Dass Deutschland einen "Wirtschaftskrieg" gegen Russland führe und die Ampel-Koalition die dümmste Regierung sei, diese Anschuldigungen, die Sahra Wagenknecht in ihrer Bundestagsrede am 8. September erhoben hat, bekräftigte sie auch bei Markus Lanz erneut. Sie befand, dass sie gute Oppositionsarbeit leisten würde, man könne das "nicht der AfD überlassen". Ihre Ausführungen über die Versäumnisse und den unklaren, zaudernden Kurs der Bundesregierung stimmen, bestätigte auch die Journalistin Kerstin Münstermann. Aber die sehr bewusste Wortwahl in Bezug auf Russland und die Regierung, die würden für eine inakzeptable Täter-Opfer-Umkehr sorgen.
Zu Gast bei "Markus Lanz" waren:
- Sahra Wagenknecht (Die Linke), Politikerin
- Kerstin Münstermann, Journalistin bei der "Rheinischen Post"
- Leonid Wolkow, russischer Oppositionelle und Berater des inhaftierten Kreml-Kritikers Nawalny
"Natürlich" sei sie noch Mitglied der Partei, erklärte Wagenknecht auf Nachfrage, der Antrag auf ihren Ausschluss war zurückgezogen worden. Stattdessen hätten viele Parteimitglieder ihr Zustimmung zu Ihrer Rede signalisiert, ebenso wie Wähler*innen. Und die Kernaussagen vom 8. September wiederholte die Politikerin auch bei Markus Lanz. Sie könne nicht verstehen, so Wagenknecht, dass wir "Probleme haben in Deutschland rational zu diskutieren". Zum einen sei es "absurd", dass sie als Putin-Sprecherin dargestellt würde, zum anderen würde der Satz über "die dümmste Regierung Europas" immer wieder aus dem Zusammenhang gerissen werden. Markus Lanz spielte deswegen eine längere Sequenz der Rede ein, allein, die Tatsachen blieben wie sie waren.

Sahra Wagenknecht, die Russlandversteherin
Auch Leonid Wolkow machte Wagenknecht den Vorwurf, eine Putin-Versteherin zu sein. Die Politikerin hatte im Talk mehrfach erklärt, sie würde für die verzweifelten Menschen in Deutschland sprechen, die aufgrund der gestiegenen Preise nicht mehr wüssten, wie es weitergehen soll und für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Insolvenz anmelden könnten, wenn es künftig keine tragfähigen Konzepte der Regierung geben würde.
Sie spreche explizit nicht für Russland, fände die Anschuldigung eine Russlandversteherin zu sein, aber "nicht beleidigend". Wolkow zeigte auf, wie sehr Wagenknecht im Sinne Wladimir Putins agiert, weil sie darauf drängt, dass die Ukraine "realistische" Forderungen stellen muss und im Sinne einer Beendigung des Krieges zurückstecken sollte. Der russische Oppositionelle, Kerstin Münstermann und Markus Lanz waren sich einig, dass dem nicht so sei.
Zugeständnisse von russischer Seite
Sahra Wagenknecht blieb auf Linie und betonte, dass man "mit Moral" keinen Krieg beenden könne. "Auch der Täter muss was anbieten", sagte sie, vor allem aber brauche es "Zugeständnisse" von ukrainischer Seite. Man könne ja, so die linke Politikerin, den Konflikt einfrieren, dass sich Landesgrenzen hier und da ein wenig verschieben, das sei ein normaler Prozess im Kriegsgeschehen. Es ginge vor allem darum den Krieg zu beenden und irgendwie natürlich auch um die Deutschen, die unter den Auswirkungen der Sanktionen ihrer Meinung nach sehr viel stärker leiden würden als Putin und Russland.
Leonid Wolkow versuchte mehrfach dies zu widerlegen, erklärte, dass die Maßnahmen durchaus die russische Wirtschaft schwächen würden, aber Wagenknecht preschte weiter voran.

Ruinieren die Sanktionen die deutsche Wirtschaft?
"Wir helfen doch nicht der Ukraine, indem wir unsere Wirtschaft ruinieren", mahnte sie und schürt damit natürlich die Ängste vieler Deutschen. Die Sanktionen aus Deutschland bedeuten laut Wagenknecht einen "Wirtschaftskrieg" mit Russland, an diesem Framing hielt sie sich die Sendung über weiterhin fest. Es sei natürlich kein Krieg mit Waffen aber einer, der Deutschland mehr schaden würde als Russland und deswegen für unseren Wohlstand fatal sei.

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Markus Lanz versuchte die Politikerin dazu zu bringen, ihre Wortwahl zu überdenken, aber die sah das überhaupt nicht ein: Immerhin habe sie diesen Begriff ja gar nicht erfunden, der käme aus den Medien. Offensichtlich gefällt er ihr aber so gut, dass sie ihn immer weiter reproduziert, statt, wie sie es selbstverständlich könnte, neue Worte und Umschreibungen zu suchen, die näher an der Wahrheit sind.
Politiker*innen wählen ihre Worte mit Bedacht und die Tatsache, dass Sahra Wagenknecht auch im Talk mit Lanz immer wieder auf diese Wortwahl drängte, zeigt, dass der Fokus auf der Provokation der Regierung und der Spaltung der Gesellschaft liegt. Denn die meisten Menschen tragen die Entscheidung, keinen Strom und Gas mehr aus Russland zu beziehen, ja mit, wissend, dass die Preise steigen.
Wagenknecht wirft Deutschland Doppelmoral vor
Auch wenn dieser Punkt extrem strittig blieb, Sahra Wagenknecht hat natürlich recht, wenn sie darauf hinweist, in wie viele Konflikte und Kriege Deutschland sich nicht einmischt, wo keine Sanktionen verhängt wurden. "Schäbig" nannte sie das, und wies auf die "Doppelmoral" hin, die die Regierung hier an den Tag legen würde. Und das stimmt, da kann es keine zwei Meinungen geben. Aserbaidschan oder Bahrain sind keine Vorbild-Demokratien sondern Länder mit ähnlich unberechenbaren und teilweise verbrecherischen und/oder kriegerischen Handlungen. Dennoch werden hier Geschäfte gemacht, denn irgendwoher muss die Energie ja kommen.
Weitere Themenpunkte:
- Waffenlieferungen an die Ukraine: Die Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine hält Wagenknecht für einen "großen Fehler". Ein Krieg sei nicht mit Waffen zu gewinnen sondern mit Diplomatie. Die Politikerin fragte, warum nicht von außen versucht wurde, mehr zu intervenieren und die Ukraine und Russland an einen Tisch zu bringen. Vollkommen unbeantwortet blieben die Fragen der anderen Anwesenden, wieso die Ukraine Landesgrenzen abgeben sollte.
- Alexei Nawalny: Leonid Wolkow berichtete, dass Nawalny seit einem Monat und auf unbestimmte Zeit in einer 2x3m großen Strafzelle untergebracht ist. Als Grund dafür vermutet Wolkow die Mobilmachung in Russland. Er rechnet mit einer neuen Protestwelle. An eine Änderung in seinem Land glaubt der Autor dennoch. Für ihn steht fest, dass Alexei Nawalny irgendwann der Präsident Russlands sein wird.
Die Debatte bei "Markus Lanz" war hitzig, oft war nicht zu verstehen, was die Talkgäste einander sagen wollten. Lanz selbst versicherte Sahra Wagenknecht mehrfach, wie sehr er sie schätzen würde, um dann wieder und wieder darauf zu beharren, dass die Täter-Opfer-Umkehr und der Vorwurf der dümmsten Regierung ein Fehler waren. Als würden diese Aussagen sie dazu bewegen, in der Talkshow plötzlich einen neuen Standpunkt einzunehmen.
Einfache Polemik statt echter Oppositionsarbeit
An diesem Abend wurde aber sehr deutlich, dass Sahra Wagenknecht nach wie vor fest auf eher tumbe Art auf Stimmenfang geht. Denn es ist und bleibt der einfachste Weg mit den Sorgen und Ängsten von Bürger*innen zu spielen und hier versuchen Boden gut zu machen. Alle sind von den Preissteigerungen betroffen, wenn auch die Talkgäste sie vermutlich weniger deutlich spüren werden als die Zuschauenden. Echte Oppositionsarbeit sollte aber nicht auf schnellen Stimmenfang aus sein, sondern auf Überzeugungsarbeit. Vieles was Sahra Wagenknecht an diesem Abend zu sagen hatte, hat durchaus das Potential dafür. Und doch entschied sich die Linken-Politikerin für den einfachen, polemischen Weg. Erwartbar war das, aber auch enttäuschend.