Unmittelbar nachdem sich die SPD auf ihrem Parteitag von der Union abgegrenzt hat, verschärft sich der Ton in der großen Koalition. "Beim Grundsatzprogramm verfällt die SPD ins Steinzeitalter zurück", sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla in der ARD. Die SPD berufe sich unter anderem auf die marxistische Gesellschaftsanalyse. "Wir haben in Deutschland genügend Sozialismus erlebt, die SPD sollte sich stärker abgrenzen, statt sich der Linkspartei anzunähern." CSU-Chef Erwin Huber warf der SPD in der ARD am Sonntagabend vor, sich der Linkspartei anzupassen. In der SPD gebe es jetzt eine linken Flügel und einen Regierungsflügel. Dies sei das Schlimmste, was man in der Politik haben könne.
Die Unionsspitze wirft der SPD vor, mit ihren Parteitagsbeschlüssen einen Linksruck vollzogen zu haben. "Wir nehmen zur Kenntnis, dass die SPD angesichts von weniger Mitgliedern und auch nicht zufriedenstellenden Umfragen sich gesagt hat: 'Wir machen einen solchen Linksruck'", sagte die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". Bereits am Freitag hatte sie vor einer Rückbesinnung auf den Sozialismus wie bei der SPD gewarnt: "Vom Sozialismus haben wir mit der DDR genug gehabt." Hessens Ministerpräsident Roland Koch warf der SPD vor, die Partei stehle sich aus ihrer Verantwortung als Regierungspartei.
Nahles kündigt härtere Gangart an
Die SPD hat nach Darstellung ihres neuen Vize-Vorsitzenden Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesparteitag keinen politischen Kurswechsel eingeleitet. "Von Linksruck kann keine Rede sein", sagte der Bundesaußenminister der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse". "Kurt Beck steht nicht für einen Linksruck der Partei. Er ist ein Pragmatiker und wird nicht zulassen, dass sich die SPD von ihrer Politik nah bei den Menschen verabschiedet und weg von der Mitte rückt." Der Parteivorsitzende "Die SPD ist wieder da", sagte Parteichef Kurt Beck. Die neu gewählte SPD-Vize Andrea Nahles kündigte in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" an: "Wir werden die Union stärker herausfordern.
Die Sozialdemokraten hatten mit ihren Beschlüssen für ein längeres Arbeitslosengeld I (ALG I) und zur Bahn-Privatisierung linke Positionen besetzt. Von Gemeinsamkeiten mit dem Koalitionspartner war nicht mehr die Rede. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück zeigte sich dennoch überzeugt, dass die große Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode 2009 halten werde. Im Inforadio wies der SPD-Politiker darauf hin, dass sich erst erweisen müsse, wie viele der Parteitagsbeschlüsse mit der Union umgesetzt werden könnten.
Den Parteitagsbeschluss für ein Tempolimit auf Autobahnen von 130 km/h nannte Koch ein "nostalgisches" Thema, das nichts mehr mit der Realität zu tun habe. Beim Streit um eine längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I rechnet er hingegen mit einer Einigung zwischen den Koalitionspartnern: "Jetzt kann die SPD zum Verhandlungstisch kommen. Und ich bin eigentlich auch ganz sicher, das man über diese Frage ... pragmatisch sich einigen kann." Das Thema sei im Übrigen nicht so bedeutsam, wie es bei dem SPD-Parteitag gehängt worden sei. "Das bedeutet andererseits aber, Regierungsfraktionen, die miteinander ein Land regieren wollen, werden sich darüber verständigen, wie man das Problem löst."
"Das ist abwegig und unsozial"
Pofalla unterstrich, mit der Union sei eine längere Auszahlung von ALG I nur aufkommensneutral zu machen. "Wir bestehen auf eine entscheidende Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags auf mindestens 3,5 Prozent", erklärte er. Dies müsse bei der kommenden Koalitionsrunde am Sonntag erörtert werden. Die SPD-Rechte lehnte den Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ab, ein längeres ALG I mit einer freiwilligen Zusatzversicherung zu finanzieren. "Das ist völlig abwegig und unsozial", sagte der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, der "Financial Times Deutschland".

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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DGB-Chef Michael Sommer hat der SPD eine inhaltliche Neuausrichtung bescheinigt und eine neue Zusammenarbeit angekündigt. "Ich sehe eine neue strategische Hinwendung zu den sozialdemokratischen Grundwerten und damit eine Hinwendung zu klassischen SPD-Wählern", sagte Sommer der "Berliner Zeitung". Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes hatte seinerzeit zu den schärfsten Kritikern der Reformpolitik von Bundeskanzler Gerhard Schröder gehört. Nach der Umorientierung der SPD gebe es nun einen guten Neuanfang in der Zusammenarbeit, sagte Sommer. Man dürfe aber auch nicht so tun, als habe es die Zeit dazwischen nicht gegeben. Der DGB-Chef sieht noch längst nicht alle Konflikte ausgeräumt. "Bei aller historischen und inhaltlichen Nähe zu den Sozialdemokraten bleiben in einigen Fragen die Differenzen bestehen, zum Beispiel bei der Rente mit 67", sagte Sommer.
"Schwung nach innen und außen"
Zahlreiche Sozialdemokraten begrüßten die Ergebnisse des Parteitages. Niedersachsens SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner sprach von einem "Schub" für SPD für die Landtagswahl in drei Monaten. "Das soziale Profil der SPD ist bestätigt und bestärkt worden", sagte er der Deutschen Presseagentur (DPA). Sachsen-Anhalts SPD-Chef Holger Hövelmann sagte, er erwarte vom in Hamburg verabschiedeten Grundsatzprogramm "Schwung nach innen und außen". Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sagte, die Sozialdemokraten hätten nun als erste ein Programm, das Antworten auf die Fragen der politischen und ökonomischen Globalisierung gebe.