch. und Marco G. die militante Gruppe "Combat 18"-Dortmund gegründet haben. Das ideologische Vorbild: der "führerlose Widerstand", nach dem auch der NSU agierte.
Enger Kontakt zu NSU-Unterstützern
Beate Zschäpe und Robin Sch., die heutigen Brieffreunde, sind sich also zumindest ideologisch nahe. Sch. wird als "politischer Gefangener" von der rechten Szene in den gleichen Solidaritätsaufrufen wie Zschäpes Mitangeklagter, der mutmaßliche NSU-Terrorhelfer Ralf Wohlleben, gefeiert. Sch. soll 2006 bei einem Überfall auf einen Plus-Supermarkt viermal auf einen tunesischstämmigen Mann geschossen haben, der nur durch eine Notoperation überlebte. Die Tatwaffe hatte er vom V-Mann Sebastian S. bekommen.
Sebastian S. wurde schon wenige Tage nach der Enttarnung des NSU im November 2011 zu möglichen Verbindungen des Terrortrios nach Dortmund befragt: Am 25. November 2011 saß S. mit einem Polizisten bei McDonalds in Bielefeld. Der Vermerk über das Gespräch liegt stern.de vor. Auf Fotos erkannte S. lediglich einen anderen Dortmunder Neonazi und nicht die NSU-Mitglieder. Er benannte den Oidoxie-Sänger Marco G. als treibende Kraft hinter der "Combat 18"-Gruppe.
Besonders pikant daran ist: Der Dortmunder Marco G., der bei einem Konzert seiner Band Oidoxie in Hamburg auf der Bühne rief "Wir sind keine Spaßfraktion", stand wohl jahrelang in Kontakt mit Personen aus dem "Blood and Honour"-Umfeld Sachsen, die maßgeblich das Untertauchen von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Chemnitz unterstützten. Antje P. hatte zumindest 1998 noch direkten Kontakt mit dem Trio, sie soll Beate Zschäpe mit einem Personalausweis ausgeholfen haben. 2001 war sie gemeinsam mit Marco G. auf einem Treffen der rechten Gefangenenhilfsorganisation HNG in Fulda. Jan W., Produzent der mittlerweile verbotenen "Blood and Honour"-Band "Landser" soll nach Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsens ebenfalls das Trio in Chemnitz bis ca. 2000 "versorgt" haben. Gemeinsam mit dem "Landser"-Schlagzeuger plante der Dortmunder Marco G. 2001 ein Konzert in seiner Heimatstadt. Und in den Kontaktnotizen von Thomas S., "Landser"-Vertriebsleiter, NSU-Sprengstofflieferant, zeitweiliger Zschäpe-Liebhaber und Spitzel des LKA Berlin soll Marco G. ebenfalls angegeben sein.
Hinweise auf NSU-Helfer vor Ort?
Sachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen - das engmaschige Netzwerk der Neonazis erstreckt sich über die Grenzen von Bundesländern. Es ergeben sich daraus unmittelbare Verbindungen zwischen den Tatorten Dortmund und Kassel – könnten es auch unmittelbare Verbindungen von möglichen NSU-Unterstützern vor Ort sein?
Zumindest ist es eine Szene, zu der Beate Zschäpe auch aus der Untersuchungshaft hinaus noch Kontakt hält. Es ist wohl kein Zufall, dass sie ausgerechnet Robin Sch. Anfang des Jahres auf seine Karte antwortete. Die Bundesanwaltschaft allerdings sieht momentan "keinen Handlungsbedarf" für weitere Ermittlungen. Robin Sch., ebenso wie der Oidoxie-Sänger Marco G. wurden bisher noch nicht vernommen. Ihr Kasseler Bekannter Michel F. hingegen hat umfassend ausgesagt. Er will mittlerweile aus der rechten Szene ausgestiegen sein, ist jetzt bei der Rockerbande Bandidos aktiv. Doch seinen Bauch ziert vermutlich immer noch das riesige "Sturm-18"-Tattoo, den Namen der Kasseler Kameradschaft hat er sich unter seinen Rippenbogen stechen lassen. Ebenso wie sich das Oidoxie-Konzert 2006 in Kassel in seiner Erinnerung eingebrannt hat, auf dem Dortmunder, Kasseler und möglicherweise auch Zwickauer Neonazis zusammen tanzten, zum Refrain von "Terrormachine".
Die Autorin Lena Kampf berichtet für stern.de vom NSU-Prozess und schreibt ein Blog zum Thema.