Presseschau "Weltmacht Amerika hat den alten Kontinent zerbröselt"

Drei Themen beherrschen die Inlandspresse: die anhaltenden Friedensproteste, die FDP-Klage wegen der Awacs-Einsätze und der Aufstieg der USA zur neuen Hegemonialmacht.

«taz» (Berlin) : Dieser Krieg ist eine Gefahr für den Weltfrieden

Je einfacher die USA siegen, desto schwerer wird es, sie für die Zukunft von ihrem völkerrechtswidrigen Konzept der «präventiven Militärschläge» abzubringen. Kritiker haben immer wieder zu Recht auf die immensen Gefahren dieses Krieges für den Weltfrieden, die Stabilität der Region und die Menschen im Irak hingewiesen. Auch die US-Regierung weiß, dass sie überhaupt nur eine Chance für eine nachträgliche Legitimierung des Krieges in den Augen der Weltöffentlichkeit hat, wenn keines dieser Szenarien sich bewahrheitet. Schon deshalb waren die Warnungen richtig und wichtig. Wenn die Apokalypse, vor der die Kriegsgegner warnen, ausbleibt, ist das keine Bestätigung der Kriegstreiber.

«Frankfurter Rundschau» (Frankfurt): Präventivschlags-Debatte gehört nicht vor Gericht

Der Generalbundesanwalt hat sich mit Eleganz aus der Affäre gezogen. Eben weil es dem Angriffskrieg und mehr noch dem so genannten Präventivschlag an einer klaren juristischen Definition gebricht, entzieht sich die Materie laut Kay Nehm der strafrechtlichen Prüfung; denn die bedarf der eindeutigen Begriffe. Also nichts mit Strafanzeigen gegen Schröder und Gefährten. Einem Bumerang gleich landet der Streit über den Charakter des Irak-Kriegs wieder im politischen Raum. Wo er hingehört. Dort ist man schließlich den Umgang mit vagen Bestimmungen gewohnt. Dort freilich, besonders im Bundestag, muss die heikle Auseinandersetzung auch stattfinden und nicht verdrängt werden aus vordergründiger diplomatischer Rücksicht.

«Süddeutsche Zeitung» (München): USA verspielten Kredit vom 11. September

Nach dem 11. September war Amerika stark, weil sich die ganze Welt hinter der neuen Friedensmacht versammelte. Diesen Kredit hat Bush mit seinen «Falken» im Weißen Haus verspielt. Wer täglich nur Kriegsrhetoriker um sich versammelt, dem müssen abwägende Europäer als Schwächlinge erscheinen. Die Weltmacht Amerika hat den alten Kontinent zerbröselt, die Russen ignoriert, die Staaten der Dritten Welt mit Arroganz verprellt. Aber eine andere Weltmacht, die sich neu gebildet hat, kann einer Demokratie wie Amerika nicht egal sein: die geschlossene, nicht manipulierbare Weltöffentlichkeit.

«Der Tagesspiegel» (Berlin): Amerika möchte als Befreier auftreten

Allem Anschein nach sollen die schweren Luftangriffe vom Freitagabend Saddams Soldaten in Furcht und Schock versetzen, nicht aber zu massiven Zerstörungen im ganzen Land führen. Das Bombardement galt in erster Linie Saddams Palästen, Militäranlagen und der Armeeführung in Bagdad. Die USA sind in einer Doppelrolle, sind Angreifer und Verteidiger zugleich. Als Angreifer wollen sie möglichst rasch viel Gebiet einnehmen und Iraks Militär ausschalten; dafür nutzen sie ihre überlegenen Waffen. Andererseits werden sie das eroberte Land bald verwalten und wollen nicht heute die Straßen, Telefonnetze, Gebäude zerstören, die sie morgen brauchen. Präsident Bush hat kein Interesse an brennenden Ölfeldern, Diktator Saddam schon. Amerika möchte der Bevölkerung als Befreier entgegentreten, nicht als Berserker. Und gibt die Hoffnung nicht auf, dass das Militär Saddam davonläuft oder putscht.

«Express» (Köln): Friedenskämpfer sind unser Gewissen

Es ist die Flut jener schrecklichen Bilder, die auch unseren Alltag verändert. Bilder, die Menschen Angst machen - ebenso wie der Krieg der Worte auf beiden Seiten. Da reden Militärs gerade so, als würden sie gerade einen Patienten operieren. Ihre «chirurgischen Eingriffe» retten allerdings kein einziges Leben. Aber es gibt auch andere Bilder - wie die jener Hunderttausender, die Tag für Tag weltweit - auch in Amerika - friedlich gegen den Krieg ohne völkerrechtliche Legitimation demonstrieren und sich gegen jede Form von Kriegsautomatismus wehren. Hoffentlich erinnern sie die Bushs und Blairs dieser Welt daran, wie weit sie sich doch von jenen entfernt haben, in deren Namen sie zu handeln vorgeben. Stoppen werden die Friedenskämpfer diesen Krieg nicht. Aber es ist gut zu wissen, dass das Gewissen von Nationen noch lebendig ist und sehr wohl unterscheiden kann zwischen Propaganda und Wahrheit.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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«B.Z.» (Berlin): Demos sind Beweise unserer Demokratien

Auch in Berlin gehen heute wieder Menschen gegen die militärische Entwaffnung des Irak auf die Straße. Und dass ist auch wirklich gut so. Man muss nicht mit den Losungen und Zielen der Demonstranten übereinstimmen. Aber auch dann ist es eine Genugtuung, so viele Menschen mit ihrer Kritik auf den Straßen und Plätzen zu sehen. Ganz besonders gilt das für die an der Operation unmittelbar beteiligten Staaten. Kann es einen größeren Beweis für die Qualität einer Demokratie geben, als die Proteste gegen die Politik der eigenen Regierung, während sich das Land selbst im Krieg befindet. Aus den Reichen der Saddams dieser Erde hat man so etwas noch nie gehört. Insofern kämpfen die Marines in der irakischen Wüste heute auch dafür, dass eines Tages auch in den Straßen von Bagdad möglicherweise gegen die amerikanische Politik demonstriert werden kann. Wir sollten stolz darauf sein, dass heute nicht nur in Berlin wieder viele frei und ungehindert ihre Meinung kund tun können.

«Frankfurter Allgemeine Zeitung» (Frankfurt): Keine rechtlichen Selbstzweifel

(... Es ist) richtig, dass sich die FDP entschlossen hat, den Gang nach Karlsruhe anzutreten. Das wiederkehrende rechtliche Gewürge in solchen Fällen (...) ist dem deutschen Publikum letztlich nicht zuzumuten; außenpolitisch macht es Deutschland zu einem äußerst komplizierten Verbündeten. Noch zu Beginn dieser Legislaturperiode hatte die Koalition ein Entsendegesetz abgelehnt. Was in ruhigen Zeiten nicht zu Stande gebracht wird, wird dann eben zur Unzeit aktuell. Es muss ein Ende damit haben, dass die deutsche Politik bei internationalen Krisen regelmäßig in rechtliche Selbstzweifel gestürzt wird.

«Ostsee-Zeitung» (Rostock): Schröder wandert auf schmalem Grat

Die aufmüpfige Haltung der Liberalen könnte Gerhard Schröder noch Kopfzerbrechen bereiten. Sollte die FDP in Karlsruhe grünes Licht dafür bekommen, dass für den Einsatz deutscher Soldaten in Awacs- Überwachungsfliegern über der Türkei ein Bundestagsmandat nötig ist, würde Rot-Grün schwerlich eine eigene Mehrheit dafür zu Stande bringen. Schröder könnte im schmerzlichen Spagat zwischen Friedens- und Bündnispolitik vorgeführt werden. In der Tat wandelt Schröder auf einem schmalen Grat. Einerseits bleibt er dem Motto der Friedensdemonstranten treu, keinen Mann für diesen sinnlosen Krieg. Andererseits will der deutsche Regierungschef das Verhältnis zum ungeliebten US-Präsidenten nicht vollends erkalten lassen. Man kann dieses Sowohl-als-auch Schröders halbherzig, inkonsequent und prinzipienlos nennen. Doch in der vertrackten Welt des Umbruchs sind politische Kompromisse zielführender als theoretische Diskussionen.

«Die Welt» (Berlin): FDP sorgt für rechtliche Klarheit

In einem Rechtsstaat darf jeder Bürger in Zweifelsfragen die Gerichte bemühen. Das gilt auch für Parteien. Doch es ist nicht immer klug, dieses Recht in Anspruch zu nehmen. Was soll also die ganze Klage? Den Liberalen geht es wohl vor allem darum, die Bundesregierung vorzuführen und eine Abstimmung im Bundestag zu er zwingen. Gewonnen wäre damit allerdings gar nichts. Wenn das Gericht zu der Erkenntnis kommen sollte, dass die Nato-Awacs-Einsätze in einer politischen Grauzone erfolgen, die eine Bundestagsabstimmung erforderlich machen, stellt sich schnell die Frage, ob sie überhaupt zulässig sind. Dann hätte die FDP rechtliche Klarheit und Deutschland ein riesiges politisches Problem.

«Neues Deutschland» (Berlin): Propaganda oder Wahrheit?

Die ersten Kriegstage in Irak haben eines gezeigt: Die Informationsmanager des Pentagon haben enorm gelernt. Sie nehmen mit Hilfe ausgesuchter US-Journalisten sowie perfekter Aufnahme- und Kommunikationstechnik Menschen weltweit mit an Bord der Angriffspanzer. Faszinierend. Lägen Gleise in der Wüste, fühlte man sich wie in einem etwas exotischen S-Bahn-Zug aus dem TV-Nachtprogramm. Ist Rast, sprechen charmante Reporterkolleginnen gut formulierte Militär-Kommuniqués in Mikrofone. Manch Macho wird demnächst in solchen «Werbeunterbrechungen» in Richtung Küche rufen: Schatz, bringst du mir ein Bier mit. Das soll Krieg sein? Ja, das ist Krieg! Jeder, der ihn ohne Skepsis, Ekel und Wut konsumiert, macht auch sich zum Opfer.

«Stuttgarter Zeitung»(Stuttgart): USA brachten das Völkerrecht zu Fall

Amerika führt Krieg gegen einen gefährlichen Gewaltherrscher. Es hat die Macht dazu, und es fühlt sich im Recht. Was die USA tun, ist kein Akt der Selbstverteidigung, es ist ein Angriffskrieg. Angriffskriege sind vom Völkerrecht geächtet worden. Um selbstherrliche Gewaltaktionen einzelner Staaten zu verhindern, ist das Gewaltmonopol gerade in den Fällen, da es gilt, einen gemeingefährlichen Tyrannen in die Schranken zu weisen, dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen übertragen worden. Bei dem Krieg, den Amerika gegenwärtig führt, geht es nicht mehr nur um den Irak. Wenn der mächtigste Staat der Welt sich nicht mehr an das Völkerrecht hält, dann bricht ein mühselig genug errichtetes System zusammen.

«Augsburger Allgemeine» (Augsburg): Kriege brachten noch nie eine Lösung

Die Kirchen haben sich auch deswegen gegen den Krieg ausgesprochen, weil sie aus der Historie wissen, dass ein Krieg noch nie eine politische Lösung gebracht hat. Und sie müssen dies immer wieder gegenüber jenen wiederholen, die glauben, dieses Mal würde es anders sein. Das wird es nicht. Am Ende werden Politik und Diplomatie für Ordnung sorgen müssen. Und das, so meint der Papst zu Recht, hätten sie auch ohne Krieg tun können und tun müssen. Deshalb ächten sie den Krieg. Und genau deshalb werden sie jetzt wieder ein Zufluchtsort für die, die Angst haben. Und auch das sind Kriegsopfer.

«Westdeutsche Allgemeine Zeitung» (Essen): Europa muss mit einer Stimme sprechen

Falls sich irgendein Europäer gefragt haben sollte, warum Europa einen Konvent und eine Verfassung benötigt: Bush hat die Antwort gegeben, mit seinem Angriff auf Irak. Wer sich nicht damit abfinden will, dass eine einzige Supermacht nach Belieben Verträge missachten, Institutionen übergehen oder erpressen kann, der muss Europa stärken. Auf dass Europa bald mit einer Stimme spreche. Europa braucht keine einheitlichen Lehrpläne und Speisekarten vom Nordkap bis Malta. Doch Europa braucht eine Regierung, die dem Präsidenten der USA auf gleicher Augenhöhe gegenübertritt. In aller Freundschaft, versteht sich.

«Münchner Merkur» (München): Bundesregierung in Rechtsnot

Gleich an drei rechtlichen Fronten ist die Bundesregierung nach dem Kriegsausbruch in schwere Erklärungsnöte geraten. In allen Fällen geht es um die Beteiligung Deutschlands an dem politisch so heftig abgelehnten Irak-Feldzug: Bei seiner Völkerrechtswidrigkeit, bei der Awacs-Luftkontrolle in der Türkei und beim Einsatz von ABC-Spürpanzern in Kuwait. Jedes einzelne dieser Probleme ist heikel genug - in ihrer Gesamtheit können sie die moralisch geprägte Position von Rot-Grün politisch zum Einsturz bringen. Niemand will der Bundesregierung die Aufrichtigkeit des Eintretens gegen Krieg bestreiten. Aber zwischen Haltung und Handeln klaffen erhebliche Widersprüche, die ihre moralische Position untergraben.