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WM-Fazit Leider geil: Der Fußball kommt auch ohne die Deutschen aus

Lionel Messi küsst den Pokal
Lionel Messi küsst den Pokal
© Maximiliano Luna / DPA
Die WM in Katar ist mit einem epochalen Finale zu Ende gegangen. Mit der Krönung von Überfußballer Messi hat sie eine unvergleichliche Geschichte erzählt. Aber was bleibt von dem umstrittenen Turnier? Viel mehr, als man in Deutschland wahrhaben will. 

Die unschöne Seite des WM-Turniers in Katar zeigte sich ein letztes Mal bei der Siegerehrung, als der unvergleichliche Lionel Messi von den Veranstaltern schamlos instrumentalisiert wurde. Emir Tamim bin Hamad Al Thani und Fifa-Boss Gianni Infantino streiften dem Fußball-Genie einen Bischt über, ein traditionelles, arabisches Obergewand, dass wichtige Männer zu feierlichen Anlässen tragen. Das alles geschah, bevor Messi den Weltpokal entgegennahm und ihn im Kreis der Mannschaft in den Himmel stemmte.

Die Szene im prachtvollen Lusail Iconic Stadion in Doha verdeutlichte zum Abschluss von vier Wochen Fußball noch einmal, was ewig mit diesem Turnier in Verbindung bleiben wird: die Vereinnahmung des Fußballs zum Zwecke politischer Propaganda. Der Held des Abends und des ganzen Turniers wurde für einen Moment zur Werbepuppe für katarische Interessen.

Eine plumpe Geste ändert nichts an Messis Größe

Viele Kritiker zeigten sich empört. In der ARD war Bastian Schweinsteiger sichtlich verärgert über die Aktion. Wobei es Schweinsteiger um den Fußballer Messi ging: "Da nimmt man dem Spieler einen ganz großen Moment, Ich fand es auch nicht gut". Schweinsteiger sprach nicht davon, wie man die Geste sonst noch interpretieren konnte: als Mantel des Schweigens, der über all die Missstände in dem Land und rund um die WM gebreitet wurde. Der Umhang war ja nicht als nur nette Geste gemeint, sondern sollte vor weltweit zwei Milliarden Menschen an dem TV-Geräten Katar als das nette Emirat von nebenan erscheinen lassen.

Wer von Katar spricht, darf nicht von den Gründen schweigen, die das Turnier in Deutschland auf große Ablehnung stoßen ließ: die unsäglich hohe Zahl von Bauarbeitern, die bei der Errichtung der prachtvollen WM-Stadien unter unmenschlichen Bedingungen ihr Leben ließen (wie hoch genau, ist immer noch nicht geklärt. mehrere Hundert oder mehrere Tausend?), die mutmaßliche Korruption bei der Vergabe der WM, die miese Lage der LGBTQ+-Gemeinde, die Unterdrückung der Frauenrechte, die weiterhin schlechten Bedingungen von ausländischen Bauarbeitern und die Beschimpfung israelischer Journalisten.

Dennoch bleibt die Frage, ob eine plumpe Geste etwas an Messis Triumph ändert. Oder ihn gar beschmutzt oder seine Geschichte in einem anderen Licht erscheinen lässt, die die Welt vier Wochen gebannt verfolgte: Dass ein Fußballgenie seine lange Laufbahn mit dem größten Erfolg krönt, den man im Fußball erringen kann, und ein ganzes Land in einen Freudenrausch versetzt. Mehr Fußball-Romantik geht nicht. Sogar in Deutschland saß mancher Fan mit feuchten Augen auf dem heimischen Sofa angesichts dieser Heldenreise mit Happy End. Das ist real trotz der glitzernden Scheinwelt und der berechtigten Kritik.

Außerhalb von Deutschland war die WM eine Riesenparty

Real ist es, dass die WM für die meisten Fans außerhalb Deutschlands eine Riesenparty mit großartiger Stimmung war. Selbst die Berichterstatter aus Deutschland kommen in keinem Fazit umhin, die wunderbare WM-Welt zu loben, die Katar in den Wüstensand gezaubert hat. Sogar die Gastarbeiter aus Nepal, Bangladesch, Indien oder Afrika haben beim Public Viewing in ihrem Viertel Asian City eine ausgelassene WM-Party gefeiert, so wie man hört. Real ist, dass das Turnier für Fans und Mannschaften perfekt organisiert war und weltweit TV-Quotenrekorde brach. Die TV-Welt besteht nicht nur aus ARD und ZDF. 

Zur Wahrheit gehört, dass die WM wie alle anderen Turniere zuvor große Geschichten erzählt und großartige Spiele hervorgebracht hat. Saudi-Arabiens Sieg über Argentinien in der Gruppenphase, natürlich Deutschland gegen Japan, Argentiniens Erfolg über die Niederlande oder Marokkos Triumph gegen Portugal im Viertelfinale. Überhaupt ist Marokkos Erfolg hoch anerkennenswert. Er war ein ganz wichtiger Faktor, dass die WM bis zum Schluss durch die arabischen Fans stimmungsvoll blieb. Dann waren da die eigenwilligen Deutschen mit ihrer "Mund-halten-Geste", Ronaldos vergeblicher Kampf gegen das Alter, die traurigen Brasilianer und das beste Finale aller Zeiten. 

Sportlich war die WM solide, das ist meistens so, weil hier für eine kurze Zeit zusammengestellte Nationalmannschaften spielen. Maßgebliche taktische Entwicklungen finden im Klubfußball statt. Die bevorzugte Spielweise bestand in der Uralt-Taktik "Hinten Beton anrühren, vorne Kontern". In zeitgemäßer Sprache nennt man das "in der Defensive das Zentrum verdichten und schnell Umschalten." Hier gilt die ewige Erkenntnis, dass man nur mit einer starken Abwehr Erfolg hat. Argentinien und Frankreich, die beiden Finalteilnehmer, waren darin wahre Meister.

Infantino kriegt den Fußball nicht kaputt

Was also bleibt als Fazit? Dass der Fußball unter schwierigen Bedingungen nichts von seiner Größe verliert und die Kraft hat, Menschen und ganze Länder in seinen Bann zu ziehen, egal wie sehr er missbraucht wird. Der Fußball bleibt trotz allem auch bei einer WM in Katar "leider geil", um einen Song der Band Deichkind zu zitieren. Man darf das genießen. Auch ein Infantino kriegt den Fußball nicht kaputt.

Aus deutscher Sicht bleibt die Lehre, dass man in Zukunft einen anderen Umgang mit kritisierungswürdigen Veranstaltern finden sollte. Denn den Menschenrechten in Katar wie der Nationalelf hierzulande ist nicht gedient, wenn man sich "One-Love-Binden"-Diskussionen verzettelt oder hochtrabend von Haltung redet, "die man entwickeln müsse". Das hört sich so an, als hätte man vorher keine gehabt, was natürlich Unsinn war und ist. Die Kritik an der deutschen Elf wegen des Einknickens in der Bindenfrage war teilweise grotesk überzogen. Der "Kicker" spricht von "Betroffenheitsbesoffenheit", was es ganz gut trifft. Verlogene Scheinwelten gibt es nicht nur in Katar.

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