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"Maybrit Illner" Illner versucht die Front Ost-Europa vs. West-Europa zu öffnen – doch ihre Gäste lassen sie nicht

Die Gäste bei "Maybrit Illner" diskutieren über Europas Außenpolitik im Ukraine-Krieg
Die Gäste bei "Maybrit Illner" diskutieren über Europas Außenpolitik im Ukraine-Krieg
© Jule Roehr / ZDF
Maybrit Illner wollte mit ihren Gästen nach Streitherden in der EU suchen, wo es eigentlich um Einigkeit gehen sollte. Der Gast aus den USA lobte Deutschlands Handeln. –

Eine Talkshow mit dem Thema Streit zu übertiteln führt eher selten zu Harmonie. Dennoch war insbesondere ein Gast bei Maybrit Illner sehr darum bemüht zu vermitteln. Über "Streit statt Stärke – doch nicht gemeinsam gegen Putin?" sollte diskutiert werden, anfänglich ging es aber vor allem um Recep Tayyip Erdoğan. 

Zu Gast bei "Maybrit Illner" waren: 

  • Claudia Roth (Bündnis 90 / Die Grünen), Kulturstaatsministerin 
  • Gwendolyn Sass, Politologin und Slawistin, Direktorin des Berliner Zentrums für Osteuropa- und Internationale Studien (ZOiS) 
  • Manfred Weber (CSU), Partei- und Fraktionsvorsitzender der christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament 
  • Ben Hodges, Generalleutnant a. D., bis Ende 2017 Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa, jetzt Spezialist für geopolitische Fragen und europäische Verteidigungspolitik am Center for European Policy Analysis (CEPA)
  • Deniz Yücel, deutsch-türkischer Journalist und Publizist
  • Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios Washington 

"Brandgefährlich" sei das doppelte Spiel, dass Erdoğan zurzeit mit der EU und Russland spiele, sagte Manfred Weber. Die EU solle sich auf keinen Fall darauf einlassen, sondern stattdessen klare Kante zeigen und mit Entschiedenheit und Stärke agieren. Genau das ist aber schon länger nicht die Stärke der EU, gerade auch jetzt im Krieg gegen die Ukraine wird das überdeutlich. Viel Einigkeit scheint da nicht vorhanden, einzelne Mitgliedstaaten beschweren sich immer wieder über eine deutsche Zurückhaltung bei Waffenlieferungen oder die in den Augen mancher zu häufigen Telefonate mit Putin.

Claudia Roth sah darin kein größeres Problem, es würden in diesen Besprechungen ja keine Verhandlungen geführt, Gwendolyn Sass sah darin sogar einen Vorteil. Denn wenn nicht gesprochen würde, könnte der Moment verpasst werden, an dem es Gesprächsbereitschaft auf Putins Seite geben würde. 

"Autokraten sind keine verlässlichen Partner"

Deniz Yücel fürchtet vor allem, dass die Türkei eine "Aufwertung" erfahren könnte, wenn man Erdoğan zu sehr die Rolle des Vermittlers abnehme. "Autokraten sind keine verlässlichen Partner", sagte er. Das hat uns Putin gelehrt, und das könnte uns in fünf bis zehn Jahren auch Erdoğan lehren. Doch aktuell steht das eher nicht zu befürchten. Elmar Theveßen berichtete per Videoschalte aus Washington, dass man von Erdoğan "sehr genervt" sei. Seine Blockade, Schweden und Finnland in die Nato aufzunehmen, wird dabei eben so kritisiert wie die Forderungen nach neuen Flugzeugen. Aber bei allem Frust, Ben Hodges machte deutlich, dass es seiner Meinung nach "keine Nato ohne die Türkei" geben könne. Recht selbstkritisch räumte der Generalleutnant a. D. Versäumnisse der USA in Bezug auf die Türkei ein, um dann darauf hinzuweisen, dass "viel Arbeit im eigenen Haus" geleistet werden müsse.   

Deutschland ist wichtigster Verbündeter  

Deutschland sei "vielleicht nicht immer unser liebster, aber unser wichtigster Verbündeter", sagte Hodges und machte bereits am Anfang des Talks auf die deutsche Sonderstellung im Russlandkrieg gegen die Ukraine aufmerksam. Während Yücel sich noch über fehlende Waffenlieferungen aufregte, schlug Hodges versöhnlichere Töne an. Es sei alles bis auf die Panzerhaubitzen geliefert worden und Deutschland hätte auf mannigfaltige Weise geholfen. Die Deutschen wären da vielleicht "peinlich berührt" und könnten nicht so recht zeigen, was sie alles täten. Die Kritik am Ringtausch sei unangebracht, Griechenland und Spanien hätten sich zu Unrecht beschwert. 

Das Problem sei sowieso eher das "Distributionsnetzwerk" zwischen Polen und der Ostukraine und nicht, dass Deutschland nicht liefern würde. Dieses Lob ließ Claudia Roth natürlich nicht unkommentiert, sie zählte sogleich auf, was Deutschland außerhalb der Waffenlieferung schon alles getan hätte. Das sei eben entgegen Yücels Behauptung keine "symbolische Solidarität", sondern handfeste und milliardenschwere Unterstützung in Form von Wiederaufbauleistungen und humanitäre Hilfe. 

Bericht aus Moskau über Getreidekrise und verschobene Putin-Fernsehshow

Ist die EU wirklich gespalten?

Dass es diese Kritik der anderen EU-Mitgliedsstaaten aber gibt, wie die Redaktion der Talkshow im Einspieler sehr komprimiert zusammenfasste, fand Roth dann schon nachvollziehbar. Aber "bestimmte Unterstellungen sind nicht zu rechtfertigen", die EU sei nicht so gespalten wie unter anderem Illner es an diesem Talkabend skizzierte. 

Gwendolyn Sass fand diese Kritik durchaus berechtigt, störte sich aber mehr an der Front "Ost-Europa" vs. "West-Europa", die Maybrit Illner mehrfach eröffnen wollte. Das sei zum einen schon mal geografisch ganz falsch, denn Polen oder Ungarn liegen ja nicht in Osteuropa. Zum anderen gibt es vonseiten der baltischen Staaten keine einheitliche Linie, wie es die eben auch von Westeuropa nicht gibt. Diese Vereinfachung der Tatsachen und das Eröffnen eines neuen Streitherdes spiele letztlich nur Putin in die Tasche, so die Politologin.   

Wird Europa zusammenrücken?

Der Grund, warum gerade die baltische Länder vermehrt Kritik an Deutschland äußern, liegt in der Vergangenheit und Nordstream 2 begründet. Die Länder fühlten sich jahrelang vom deutschen Staat "übergangen". Es werden, so Sass, "andere Akzente gesetzt", was auch historisch bedingt ist, aber es gäbe keine generelle Anti-Deutschland-Haltung. Manfred Weber prophezeite "ein Zusammenrücken" in Europa neben aller Kritik.   

Weitere Themenpunkte:

  • Waffenlieferungen sind ein Dauerthema: Manfred Weber befand, es sei "zu viel über die Waffen geredet" worden, Claudia Roth fand es gut, dass die Regierung bei Waffenlieferungen "mit sich ringt" anstatt sofort zu liefern. Das Thema schwere Waffen für die Ukraine wird vermutlich weitere Sendungen füllen.
  • Der Krieg ist ein Weckruf für Europa: Elmar Theveßen berichtet aus Washington, dass der Krieg in den USA auch als ein Lackmus-Test im Kampf von Autoritarismus und Demokratie wahrgenommen wird. Worauf alle warten würden, seien starke Regierungen, die Putin in die Schranken weisen.
  • Ende des Kriegs: Niemand kennt das Ende des Krieges, Ben Hodges rechnet aber damit, dass ab Ende des Jahres, wenn alle Waffen geliefert wurden, die Ukraine die Oberhand gewinnt und die russischen Streitkräfte hinter die Grenzen von Januar 2022 zurückgedrängt werden können. 

Die Ukraine und der Kandidatenstatus

Manfred Weber sieht die Kritik der Mitgliedsstaaten auch als eine Führungsanfrage an Deutschland. Gerade seien "wir Europäer [...] nackt in einer Welt voller Stürme". Aber in diesem Moment läge die Chance, neue Verträge auszuhandeln und auf neue Art zusammenzufinden. Dafür warb auch Gwendolyn Sass. Für sie sei vor allem entscheidend, wie die EU über den Kandidatenstatus der Ukraine abstimmen wird. 

Es dürfe "kein Zurück, kein Zaudern" geben, nur das klare Signal, dass diese Kandidatur unterstützt wird. Auch hier kann Deutschland eine Vorbildfunktion haben. Das Signal sei für die Ukrainerinnen und Ukrainer ein wichtiges. Denn während, laut Sass, der Nato-Beitritt durchaus diskussionswürdig sei, war der Beitritt zur EU nie strittig für das Land gewesen. Die Kandidatenfrage für die Ukraine ist laut der Politologin eine Chance für die EU, um wieder zu mehr Einigkeit zu finden und den kommenden Herausforderungen vereint zu begegnen.

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