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SPD im Dauertief Unscharf, ratlos, tragisch

Während die Grünen Wahlerfolge und Umfragerekorde feiern und Schwarz-Gelb taumelt, kommt die SPD nicht aus ihrer Krise heraus. Versuch einer Erklärung.
Von Sebastian Wolfertstetter

Und es ging mal wieder nach unten. Bei 23 Prozent steht die SPD im aktuellen stern-RTL-Wahltrend. In Worten: dreiundzwanzig! Als hätte sich seit der Bundestagswahl 2009 nichts getan. Als gäbe es keinen neuen Vorsitzenden, keine Mitgliederbefragungen, keine Zukunftswerkstätten, keine flammenden Reden im Bundestag.

Die Wahl in Hamburg, bei der Olaf Scholz die absolute Mehrheit holte und die SPD-Chef Sigmar Gabriel als "historisches Ereignis" würdigte - sie war die Ausnahme. Am 27. März, nachdem die Hochrechnung für die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg über die Bildschirme der Berliner Parteizentrale geflimmert war, begriffen das alle. Eine alte Dame, seit 40 Jahren Parteimitglied, urteilte knapp: "Die Ergebnisse sind ein Jammer."

Ist Steinbrück Sozialdemokrat?

Jammer. Immer noch. Gabriel hatte nie die Hoffnung geschürt, er könne die SPD kurzfristig wieder zu Glanz und Gloria führen. Aber er hatte auch nie gewarnt, dass sich unter seinem Vorsitz mittelfristig nichts bessern werde. Die Grünen können vor Kraft kaum laufen, so viele Wählerstimmen ziehen sie an. Und die Sozialdemokraten? "Die SPD war immer die Partei, die dafür gesorgt hat, dass es den Menschen besser geht. Jedoch werden wir damit nicht mehr in Verbindung gebracht", sagt Juso-Chef Sascha Vogt zu stern.de. Klingt schlicht. Und deshalb so tragisch.

Die K-Frage, immer wieder heiß diskutiert, wirkt in dieser Situation grotesk, wie ein lustiges Tänzchen im Lazarett. Peer Steinbrück, einst Finanzminister der Großen Koalition, wird als möglicher Kandidat gehandelt, um 2013 gegen Angela Merkel anzutreten. Ausgerechnet Steinbrück - ein Mann, von dem Forsa-Chef Manfred Güllner sagt, dass viele Menschen immer noch nicht wissen, dass er Sozialdemokrat ist. Der als Finanztechnokrat wahrgenommen wird, als Merkels Adlatus. Und der keine Machtbasis in der Partei hat. Zu oft hat er seine Genossen mit schneidigen Ansagen vergrätzt.

Die "Sowohl-als-auch"-Partei

Also doch lieber Sigmar Gabriel nehmen, das Ich-bin-tausend-Ideen-Kraftwerk? Oder Frank-Walter Steinmeier, der als seriös gilt, aber schon eine Bundestagswahl verloren hat? Wäre Olaf Scholz nicht ein gelungener Kompromiss?

In der K-Frage überlagern sich die Köpfe, so dass kein scharfes Profil zu erkennen ist. Das reflektiert den anhaltenden Richtungsstreit in der SPD. Bei der inhaltlichen Debatte ist es nicht anders. Gabriel hat die Flügel der Partei nach der Bundestagswahl beruhigt, indem er bei den Streitthemen Kompromisse aushandelte. Nun sind die Sozialdemokraten immer noch für die Rente mit 67, aber mit zahlreichen Ausnahmeregelungen. Für Hartz IV, aber mit erhöhten Sätzen. Für den Afghanistan-Einsatz, aber mit der Perspektive eines baldigen Abzugs. Für den Mindestlohn, aber auf gemäßigter Höhe. Für die Schuldenbremse, aber manchmal auch nicht. Es ist ein "Sowohl-als-auch!", oft vernünftig, aber schwer zu kommunizieren. Die SPD sei mit vielen Themen draußen, sagte jüngst SPD-Urgestein Egon Bahr in der ARD-Talkshow "Beckmann", aber sie könne kein Thema bestimmen.

Fehlende Mobilisierung

Vielleicht liegt es auch daran, dass der Partei die Gegner abhanden gekommen sind. "Der Markenkern der SPD ist die soziale Gerechtigkeit. Das ging nur gut, solange sich die CDU als neoliberale Partei aufgestellt hat", sagt der Dresdner Parteienforscher Werner J. Patzelt zu stern.de. "Seit Angela Merkel in der Großen Koalition begonnen hat, die CDU zu sozialdemokratisieren, kann die SPD nur noch gegen die FDP kämpfen." Die FDP allerdings ist kein Gegner mehr. Im aktuellen stern-RTL-Wahltrend liegt sie bei drei Prozent. Wer sich an den Liberalen misst, macht sich nur selber klein.

Groß - für die SPD zu groß - ist die Konkurrenz im eigenen Lager geworden. Die Linke ist zwar in einem desolaten Zustand, kommt aber noch auf 9 Prozent. Und die Grünen wildern die neue Mitte weg, die Gerhard Schröder einst angepeilt hat. "Die klassische Arbeiterschicht existiert einfach nicht mehr in dem für die SPD wünschenswerten Umfang", sagt Patzelt. "Und in der Zielgruppe des akademisch gut gebildeten Bürgertums treten jetzt die Grünen als ernstzunehmender Rivale auf. Die SPD hat also ein Mobilisierungsproblem."

Es braucht: mehr Streit

Abhilfe schaffen könnte der konsequente Schulterschluss mit Gewerkschaften und Verbänden - aber die lassen sich, da nunmehr fünf Parteien im Spiel sind, auch nicht mehr so einfach vereinnahmen. Bleibt die konsequente Arbeit an der Partei selbst. "Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken", sagt der bayerische SPD Landesvorsitzende Florian Pronold zu stern.de. "Wir müssen in der Zukunft bei politischen Fragestellungen deutlicher Position beziehen und vielleicht noch stärker einen harten inhaltlichen Konflikt in den eigenen Reihen suchen."

Die Zukunft, von der Pronold spricht, sollte die SPD rasch ins Auge fassen. In zweieinhalb Jahren ist Bundestagswahl.

Mitarbeit: Lutz Kinkel

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