Nach dem TV-Duell Elf Gründe gegen eine Große Koalition

  • von Johannes Schneider
  • und Sebastian Christ
Das sogenannte Duell zwischen Merkel und Steinmeier hat es dem Letzten vor Augen geführt: Große Koalition ist Mist. Warum es so auf keinen Fall weitergehen darf.

Keiner hat das gewollt

Wer 2005 zur Wahl ging, wusste in etwa, was er wollte: eine Fortführung der rot-grünen Reformen oder eine marktliberalere Politik von Union und FDP oder eine linke Alternative. Auch ein kurioser Wahlabend mit einem Kräftepatt der Lager konnte daran zunächst nichts ändern: "Sie wird keine Koalition unter ihrer Führung mit meiner sozialdemokratischen Partei hinkriegen", fauchte Gerhard Schröder in der Elefantenrunde in Richtung Angela Merkel.

Dass es dann doch zu einer großen Koalition kam - mit Merkel, ohne Schröder-, war Ausdruck von Vernunft und nicht von politischer Leidenschaft. Auch deswegen sind die kleinen Parteien heute so stark: Sie sind zum Sammelbecken derer geworden, die schwarz oder rot gewählt haben, aber niemals Schwarz-Rot wollten.

Ihr entmachtet die Bürger

Wer 2009 zur Wahl geht und euch wählt, weiß eigentlich nichts: Unterstützt er eine Regierung mit Steinmeier oder eine Opposition mit Nahles und Wowereit? Wählt er Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot oder etwas ganz anderes? Und: Wie viel Unterschied macht das überhaupt nach vier Jahren SPD-Verschleiß bei gleichzeitiger Sozialdemokratisierung der Union? Ihr verstärkt den Eindruck der Beliebigkeit in der Politik. Wo die Volksparteien gemeinsam regieren, fehlen die Alternativen. Die Opposition verkommt zum Gekläff.

Beim Wähler verfestigt sich auf diese Weise schnell ein Gefühl von Ohnmacht: Wer will die Regierung eigentlich kontrollieren und stoppen, wenn die Großen gemeinsame Sache machen? "Statt Redlichkeit herrschen Rituale", befand Stefan Grüll, ehemaliger Fraktionsvize der FDP im nordrhein-westfälischen Landtag, in einem stern-Artikel über Nichtwähler. Dass deren Zahl weiter steigt - damit muss angesichts eines weitergehenden Profilverlustes der Bundespolitik gerechnet werden.

Ihr habt zu wenig erreicht

Die schwarz-rote Regierung unter Kurt-Georg Kiesinger war eine der leisen Erfolgsgeschichten der Bonner Republik. In drei Jahren schafften es die Kabinettsmitglieder, viele wichtige Reformen auf den Weg zu bringen. Abgesehen von der gescheiterten Einführung des Mehrheitswahlrechts arbeitete die Große Koalition bis 1969 alle großen Vorhaben vom Tisch - von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bis hin zu den Notstandsgesetzen. Einige eurer größten "Erfolge" sind dagegen zumindest teilweise das Verdienst eures Vorgängers. Ohne die Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder hätte es kaum einen derart starken Rückgang der Arbeitslosenzahlen gegeben. Und auch deshalb sank bis 2008 das Staatsdefizit.

In Sachen Gesundheitsreform seid ihr dagegen gänzlich hinter den Erwartungen zurück geblieben, und auch die Föderalismusreform II führte die Große Koalition nicht zu Ende - so scheiterte auch das Umweltgesetzbuch, um nur ein Beispiel zu nennen. Dass das Staatsdefizit im Zuge der Finanzkrise nun wieder dramatisch ansteigt, ist zwar nicht die Schuld von Finanzminister Peer Steinbrück - aber seine Tragik. Und letztlich die der gesamten Koalition.

Ihr macht den Bundestag zur Telenovela

Nicht nur die Wähler sehen sich ohnmächtig, auch das Parlament steckt mit euch in einer Sinnkrise: Wo es um nichts geht, verkommen die Treffen im Reichstag zur Daily Soap. Wenn dann noch zwei der drei Oppositionsparteien der Regierung aus eigenen koalitionstaktischen Überlegungen Schonung angedeihen lassen, werden Bundestagssitzungen zur Farce: Dass sich CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne vergangene Woche unisono nicht zum Kriegszustand in Afghanistan bekannt haben, darf als einer der Tiefpunkte der deutschen Parlamentsgeschichte angesehen werden.

Auch deshalb müsst ihr weg: damit Debatten nicht länger so auswendig gelernt wirken wie die Sprechrollen aus "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Und damit die Regierung endlich wieder scharf angegriffen wird - aus politischer Überzeugung und ohne taktische Überlegungen. Unsere Demokratie braucht eine starke Opposition, ansonsten verlieren ihre Institutionen alle Integrationskraft. Momentan verwirklicht das im Parlament nur die Linkspartei.

Ihr zerstört den politischen Ideenwettbewerb

Wahlkämpfe sind demokratische Pflicht. Wer diese Chance nicht nutzt, um sich ein klares Profil zu geben, hat keinen Respekt vor den Wählern. Weil ihr - das zeigte sich beim TV-Duell am Sonntag - euer Fortbestehen nicht ausschließt, zwingt ihr euch zur Unklarheit im Wahlkampf: Die Union hat nichts, wovor sie warnen kann - offenbar hat sich die SPD in der Regierungsverantwortung gut bewiesen. Die SPD hat nichts, was sie angreifen könnte - immerhin verantwortet sie bis auf weiteres alles mit, wofür Kanzlerin Merkel steht.

Beide habt ihr keine glaubhafte Vision - weil ihr im "wir" der Regierungsverantwortung verhaftet seid. Eure Wahlkämpfe bezeugen diese Hilflosigkeit: Der neue Slogan der CDU - "Wir wählen die Kanzlerin" - ist eine Frechheit. Steinmeiers Deutschland-Plan ist ehrenhaft, wirkt aber in der jetzigen Situation nur wie eine hilfloser Versuch, zwischen der momentanen Regierungsfraktion und der "SPD der Zukunft" zu unterscheiden. "Mehr Demokratie wagen" und "geistig-moralische Wende" werden da zu klingenden Begriffen aus einer anderen Zeit.

Ihr hebelt die Kontrolle durch den Bundesrat aus

Zu euren offensichtlichsten demokratischen Schwächen gehört, dass ihr neben dem Bundestag auch das andere legislative Gremium auf Bundesebene, den Bundesrat, herabwürdigt. Wer weder Lust auf Rot noch auf Schwarz hat, wird sich durch die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat kaum noch repräsentiert sehen - schließlich sitzen in jeder Landesregierung Vertreter von CDU oder SPD.

Eine wirkliche Kontrolle der Regierungsgeschäfte findet daher dort schon lange nicht mehr statt - im Gegenteil: Da grenzt es schon an einen mittleren Skandal, wenn einmal ein Bundesland aus der schwarz-rot durchzogenen Phalanx ausbricht, wie etwa zuletzt die rot-rote Berliner Koalition anlässlich der Ratifizierung des Lissaboner Vertrages. Früher war das anders - immerhin waren es die verschobenen Kräfteverhältnisse im Bundesrat, die ein rot-grünes Weiterregieren 2005 unmöglich machten und so für vorgezogene Neuwahlen sorgten. Im großkoalitionären Deutschland können die Verhältnisse nur alle vier Jahre vom Wähler überprüft werden - ein Verlust.

Ihr bringt euch selber um - Teil I: die SPD

Die SPD hätte es wissen müssen: Wer sich mit seiner größten Konkurrentin auf einer Bühne präsentiert, geht ein Risiko ein. Dass CDU und SPD vier Jahre lang im Kabinett alles zusammen gemacht haben? Geschenkt. Was auch immer in den vergangenen Jahren errungen wurde, fällt zuerst auf die Kanzlerin zurück, das begann bereits 2005: Nach der Bundestagswahl im September lagen die Parteien nur noch etwa zwei Monate gleich auf - in etwa bis zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am 11. November.

Es folgte die Vermarktung Merkels als erste deutsche Bundeskanzlerin und mächtigste Frau der Welt - und ein unbeschreiblicher Sinkflug für eine zeitgleich führungsschwach gewordene SPD, auf derzeit sagenhafte 21 Prozent Wählerstimmen. Gegen diesen Schwund führen die Sozialdemokraten einen aussichtslosen Kampf: Sie können ihre Ideen nicht deutlich machen, weil es grundlegend an trennscharfer Abgrenzung zum politischen Gegner mangelt. Schon begibt sich die SPD in Gefechten auf gleiche Höhe mit der FDP. So wird sie zur leichten Beute für die Linkspartei.

Ihr bringt euch selber um - Teil II: die CDU

Die CDU könnte sich auf besonders subtile Weise schädigen: Im Wahlkampf 2009 hat sie eine politische Auseinandersetzung nicht nötig, weil sich die SPD tot regiert hat. Der Kanzlerinnenbonus tut da sein Übriges. Die Folge der luxuriösen Ausgangslage: Merkels Schlafkampagne, die für den gesamten September 2009 nur drei größere Termine vorsieht: Wahlkampfauftakt am 6. September, eine Deutschlandtour mit dem Rheingoldexpress am 15. September und die Abschlusskundgebung in Berlin am 26. September. "Im Schlafwagen an die Macht" - einmal noch wird Merkel das gelingen.

Doch schon jetzt ist erkennbar, dass sie die CDU zugunsten des Wahlerfolges inhaltlich entkernt hat. Spätestens, wenn Angela Merkel ihre erste große Krise als Regierungschefin erlebt, wird die Union merken, dass Wahlerfolge allein kein Lebenszweck für eine Partei sind. Spätestens dann gilt: Wer keinen inhaltlichen Wahlkampf geführt hat, hat auch keinen inhaltlich legitimierten Regierungsauftrag - und ist dem Wählerunwillen schutzlos ausgeliefert! Wie soll die CDU aber ohne einen großen Gegner zu Inhalten zurück finden? Merkel könnte für ihre Partei das werden, was Schröder für die SPD war: der gut wattierte Klöppel in der Totenglocke.

Ihr dürft Rot-Rot-Grün und Jamaika nicht tabuisieren

Es ist Zeit, dass Fünfparteiensystem als Chance zu begreifen. Das Schreckgespenst Linkspartei hat sich verbraucht, ihre durchaus vorhandenen antidemokratischen Tendenzen werden in künftigen Koalitionsverträgen keine Rolle spielen - so viel Vertrauen muss die Öffentlichkeit in die SPD haben. Auf der anderen Seite sollten CDU und FDP die Grünen als bürgerliche Partei akzeptieren, mit der zusammenzugehen keine Schande ist. Die Grünen ihrerseits müssen ihre Chance erkennen, die darin besteht, beide politischen Lager auf ihre Themen verpflichten zu können.

Der politische Prozess im Saarland zeigt gerade, was dann demokratisch möglich ist: Ob dort nun Jamaika oder Rot-Rot-Grün das Rennen macht, fest steht, dass es zu einer spannenden demokratischen Kultur kommen wird. Wichtig ist dabei, dass die Wahl nicht wahllos wird: Schon im Wahlkampf müssen die Spitzenkandidaten deutlich machen, welche Bündnisse sie sich aus welchen Gründen vorstellen könnten. Das Saarland wird hier wohl eine Pionierrolle einnehmen.

Ihr müsst die kleinen Parteien ranlassen

Fakt ist: Mit ihren abweichenden Profilen haben kleine Parteien schon in der Vergangenheit die Politik ihrer großen Koalitionspartner entscheidend beeinflusst. In ihrem Wahlprogramm von 1972 wollte die SPD Arbeitnehmer am Produktivvermögen der Unternehmen beteiligen - mit der FDP war das dann nicht zu machen. Ab 1998 trieben dann die Grünen den Atomausstieg entscheidend voran, schenkten der Regierung Schröder mit der Homo-Ehe einen großen politischen Erfolg und besetzten mit dem Verbraucherschutz sogar ein neues Thema.

Genau das macht die Klientelparteien für die Wähler momentan so stark: Mit ihnen kann man in der Politik zumindest Einzelheiten bewegen - und die sind zum Teil alles andere als marginal. Ob Schwarz-Gelb den Atomausstieg rückgängig macht oder CDU und FDP mit den Grünen notgedrungen eine ökologisch-bürgerliche Koalition bilden müssen, könnte die energiepolitische Grundsatzentscheidung der kommenden Wahl sein. Wer immer es schafft, den Nichtangriffspakt der gemeinsam regierenden Volksparteien zu knacken, er wird die Politik beleben.

Ihr macht euch klein und andere groß

Es ist kein Zufall, dass die letzte große Koalition unter Kiesinger es mit der APO zu tun bekam. Es ist kein Zufall, dass aus der relativen Rechtslastigkeit der Konstellation Schmidt - Kohl Anfang der 80er Jahre die Grünen hervorgingen. Es ist kein Zufall, dass rot-grüne Staatsraison die Linkspartei gründete. Die neue APO formiert sich derzeit im Internet, die neuen Grünen sind die Piratenpartei. Ihr solltet daraus - in eurem eigenen Interesse- schnell Lehren ziehen: Neutralisiert ihr euch in der Mitte, werdet ihr euch schnell in einem noch einmal geweiteten politischen Spektrum wiederfinden.

Das zeigt das Beispiel Österreich: Dort war die große Koalition von SPÖ und ÖVP bis zum Jahr 2000 nahezu Normalzustand - mit der Folge, dass sich die rechte FPÖ trefflich entwickeln konnte. Heute stehen in Österreich den deutlich geschrumpften Volksparteien mit FPÖ und BZÖ gleich zwei Rechtsparteien gegenüber. Die etablierten Parteien in Deutschland können froh sein, dass hier zurzeit kein schneidiger Rechtspopulist in den Startlöchern steht, sondern "nur" die Internet-Bürgerrechtler der Piratenpartei ernsthaft mobilisieren.