Um Hoteldirektor zu werden, braucht man kein Studium", sagt Michael Sorgenfrey nicht ohne Stolz und lehnt sich zurück in die Polster der verschnörkelten Sitzgarnitur in der "Bel Etage". Von hier blickt man in die historische Lobby des vor wenigen Jahren rekonstruierten Fünf-Sterne-Hauses am Brandenburger Tor in Berlin. Sorgenfrey, erst 35, darf das behaupten: Er ist Chef des Kempinski-Hotels Adlon - ohne Hochschulabschluss. "Man lernt doch viel mehr, wenn man in der Praxis arbeitet", erklärt er. Und das hat Sorgenfrey reichlich getan: Angefangen hat er vor 18 Jahren als Kochlehrling in Hamburg. Acht Stationen hat er seitdem eingelegt, unter anderem im weltberühmten Mandarin-Oriental in Bangkok. "Ich habe immer im Zwei- oder Dreijahresrhythmus gewechselt", sagt er. "Das ist nicht oft für die Branche."
Doch ganz ohne Schule ging’s auch nicht: Neben der Kochausbildung besuchte er die zweimonatige Summer-School der Cornell-Universität in New York, der weltweit angesehensten Schmiede für den Hotel- und Tourismussektor. Jetzt sattelt er noch einen MBA drauf und besucht dazu jeweils drei Wochen lang Blockseminare in einem der Kempinski-Hotels weltweit: Studium de Luxe.
Hotelerie ist nur ein Bereich der Tourismusindustrie
Solche Karrieren sind im Hotelgewerbe ziemlich verbreitet. In den Führungspositionen des Adlon findet sich kein einziger normal Studierter: Die Chefin des Housekeeping hat sich nach ihrer Hotelfachausbildung in Indonesien, Japan und China hochgearbeitet. Der Küchenchef hat sich nach der Lehre durch halb Frankreich gekocht, und die Empfangschefin war vorher in Lausanne, Peking und New York. Sie alle vereint die Lust an Neuem und der Ehrgeiz, beruflich voranzukommen. Das edle Adlon ist für sie der Punkt, an dem sich ihre Karrieren zufällig kreuzen.
Für die Belegschaften großer Hotels in der ganzen Welt ist das so typisch wie für die gesamte Tourismusbranche, die von Fernweh, Glamour und Träumen lebt: Den Träumen ihrer Kunden und denen ihrer Beschäftigten. Ferne Länder, fremde Kulturen, Luxushotels, Sonne, Strand - gerade für Berufsanfänger klingt das verlockend.
Die Hotelerie ist aber nur ein Bereich der Tourismusindustrie, wenn auch einer der zentralen. Je nach Definition zählen dazu außerdem Gastronomie, Reiseveranstalter, Reisebüros, Fluggesellschaften, Busbetriebe, Bahn, Passagierschifffahrt und sogar Freizeitparks. Die Branche ist mit mehr als zehn Prozent Anteil an der weltweiten Wirtschaftsleistung einer der wichtigsten Sektoren. Für Deutschland ermittelte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) immerhin einen Anteil von acht Prozent. Das entspricht rund 140 Milliarden Euro, die in Hotelbetten verschlafen und in Restaurants verspeist werden. Auch die Aussichten sind gut: Nach einer Prognose der Welthandelsorganisation (WTO) wird sich die Zahl der internationalen Reisen von 1995 bis 2020 verdreifachen. Im langjährigen Durchschnitt expandiert die Tourismusindustrie stets um zwei Prozent stärker als die Weltwirtschaft.
"Die Zeiten der Sonnenscheinbranche sind vorbei"
Leider ist das mit langjährigen Durchschnitten so eine Sache: Sie überdecken kurzfristige Ausschläge, die den Trend auf den Kopf stellen. Und genau das ist gegenwärtig der Fall: "Die Tourismusbranche steckt in einer ordentlichen Krise", sagt Karl Born, Professor für Tourismuswirtschaft an der Hochschule Harz in Wernigerode. "Sie steht und fällt mit der wirtschaftlichen Entwicklung im Land." Und dass die momentan nicht gerade gut läuft, ist kein Geheimnis. Besonders in den Chefetagen großer Reisekonzerne wie Thomas Cook, TUI oder Rewe Touristik hat es sich ausgeträumt. Auf allen Ebenen hat es den Managern seit dem 11. September 2001 immer wieder das Ergebnis verhagelt. Konjunkturdelle, Kriege in Afghanistan und im Irak, die Terroranschläge gegen Touristen auf Bali und Djerba und die Unlust der Deutschen, Geld auszugeben, kamen verschärfend hinzu. Außerdem strichen viele Firmen ihre Spesenbudgets drastisch zusammen.
"Die Zeiten der Sonnenscheinbranche sind vorbei", verkündet Thomas Cook-Chef Stefan Pichler in der Lufthansa-Mitarbeiterzeitung. TUI-Chef Michael Frenzel warnt in der TUI-Times: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die gute alte Welt nicht mehr existiert." Das Wachstum und damit auch die Sorglosigkeit für die Mitarbeiter sind erst mal pass?. Thomas Cook will in den nächsten drei Jahren 1.200 Stellen abbauen, bei der TUI fallen rund 2.000 Arbeitsplätze weg. Viele Fluggesellschaften haben Dutzende Maschinen stillgelegt. Ein Einstellungsstopp ist da noch die harmloseste Reaktion. Auch von den gut 14.000 deutschen Reisebüros, die es im Jahr 2001 noch gab, mussten inzwischen an die 350 schließen. Weitere dürften folgen, denn erstens gibt es hierzulande immer noch deutlich mehr Reisebüros als anderswo, und zweitens sinken dank Internet, Billigfliegern und dem Preisdruck der Reisekonzerne die Margen.
"Die Touristik ist eine lebendige Branche"
Keine gute Zeit also für eine Karriere in der Fremdenverkehrsindustrie? "Ich bin dennoch optimistisch", sagt Tourismusexperte Karl Born: "Bis 2005 wächst die Branche wieder kräftig." Sein Kollege Edgar Kreilkamp von der Uni Lüneburg sieht das ähnlich: "Dieser Sektor wächst international am stärksten. Gerade für qualifizierte Kräfte gibt es da viele neue Aufgaben. Die Kundenwünsche werden immer komplexer, die Anforderungen steigen."
Immerhin steht die Branche für etwa 2,8 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland. Auch wenn es in einigen Bereichen mal eng wird, entsteht durch die traditionell hohe Fluktuation ständig Bedarf an neuen Mitarbeitern. Und gerade im Ausland hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt bereits entspannt. "Weltweit gibt es etwa 500 bis 600 deutschsprachige Hoteldirektoren", sagt Jürgen Clausen, Direktor der Hotelfachschule Wihoga in Dortmund. "Besonders deutsche Küchenchefs sind zurzeit sehr gefragt." Selbst Andreas Stieghorst, Personalleiter bei der TUI-Deutschland, macht Schulabgängern Hoffnung, die jetzt mit der Ausbildung beginnen: "Momentan stellen wir so gut wie niemanden ein, aber das ändert sich auch wieder. Die Touristik ist eine lebendige Branche, die international weiter wachsen wird."
Wichtig ist in solchen Zeiten die richtige Ausbildung
Abseits der großen Hotel- und Reisekonzerne tut sich bereits etwas: "Aus einer Absolventenbefragung wissen wir, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften momentan bei den inländischen Zielgebieten am größten ist. Das reicht vom Kulturamt in Gelsenkirchen bis zum Kurdirektor auf Sylt", sagt Tourismusprofessor Kreilkamp. "Die Studenten wollen allerdings meist lieber zu den großen Reiseveranstaltern oder ins Ausland", gibt er zu bedenken.
Wichtig ist in solchen Zeiten die richtige Ausbildung. Und da wird es etwas kompliziert, denn den Königsweg für die Karriere gibt es im Tourismusgewerbe nicht. Zu vielfältig sind die Aufgabenbereiche, zu wichtig aber auch die persönlichen Voraussetzungen der Beschäftigten. Einig sind sich die Experten nur, dass es gerade in der Dienstleistungsbranche Tourismus auf die praktischen Erfahrungen ankommt. "Bei uns haben 60 Prozent der Studenten vorher eine Berufsausbildung gemacht", stellt Kreilkamp für den Studiengang Tourismusmanagement an der Uni Lüneburg fest, eines von ungefähr 40 spezifischen Studienangeboten an deutschen Hochschulen (siehe Tabelle). Karl Born sieht das genauso: "Praxiserfahrung, besonders im Ausland, steigert die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich." Im Studium werden dann neben den theoretischen Grundlagen BWL und VWL noch Rechnungswesen, Recht, Steuern, zwei Fremdsprachen und touristische Fallstudien gebüffelt.
"Ich bezahle keine Abschlüsse, sondern Fähigkeiten"
"Wir haben nicht immer nur gute Erfahrungen mit den Fachstudiengängen gemacht", wendet TUI-Personalchef Andreas Stieghorst ein. "Oft kennen die Studenten nicht einmal die Arbeitsweise der großen Reisekonzerne, wenn sie von der FH oder Uni kommen." Die Art des Studiums spielt für ihn eine eher untergeordnete Rolle. "Ich bezahle keine Abschlüsse, sondern Fähigkeiten", sagt er. Außerdem legt Stieghorst viel Wert auf die Persönlichkeit der Bewerber: "Da muss ein Bauchgefühl für das Produkt vorhanden sein. Tourismus ist eben ein emotionales Geschäft, und reines Kopfwissen hilft da nicht." Um selber ein Bauchgefühl für die Bewerber zu bekommen, unterhält er sich mit Kandidaten schon mal über Musik und Filme, fragt, ob sie tanzen können und was sie von der Welt gesehen haben. "Da erfahre ich mehr über die Bewerber als aus ihren Zeugnissen." Schließlich haben es Touristiker meist direkt mit den Kunden zu tun und müssen sich mit deren Vorstellungen von Urlaub und Freizeit identifizieren können. "Mit Unternehmensberatertypen können wir hier nicht viel anfangen."
Wer es auf eine Karriere bei einem der Reiseveranstalter abgesehen hat, für den bietet sich die Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann an. Neben kaufmännischen Fähigkeiten werden die Azubis in den Reisebüros auch mit den komplexen Buchungssystemen und den allgegenwärtigen Abkürzungen (zum Beispiel "Pax" für Passagier) und Kodierungen ("3-Letter-Codes") der Branche konfrontiert. 10.200 Lehrstellen gibt es bundesweit. Im Hotel- und Gaststättenbereich, der weitaus größer ist, stehen rund 90.000 Ausbildungsplätze in sechs Berufen (Koch/Köchin, Restaurantfachmann/-frau, Hotelfachmann/-frau, Hotelkaufmann/-frau, Fachmann/-frau für Systemgastronomie, Fachkraft im Gastgewerbe) zur Verfügung.
Wirtschaft ist an Hotelfachschulen der Kern der Ausbildung
Wer eine dieser sechs Ausbildungen abgeschlossen hat, kann auch jenseits der Uni das theoretische Rüstzeug aufpolieren. Rund 40 Hotelfachschulen bieten zweijährige Lehrgänge an. Die bekanntesten sind in Heidelberg, Hannover, Hamburg, Berlin und die Wirtschaftsschule für Hotellerie und Gastronomie (Wihoga) in Dortmund. Etwa 150 Studenten machen an der Wihoga jedes Jahr ihren Abschluss, der als Bachelor anerkannt ist und zum MBA-Studium an der Johnson and Wales University in Providence im US-Staat Rhode Island berechtigt. Zulassungsvoraussetzung an der Wihoga sind die Fachhochschulreife, eine abgeschlossene Berufsausbildung, drei Jahre Berufserfahrung, ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch und nicht zuletzt 750 Euro Semestergebühr. "Wirtschaft ist an Hotelfachschulen der Kern der Ausbildung", erklärt Wihoga-Direktor Jürgen Clausen. "Wir bauen auf der beruflichen Praxis auf."
Einen Haken hat der Einstieg in die Tourismusindustrie allerdings: das Gehalt. "Man sollte Spaß daran haben, anderen Spaß zu machen", umschreibt Clausen das heikle Thema Bezahlung. "Man muss vom Applaus leben wie ein Künstler." TUI-Mann Stieghorst wird da schon deutlicher: "Wer reich werden will, sollte nicht in die Tourismusbranche gehen", sagt er. "Augenblicklich gehen die Gehälter nach unten. Wir sind eben kein Unternehmen, für das man Schmerzensgeld zahlt." Ganz so schlimm ist es dann aber doch nicht: "Als Einsteiger im Tourismusbereich verdient man zwar erst mal unterdurchschnittlich", erklärt Edgar Kreilkamp das Gehaltsgefüge. "Aber man hat gute Aufstiegschancen, da es nicht so viele Hierarchiestufen gibt. Dann stimmt das Geld wieder."
Diese Erfahrung hat auch Adlon-Direktor Michael Sorgenfrey gemacht, der im ersten Lehrjahr gerade mal 360 Mark brutto in der Lohntüte hatte. "Die ersten Jahre sind hart", erinnert er sich. "Aber dafür knüpft man weltweit Kontakte und wird überall mit offenen Armen empfangen. Ich habe noch locker 30 Jahre Berufsleben vor mir, und die werde ich sicher nicht alle in Deutschland verbringen." Und das ist nicht bloß Träumerei.
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