Netflix statt Barbesuch, den neuesten Blockbuster mieten statt ins Kino zu gehen: Die Videostreaming-Dienste sind einer der großen Gewinner des Corona-Jahres 2020. Doch dieses Jahr dürfte das Wachstum deutlich abflachen. Um sich gegen die Konkurrenz behaupten zu können, müssen die Dienste deshalb mit immer größeren Attraktionen aufwarten.
Jüngstes Beispiel ist der Deal, den Autor und Produzent George R.R. Martin beim US-Dienst HBO Max ausgehandelt hat. Gleich fünf weitere Serien soll er auf Basis seiner Reihe "Game of Thrones" für den Dienst entwickeln. Nachdem ihm HBO seinen größten Hit aller Zeiten verdankt, lässt man sich die Zusammenarbeit entsprechend kosten: Martin bekommt dafür "eine mittlere achtstellige Summe", berichtet der "Hollywood Reporter", das dürfte irgendetwas zwischen 40 und 60 Millionen Dollar bedeuten - nur für Martin.
Wettrüsten im Kampf um die Zuschauer
Doch der Heimsender von Jon Schnee und seinen Drachenfreunden ist nicht der einzige, der Unmengen an Geld auf den Tisch legt. Auch die anderen Anbieter rüsten mächtig auf. Für die Action-Komödie "Red Notice" zahlt Netflix etwa alleine 20 Millionen Dollar an Gage - für jeden der drei Hauptdarsteller*innen Dwayne "The Rock" Johnson, Gal Gadot und Ryan Reynolds. Insgesamt plant der Streaming-König dieses Jahr 19 Milliarden Dollar für Content auszugeben, bei Konkurrent Disney sind 8 bis 9 Millionen Dollar für Disney+-Inhalte eingeplant.
Die steigenden Budgets sind eine Folge des sich immer weiter verschärfenden Wettbewerbs. Waren vor wenigen Jahren noch Netflix und Amazon Prime Video quasi alleine auf weiter Flur, sind mit Disney und Apple TV+ weitere mächtige Konkurrenten in den Ring gestiegen. Hinzu kommen Dutzende kleinerer Dienste, die von einzelnen TV-Sendern, Filmstudios oder Internetprovidern betrieben werden. Und alle verfolgen die gleiche Strategie: Mit exklusivem Content die Zuschauer*innen an sich zu binden.
Wie viel Wachstum geht noch?
Das wird aber zunehmend schwieriger. Nachdem die großen Anbieter im letzten Jahr durch die Corona-Lockdowns noch einmal einen beeindruckenden Sprung gemacht hatten, dürfte ein ähnliches Wachstum in diesem Jahr kaum noch zu schaffen sein. Andererseits sind die Budgets, die in den Haushalten für Streaming zur Verfügung stehen, begrenzt. Wer sich schon Netflix, Amazon Prime und vielleicht noch einen weiteren Dienst wie Disney+ leistet, braucht gute Gründe, sich noch einen weiteren Dienst zu gönnen oder dafür einen der bereits gebuchten zu kündigen.

Das spüren selbst die Schwergewichte. HBO, der größte Premium-PayTV-Sender der USA, wollte mit seinem neuen Dienst HBO Max auch den Online-Markt verstärkt ins Visier nehmen. Der läuft trotz zahlreicher hochqualitativer Exklusiv-Inhalte eher gemächlich an. 41 Millionen zahlende Abonnenten habe man zwischen Streaming-Angebot und klassischem Pay-TV, kündigte der Sender zuletzt an, vor dem Start von HBO Max waren es vor einem Jahr noch knapp 35 Millionen gewesen. Allerdings ist das Angebot aktuell noch auf die USA begrenzt.
Wie man schneller wächst, zeigte Disney: Nur etwas mehr als ein Jahr nach dem Start im November 2019 hat der Dienst Anfang März die magische Marke von 100 Millionen Abonnements überschritten. Doch der Konzern hat noch Großes vor: Bis Ende 2024 will man die Abos mehr als verdoppeln, 230 Millionen sind die Zielvorgabe. Zum Vergleich: Das sind mehr als die 195 Millionen die Netflix aktuell hat - nach Jahrzehnten des konsequenten Wachstums.
Heimkino als Hoffnungsträger
Auffällig ist, dass dabei immer mehr Gewicht auf Filme gelegt wird. Waren lange die selbst entwickelten TV-Serien die Publikumsmagnete für Netflix und Co., kommt nun auch beim Streaming vermehr Hollywood-Feeling auf. In einer Vorschau auf des Filmjahr 2021 bei Netflix geben sich die Stars die Klinke in die Hand. Selbst Hollywood-Ikonen wie Leonardo DiCaprio stehen nun exklusiv für den Streaming-Dienst vor der Kamera. Alleine im Thriller "Don't Look Up", in dem er die Hauptrolle übernimmt, werden mit Jennifer Lawrence, Cate Blanchett, Meryl Streep, Jonah Hill und Chris Evans mehr Hochkaräter als zusätzliche Besetzung gelistet, als Netflix noch vor wenigen Jahren in einem ganzen Jahr untergebracht hatte.
Neben den gestiegenen Budgets dürfte die Ursache dafür auch in der veränderten Wahrnehmung der Streaming-Dienste im Business liegen. Früher wurden TV- und Streaming-Produkten eher als Abstieg betrachtet, zu denen sich ein gefragter Star wie DiCaprio nie herabgelassen hätte. Doch seit selbst Kino-Größen wie Martin Scorsese für Netflix Filme machten und die Streaming-Produktionen auch bei den großen Branchenawards absahnen, hat sich das Bild gewandelt.
Die Corona-Krise hat die Entwicklung noch zusätzlich befeuert. Weil das große Blockbuster-Geschäft wegen geschlossener Kinos nicht umsetzbar war, sitzt die Branche in Wartestellung. Viele Kinostarts wurden nach hinten verlegt, der James-Bond-Streifen "Keine Zeit zu sterben" wurde vom ursprünglichen Termin im April 2020 zunächst in den Herbst und nun gleich um ein weiteres Jahr nach hinten geschoben. Doch viele Studios wollen nicht mehr warten: Disney veröffentlichte seinen Spitzentitel "Mulan" im letzten Sommer kurzerhand online, Warner Bros kündigte zuletzt sogar an, sämtliche Topfilme zeitgleich zum Kinostart bei HBO Max anzubieten.
"Das macht ökonomisch keinen Sinn"
In der Branche wird das kritisch gesehen. "Einige der größten Filmemacher dachten gestern Abend noch, dass sie für das beste Filmstudio arbeiten. Heute Morgen fanden sie heraus, dass sie für den schlechtesten Streaming-Dienst arbeiten" schimpfte Christopher Nolan, Regisseur von Hits wie "Inception" oder "The Dark Night" nach der Ankündigung von Warner Bros. Seine These: Das große Blockbuster-Kino sei mit den Geldern aus Streaming-Einnahmen nicht dauerhaft umzusetzen. "Die Entscheidung macht ökonomisch einfach keinen Sinn", ist sich Nolan sicher.
Angesichts der Konkurrenz wird es den Streaming-Diensten aber kaum übrig bleiben, das Wettrüsten mitzumachen, um auf Dauer die Zuschauer*innen halten oder sogar neue gewinnen zu können. Die lange funktionierende Netflix-Methode, immer neue Serien auf die Zuschauer loszulassen, hat den Nachteil, dass immer seltener dieselben Inhalte konsumiert werden. Der sogenannte Watercooler-Effekt, dass am Morgen alle über die neue Folge einer Serie sprechen, fällt damit weg. Mit großen Filmstarts könnte man den wieder vermehrt erzeugen.
Ob sich das finanziell lohnt, ist eine andere Frage. Das Wettrüsten geht ins Geld. Das bekommen auch die Abonnenten zu spüren: Mit Netflix und Disney+ haben zuletzt gleich zwei der wichtigsten Dienste ihre Abogebühren erhöht. Bei Netflix hat man nach zudem begonnen, viel mehr Serien als früher einzustellen, wenn sie unter den Erwartungen blieben. Auf Dauer wird der Konkurrenz-Druck aber wohl auch ganze Anbieter vom Markt drängen. "Nicht jeder Streaming-Dienst hat ein Recht zu existieren", sagte der ehemalige Chef von Disney+, Kevin Mayer, gegenüber "CNBC". "Über die nächsten Jahre werden sich Gewinner und Verlierer herauskristallisieren."
Quellen: Hollywood-Reporter, Variety, CNBC