Bush-Putin-Treffen Das rasche Ende einer Freundschaft

  • von Katja Gloger
Russlands Präsident Wladimir Putin begann als Reformer und mutierte zum autoritären Vorsteher eines korrupten Regimes. Ungeachtet des Treffens in Bratislawa mit US-Präsident Bush fröstelt es gewaltig zwischen Washington und Moskau.

Wladimir Wladimirowitsch Putin hat eine erstaunliche Eigenschaft: Er kann es wirklich jedem recht machen. Kommt daher, freundlich lächelnd und bescheiden, blässlich, eher jungenhafter Kumpel als machtvoller Präsident der Russischen Föderation, des größten Landes der Erde. Fast schüchtern scheint er, und er gibt jedem seiner Gesprächspartner das Gefühl, er versteht ihn, teilt seine Meinung, ist ganz für ihn da. Und schon manch einer hat sich nach einem Gespräch mit Wladimir Wladimirowitsch Putin verwundert gefragt, welche Meinung denn eigentlich der Präsident vertreten hat.

Man weiß zwar mittlerweile eine Menge über ihn, den ehemaligen Offizier des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Dass er sich einen Reitstall auf dem Gelände seiner Residenz in Nowo Ogarjowo bei Moskau errichten ließ. Dass er jeden Morgen auf einem seiner Vollblüter reitet, dann eine halbe Stunde allein in seinem Hallenbad schwimmt, regelmäßig Judo trainiert. Dass er noch nach Mitternacht Mitarbeiter antanzen, Minister ungerührt stundenlang warten lässt. Dass er fast immer zu spät kommt, langatmig und besserwisserisch über die Weltlage doziert. Doch er lässt niemanden wissen, wofür er wirklich steht.

Wladimir Wladimirowitsch Putin ist,

wenn man so will, ein Mann für alle Gelegenheiten. Er weiß, was er seinen Gesprächspartnern schuldig ist. Er hört konzentriert zu, erinnert sich an jedes Detail. Jede Geste, jedes Wort, jedes Lächeln hat er im Griff. Stets stellt er sich ganz auf sein Gegenüber ein, überrascht mit berechnender Einfühlsamkeit. Dieser Mann ist jedem ein Spiegel.

Seinem Volk ist er ein Zar mit eigener Website ebenso wie ein autoritärer Apparatschik. Ein treuer sowjetischer Geheimdienstoffizier ebenso wie ein moderner Politmanager mit einem Faible für Romy Schneider. Der russische Schriftsteller Viktor Jerofeejew schrieb einmal: "Es gibt sogar eine spezielle Website zu Träumen von, mit und über Putin. Jeder ist bereit, Putin sein Herz auszuschütten und mit ihm ein offenes Gespräch von Mensch zu Mensch zu führen." Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass ihn Bundeskanzler Schröder seinen "Freund" nennt. Putin ist einer der wenigen Staatschefs, die mit ihm auf Deutsch über Gott und die Welt plaudern können. Man besucht sich zu Hause, trinkt ein Bier; die Ehefrauen verstehen sich, zu Weihnachten bringt Wladimir handbemalte Christbaumkugeln mit und zu Gerhards Geburtstag einen Kosaken-Chor. Das rührt des Kanzlers Herz und ist gut für die strategische Partnerschaft zwischen beiden Ländern. Schließlich besitzt Russland eine Menge Erdgas - und das braucht man in Deutschland. Außerdem will Deutschland eine echte Führungsmacht in Europa sein. Da kann es durchaus als europäische Aufgabe interpretiert werden, gute Beziehungen zum Führer des russischen Riesenreiches zu pflegen.

Bislang durfte Putin auch George W. Bush als "Freund" bezeichnen. Vor knapp vier Jahren lud ihn Bush auf seine Ranch in Texas ein - eine Ehre, auf die Frankreichs Staatspräsident Chirac bis heute wartet. Vor seiner Reise übte Putin wochenlang Englisch im eigenen Sprachlabor. Man sprach auch über Religion. Damals schaute der tiefgläubige George W. Bush dem russischen Präsidenten tief in die Augen und sah, wie er später erklärte, "seine Seele." Diese Seelenverwandtschaft bezog sich bislang vor allem auf Gemeinsamkeiten im weltweiten Krieg gegen den Terror. Russland unterstützt die USA - und legitimiert den eigenen schmutzigen Krieg im Kaukasus. Außerdem bietet sich Russland als Öl- und Gaslieferant an.

Bislang durften US-Ölkonzerne

von satten Geschäften im Zukunftsmarkt Russland träumen. Dafür sah man Putin sogar seinen taktischen Widerstand gegen den Irak-Krieg nach. Damals gab eine gewisse Condoleezza Rice die Devise aus: "Frankreich bestrafen, Deutschland ignorieren, Russland verzeihen." Das ändert sich gerade gehörig. Der US-Präsident ist auf seiner für ihn enorm wichtigen Europa-Reise, ein selbstbewusster, zupackender Chef-Propagandist in Sachen Freiheit. Er fordert, auch Europa soll Verantwortung für die Verbreitung demokratischer Werte übernehmen. Sein Freund Wladimir will da offenbar nicht mitspielen. Er ist nicht abonniert auf die idealistische "Agenda der Freiheit". Seit neuestem fröstelt es gewaltig zwischen den beiden Ländern. Die Töne werden schriller.

Mehr und mehr scheint es, als ob man in Washington eine Änderung der Russland-Politik erwäge. Gleich mehrmals ermahnte Bush seinen russischen Freund in den vergangen beiden Tagen - und das öffentlich. Er nutzte das Treffen der Nato-Mitglieder und seinen Besuch bei den EU-Staats- und Regierungschefs, um deutlich zu fordern: Russland müsse sein Bekenntnis zu Demokratie und Reform wiederholen: "Dazu gehören eine freie Presse und Rechtstaatlichkeit". Auch Europa müsse Russland dabei an Einlösung der versprochenen Reformen erinnern.

Schon vor vier Monaten, als sich die beiden auf einem Wirtschaftsgipfel in Chile trafen, bemerkten Beobachter, wie ablehnend Bush reagierte: hatte ihm Putin doch eine Polit-Vorlesung über die grundsätzlichen Schwierigkeiten russischer Reformpolitik gehalten.

Belehrungen, langatmige Erklärungen ohne konkrete Ergebnisse - Bush ist viel zu ungeduldig, daran Gefallen zu finden. Auch die konservative Lobby macht Front gegen Putin. Kurz vor Bushs Reise fanden Anhörungen über Russland im US-Senat statt: "Rückzug der Demokratie." Harte Kritik war da zu hören an Putins Politik gegenüber den Nachbarländern. Seine Unterstützung des ekelhaften weißrussischen Diktators Lukaschenko. Seine Versuche, die Lage in Georgien zu destabilisieren. Seine Politik gegenüber Yukos, dem einst mächtigsten russischen Ölkonzern, der zerschlagen wurde. Jetzt fordert auch der angesehene republikanische Senator John McCain, Russland aus der G-8-Gruppe der Industrienationen auszuschließen. Und selbst der demokratische Außenpolitiker Richard Holbrooke wünscht sich "ein Ende der Romanze."

Denn in Washington erkennt man gerade,

wie schamlos Putin bislang von den Fehlern amerikanischer Außenpolitik profitiert hat: Die USA führten Krieg im Irak? Wunderbar - die Ölpreise steigen ins Unermessliche. Das macht Russlands Ölbarone und Staatskonzerne reich. Putin konnte nahezu alle Auslandschulden zurückzahlen. Und vor wenigen Wochen ließ er ausländische Investitionen in wichtige Ölprojekte einfach verbieten. Das war ein Schlag ins Gesicht für Bush und dessen Idee der Energie-Partnerschaft mit US-Ölkonzernen.

Die USA haben Krach mit Europa? Prima - so konnte sich Russland als strategischer Partner der Europäer profilieren, vor allem mit Hilfe der Deutschen. Und außerdem gibt der "imperialistische Amerikaner" ein prima Feindbild auch im eigenen Land ab. Am meisten aber hat den US-Präsidenten offenbar gestört, wie kaltblütig Putin und seine KGB-Kamarilla im Kreml versucht haben, die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine zu manipulieren. Aus zynischem Macht- und Geschäftsinteresse wollte der Kreml den oppositionellen Kandidaten Wiktor Juschtschenko ausbooten und schickte seine Manipulatoren nach Kiew. Die behaupteten, mit genügend Geld und kontrollierten Medien ließe sich in Kiew "auch ein Labrador" ins Präsidentenamt bringen.

Mit leuchtenden Augen hörte ein sichtlich bewegter Bush am Dienstag von Wiktor Juschtschenko persönlich die Geschichte der "orangenen" Revolution. Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hatte den Ukrainer geschickt gleich neben Bush platziert. Gerührt folgte er dem Bericht eines Mannes, der einen Giftanschlag mit Dioxin nur knapp überlebt hatte und demokratische Wahlen friedlich durchsetzte.

Solche "Geschichten der Freiheit" sind nach dem Geschmack des George W. Bush. Sie begeistern ihn wirklich - in Männern wie Juschtschenko sieht er Vorbilder, gar Helden. Diese Menschen geben seiner Politik erst Sinn. Auf der Seite dieser "Champions der Freiheit", wie er sie nennt, will Bush stehen - und nicht auf Seiten eines wie Putin.

Und deswegen ist Bush an diesem Donnerstag in Bratislawa, der Hauptstadt der Slowakei. Man muss nicht unbedingt auf die Idee kommen, in Bratislawa ein Gipfeltreffen der beiden Staatschefs zu veranstalten. Bush wollte nicht nach Moskau reisen. Er wollte den slowakischen Ministerpräsidenten Mikula Dzurinda besuchen. "Meinen Freund" nennt George Bush den konservativ-christdemokratischen Politiker und begeisterten Marathon-Läufer. "I like the story", sagt Bush über die Slowakei. "Mir gefällt ihre Geschichte. Und deswegen fahre ich hin." In Bratislawa lobt Bush die neuen, osteuropäischen Demokratien. Spricht auf dem Platz vor dem slowakischen Nationaltheater zu den Bürgern des neuen Europa. Er empfängt ehemalige Dissidenten und "Champions der Freiheit" - Oppositionelle aus Weißrussland etwa. Hört ihre Geschichten, ihre Bitten um Unterstützung. Erst am Nachmittag trifft er dann Wladimir Putin. Dieser Tagesablauf wird Putin gar nicht gefallen. Und welche Signale schickte der?

Säuselte zunächst butterweich:

"Im Dialog mit Präsident Bush hat es für uns nie Fragen gegeben, die die Beziehung beeinträchtigen." Den Angriff überließ er seinem Statthalter in Washington. Man habe da durchaus selbst ein paar Probleme mit der amerikanischen Politik, meinte Botschafter Uschakow, und die werde man vorbringen. Die russische Öffentlichkeit sei nicht immer einverstanden mit dem Vorgehen der USA in einigen Teilen der Welt, und "andere kritisieren das Wahlsystem in den USA". Entscheidend aber: "Was gut für ein Land ist, muss nicht automatisch auch gut für ein anderes Land sein." Übersetzt bedeutet das: Jeder soll sich Freiheit so definieren wie gerade notwendig. In Putins Russland heißt das "gelenkte Demokratie".

Denn Wladimir Wladimirowitsch Putin vollzog einen schleichenden Putsch: Der Mann, der als bürokratischer Reformer begann, gilt heute als autoritärer Machthaber eines korrupten Staates. Als Vorsteher eines korrupten Regimes, das weder seine eigenen Bürger vor Terroristen schützen kann noch den Opfern Hilfe erweist. So wie während des Geiseldramas im Moskauer Musicaltheater vor zwei Jahren, als über 120 Menschen an den Folgen eines Gaseinsatzes starben. So geschehen während der Geiselnahme in der Beslaner Schule Nr. 1 vor wenigen Monaten, als mindestens 330 Menschen starben.

"Wir zeigten Schwäche, und die Schwachen werden besiegt", sagte Putin nach dem Ende der Geiselnahme, sein Gesicht rot vor Wut. Doch er ging nicht vor gegen Korruption und Schlamperei bei Polizei und Geheimdiensten. Setzte keine unabhängige Untersuchung in Gang. Beide Ereignisse sollen totgeschwiegen werden. Stattdessen schaffte Putin faktisch die Gouverneure ab, indem er die Regionen dem Kreml unterstellte. Putins Leute kontrollieren Parlament, Gouvernements, die Richter und die Polizei, die Geheimdienste sowieso. Sie stehen den großen Staatskonzernen vor. Wieder einmal scheint es, als reiße sich in Russland eine gierige Machtelite das ganze Land unter den Nagel. Die "Silowiki", die Männer der Sicherheitsapparate, vor allem aus dem ehemaligen KGB, bilden Putins entscheidende Machtbasis. "Die stalinistischen Herrschaftsmethoden des Apparates haben sich nicht geändert", sagt der liberale Politiker Grigorij Jawlinskij.

Die "Silowiki" hassen die stinkreichen "Oligarchen"

- wie den inhaftierten Milliardär Michail Chodorkowskij - als Marionetten der USA und Israels. "Die wollen Russland doch nur zum Rohstofflieferanten machen", wütet ein Oberst des Geheimdienstes FSB, der anonym bleiben will. In seiner Weltsicht sind "die Oligarchen keine nationalen Unternehmer. Man muss sie aus dem Land jagen. Diese liberalen Werte wie Privateigentum werden nicht bestehen bleiben. Öl kann doch jeder aus der Erde pumpen. Ordnung herrscht erst, wenn wir einen totalitären Kapitalismus errichtet haben." Vor allem zwei Namen fallen, wenn es um die neue Ordnung im Kreml geht: Wiktor Iwanow und Igor Setschin, beide Vertraute Putins, beide ehemalige KGB-Bürokraten wie er. Als stellvertretender Leiter der Präsidialadministration ist der 53-jährige Iwanow für Kaderfragen zuständig. Er begann seine Karriere vor 26 Jahren beim KGB und leitete später die Wirtschaftsabteilung der Nachfolgeorganisation FSB. Igor Setschin, 41, arbeitete bereits für Putin, als der noch im Petersburger Bürgermeisteramt diente. Heute leitet er Putins Sekretariat.

Zum System Putin gehören auch Verteidigungsminister Sergej Iwanow, ein KGB-Mann aus Petersburg. Geheimdienstchef Nikolaj Patruschew gilt ebenso als treuer Gefolgsmann wie die stellvertretenden Minister für Wirtschaft, Kommunikation, Presse und Justiz. Die stellvertretenden Leiter der Steuerpolizei - Männer aus dem Geheimdienst FSB. "Die Silowiki behaupten, sie seien nicht korrupt", sagt die bekannte Moskauer Soziologin Olga Kryschtanowskaja, "sie verstehen sich als Bruderschaft, das Kommando des Präsidenten. Diese Leute wollen ein autoritäres, militarisiertes Russland. Und Putin? Er ist sicher einer der liberaleren unter ihnen. Er will kein Despot sein. Aber er gehört zu ihnen. Letztlich denkt er wie sie." Die "Silowiki" sehen die USA nicht als Partner, sondern als strategischen Gegner - und dafür finden sie jeden Tag neue Gründe. Abrüstungsfragen sind immer noch nicht abschließend geklärt. Unbestritten auch: Die USA haben ihren Einfluss in den ehemaligen Sowjetrepubliken massiv ausgeweitet. Heute stehen US-Truppen in Zentralasien. Die baltischen Republiken gehören der Nato und der EU an. Georgien steht unter dem Einfluss der Amerikaner. Und das Wahlergebnis in der Ukraine hat russischen Großmachtambitionen zunächst einmal gestoppt. Vielen Menschen in Russland gilt dies als zynische Machtpolitik der USA. Längst verläuft eine neue Grenze zwischen Ost und West, zwischen Russland und Europa.

Diese neue, alte Kluft wird Putin noch einmal überdecken, wenn er Anfang Mai nach Moskau laden wird. Dort wird er den 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges feiern. Mit patriotischem Pathos wird er dem großen Sieg der Sowjetunion über den Faschismus huldigen, die 27 Millionen Opfer beschwören. Wird sich im Beisein von Staatsmännern aus aller Welt als Vater des russischen Volkes inszenieren. Bush hat sein Kommen zugesagt. Patrioten und Veteranen müsse man Respekt erweisen, sagte er. Es wäre sein 13. Treffen mit Putin - für Abergläubige ein schlechtes Omen.