Kanzler in Kenia Darf's noch etwas mehr sein? Olaf Scholz wird in Nairobi fast jeder Wunsch erfüllt

William Ruto und Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts im Bild) wird von William Ruto, Präsident von Kenia, mit militärischen Ehren am State House empfangen
© Michael Kappeler/dpa
Empfang zwischen Kilimandscharo und Stummelaffenfell: In Kenia ist Olaf Scholz zu Gast bei Freunden. Am unangenehmsten sind für den Bundeskanzler die Fragen nach den Misstönen zuhause.

So ein Empfang mit militärischen Ehren zur Begrüßung bei Staatsbesuchen kann eine ziemlich öde Angelegenheit sein. Da muss man durch als Kanzler, was will man machen. Routiniertes Abschreiten der Ehrenformation, gelangweiltes Runterspielen der Nationalhymnen, gerne in eher steinerner Umgebung. Es sei denn, man besucht Kenia.

Hier in Nairobi ist alles einen Tick, nun ja, prächtiger. Die Ehrengarde: satte 120 Männer und – eher weniger – Frauen stark, in schwarzen Hosen und roten Uniformjacken, aufgestellt in zwei Reihen. Die Kapelle der Armee trägt dazu noch zylindergroßen Kopfschmuck aus dem Fell schwarz-weißer Stummelaffen. Die Hymne von Haydn trägt sie an einigen Stellen etwas eigenwillig interpretiert vor, aber durchaus schmissig. Und einen Empfang neben Palmen hat auch Olaf Scholz nicht alle Tage.

Leicht befremdlich wirkt nur, dass Staatspräsident William Ruto ihn entgegen der üblichen Gepflogenheiten die Ehrenformation allein abschreiten lässt, gefolgt von zwei Generälen, und währenddessen unter einem eigens aufgebauten Baldachin vor dem State House wartet, seiner Residenz. Aber geschenkt. Schreiten kann Scholz auch solo ganz ordentlich.

Olaf Scholz – zu Besuch bei Freunden. Nur, anders als bei dem schwierigen Besuch am Tag zuvor in Äthiopien, stimmt die gern genutzte Formel hier tatsächlich.

Mit dem Land verbinde die deutsche Regierung ein "gleichgerichteter Blick auf die internationale Ordnung", heißt es im Kanzleramt. Als Russland die Ukraine überfiel, gehörte Kenia zu jenen Nationen jenseits der Nato und der Europäischen Union, die den Angriff eindeutig verurteilten – und dass, obwohl Kenia extrem abhängig ist von den Düngemitteln aus Russland. So etwas nimmt Scholz durchaus dankbar zur Kenntnis.

William Ruto erfüllt Olaf Scholz' Wünsche

Tatsächlich: Einen "lieben Freund" nennt Präsident William Ruto den Kanzler später vor der Presse. Das muss nicht viel heißen, im internationalen Geschäft ist man großzügig beim Austausch kostenfreier Nettigkeiten. Wichtiger ist da schon, dass Ruto praktisch hinter allen Wünschen des Kanzlers einen Haken macht. Die Rücknahme illegal in Deutschland eingewanderter Menschen? Nichts Verwerfliches, eher eine Selbstverständlichkeit. Die Freigabe heiß begehrter Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt? Gerne doch.

Ruto wiederholt seine Kritik an Russlands Krieg. Er will dem von Scholz angeregten Klimaclub beitreten, als "robuster Player". Und er betont noch einmal, dass man die gleichen Werte teile. Okay, für die Einhaltung der Menschenrechte und den Umgang mit Homosexuellen gilt das nur sehr bedingt. Aber davon abgesehen kann der Kanzler zufrieden sein; er revanchiert sich bei Ruto mit dem Lob, Kenia sei ein "inspirierender Klima-Champion". Das ist deutlich berechtigter als die Sache mit den gleichen Werten. Kenia deckt seinen Strombedarf längst zu 90 Prozent mit erneuerbaren Energien, bis 2030 sollen es 100 Prozent sein.

Davon ist Deutschland noch ein gutes Stück entfernt, und der Weg dorthin ist gepflastert mit Ärger, der den Kanzler bis nach Nairobi verfolgt. Auch hier, 6370 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt, wird er mit Fragen nach Robert Habecks Gesetz zum Heizungstausch und der Trauzeugenwirtschaft von Habecks Staatssekretär Graichen traktiert. Ob das Gesetz nicht verschoben werden müsse? Und ob Graichen noch haltbar sei? Ruto neben ihm guckt in dem Moment, als wolle er auf keinen Fall beim Gedanken erwischt werden, dass man Journalisten besser nicht fragen lassen solle – kenianische Medien konnten jedenfalls keine Fragen stellen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Scholz beantwortet die erste Frage in Scholz-Manier und, wie schon Mitte April in Lissabon, mit dem Hinweis auf das Struck'sche Gesetz. Die "Essenz des Gesetzes" werde nicht in Frage gestellt, "die großen Fragen sind gelöst", aber "natürlich" könne im parlamentarischen Verfahren "alles besser werden". Das kann alles heißen. Und nichts. Wie bei der Antwort auf die Causa Graichen im direkten Anschluss: "Ich gehe davon aus, dass auch alles andere gemäß den Regeln, die wir haben, gehandhabt wird." Auch das kann alles bedeuten. Und nichts. Eine Ehrenerklärung für Graichen ist das nicht. Aber auch keine Aufforderung an Habeck, seinen umstrittenen Mann rauszuschmeißen.

Lieber nicht zu viel über Deutschland reden

Es ist jedenfalls kein Blattschuss aus der Distanz, wie ihn seine Vorgängerin Angela Merkel mal von Südafrika aus auf die damalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer abgegeben hat ("unverzeihlich"), nachdem die Thüringer CDU gemeinsam mit der AfD den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Aber der Fall Kemmerich hatte auch eine andere politische Sprengkraft als der Fall Graichen.

Mit solchen vermeintlichen Lappalien scheint Scholz sich gar nicht erst belasten zu wollen. Er hat Wichtigeres zu tun.

Dazu ein kleiner Exkurs. Vor einem Vierteljahrhundert war Scholz schon mal in Kenia und Tansania, privat, 1997. Er und seine Frau Britta Ernst wollten unbedingt auf den Kilimandscharo. Also hat er gebucht. Und erst bei der Anreise sich ein bisschen intensiver eingelesen, wie das so ist mit dem Aufstieg. Da wurde ihm dann doch etwas blümerant. Ging dann aber ganz gut. Scholz und Ernst kamen oben auf 5895 Metern an, auf dem Kibo, dem höchsten Berg des Kilimandscharo-Massivs.

"Das hat was mit Glück, Physis und der Tatsache zu tun, dass man sich mental vorbereitet und ein bisschen Schmerz abkann", hat Scholz mal dem stern erzählt. Und: "Das wichtigste Wort, das mir in Erinnerung ist, ist pole pole – langsam, langsam." Man müsse gemächlich gehen, um sich an die dünne Luft zu gewöhnen.

Pole Pole. Langsam. Langsam.

Gute Vorbereitung, mentale Stärke, Schmerz-Resistenz und ein bisschen Glück können auch jetzt nicht schaden. Das Problem dieser Zeit aber ist, dass – politisch jedenfalls – eigentlich nichts langsam gehen darf, eher im Gegenteil. Die Klimawende muss schnell vollzogen werden, die illegale Migration beendet, die Fluchtursachen müssen bekämpft werden – und als notwendige Voraussetzung dafür müssten die ganzen verfluchten Kriege und Konflikte in der Welt beendet werden. Da ist nichts mit pole pole.

Scholz' Mission: Augenhöhe demonstrieren

Und dann ist da ja noch die neue Weltordnung, die multipolare Welt, die Scholz heraufziehen sieht mit vielen neuen starken Playern. Deshalb reist der Kanzler auch wie ein Rekordmeilensammler über den Globus. Seine Mission: Alte Freunde erhalten und neue Freunde gewinnen, solange Europa und Deutschland noch genügend internationales Gewicht und wirtschaftliche Kraft haben, um nicht irgendwann einmal als Bittsteller kommen zu müssen. Deshalb begöscht er die aufstrebenden Nationen des globalen Südens, lädt Südafrika, Brasilien und andere zu den G7-Treffen dazu, deshalb hat er jetzt angestoßen, dass die Afrikanische Union einen ordentlichen Sitz bei den G20 erhält. Deshalb betont er bei jeder Gelegenheit, wie wichtig die Schwellenländer seien und deshalb sagt er bei dieser Reise auch wieder, dass die afrikanischen Staaten eigenständig für ihre Sicherheit sorgen müssten (den der Wahrheitsfindung dienlichen Nachsatz "Wir haben seit Russlands Überfall auf die Ukraine bei uns zu Hause genug zu tun" lässt er allerdings weg).

Das Zauberwort, das Olaf Scholz in diesem Zusammenhang gerne nutzt, lautet Augenhöhe. Deutschland müsse all den Nationen, die es früher hat links liegen lassen oder die es paternalistisch behandelte, das Gefühl vermitteln, dass man sich von Gleich zu Gleich begegne. Das ist ein hehrer Ansatz, der weniger altruistisch ist, als er klingt. Und er ist leichter vorgetragen als durchgehalten.

Nur ein Beispiel. Über Kenias Rolle in mehreren afrikanischen Konflikten sagt Scholz im Beisein von William Ruto: "Wir wissen sehr zu schätzen, was Kenia in den letzten Jahren an Vermittlungsbemühungen auf den Weg gebracht hat." Das klingt dann doch weniger nach Augenhöhe – sondern doch ein wenig großväterlich von oben herab. Manches geht dann doch eher: pole pole.