Schweden und Finnland haben sich Jahrzehnte lang politisch neutral gehalten. Beide nordischen Staaten wollten nicht in die Nato eintreten, das westliche Verteidigungsbündnis mit den USA an der Spitze. Besonders im Kalten Krieg galt es, das nahe gelegene Russland nicht zu verärgern. Besonders Finnland gelang ein Spagat zwischen Moskau und Washington.
Doch der Angriff Russlands auf die Ukraine änderte alles. Russland wurde als Aggressor angesehen und Stockholm und Helsinki wollten militärische Rückendeckung. Finnland hat eine lange Grenze mit Russland, Schweden hat mit der Insel Gotland in der Ostsee ein taktisches Ziel.
Viele Nato-Partner begrüßten den Wunsch beider Länder. Einer blockte allerdings: die Türkei. Man drohte, die Aufnahme zu verweigern. Es braucht die Zustimmung aller Staaten, damit ein Land der Nato beitreten kann.
Absichtserklärung zwischen Türkei, Schweden und Finnland
Besonders Schweden war Ankara ein Dorn im Auge. Die Türkei hatte ihre Blockadehaltung mit der angeblichen schwedischen und finnischen Unterstützung von "Terrororganisationen" wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der syrischen Kurdenmiliz YPG und der Gülen-Bewegung begründet. Stockholm und Helsinki wiesen diese Vorwürfe zurück. Auch ein Waffenembargo verärgerte die Türken.
Im Juni dieses Jahres dann die überraschende Kehrtwendung: Präsident Recep Tayyip Erdogan gab beim Nato-Gipfel in Madrid seine wochenlange Blockade einer Nato-Aufnahme von Schweden und Finnland auf.
Die drei besagten Länder haben eine Absichtserklärung unterzeichnet, die auf die Vorbehalte der Türkei eingeht. Die beiden Nordländer haben Erdogan ein "hartes Durchgreifen" gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK, die in der Türkei, der EU und den USA als terroristische Organisation eingestuft wird, zugesagt. Zudem wollen Finnland und Schweden eine Auslieferung von Menschen prüfen, die in der Türkei unter Terrorverdacht stehen. Ein Waffenexport-Embargo gegen Ankara stehe ebenfalls auf der Kippe. Die Türkei habe "bekommen, was sie wollte", hieß es damals in einer ersten Reaktion aus Ankara.
Wenige Wochen später haben Vertreter der 30 Mitgliedstaaten der Nato die für die Aufnahme von Schweden und Finnland notwendigen Beitrittsprotokolle unterzeichnet.
Vom Kalten Krieg bis heute: die Geschichte der Nato in Bildern

Erdogan kritisiert Schweden – und lobt Finnland
Und seitdem? Schweden und Finnland sind nach wie vor nicht in der Nato. Woran liegt das? Oder besser gesagt: an wem?
Es dürfte nicht überraschend sein, dass die Türkei hier wieder der Staat ist, der auf die Bremse tritt.
Im September äußerte Erdogan wieder alte Vorwürfe, dass Schweden Terrorismus unterstütze. "Schweden ist eine Wiege des Terrorismus. Und die Terroristen sind bis in ihr Parlament eingedrungen", sagte er in einem Interview mit dem US-Sender PBS.
"In Finnland hingegen sind sie nicht wie in Schweden. Sie sind etwas ruhiger und haben mehr Kontrolle über die Entwicklung. Aber Schweden ist nicht so. Sie verwenden immer bestimmte Gründe. Sie benutzen immer irgendwelche Ausreden. Sie reden immer über die Verfassung. Und als Leitprinzip der Verfassung schätzen sie die Meinungsfreiheit", sagte Erdogan und fuhr fort: "Und im Gegenzug sage ich, dass Terrorismus nichts mit Meinungsfreiheit zu tun hat. Und das türkische Parlament ist der letzte Entscheidungsträger."
Eine Drohung, die einem Nato-Beitritt Schwedens einen Riegel vorschieben könnte.

Schweden geht weiter auf Türkei zu
Stockholm reagiert daher mit Beschwichtigung. Am Samstag teilte Schwedens neuer Außenminister Tobias Billström mit, man werde die Verbindungen zur YPG und ihrem politischen Ableger PYD einstellen. "Wir beabsichtigen keine enge Verbindung mit ihnen", sagte Billström in einem Radiointerview.
Vorrangig geht es laut Billström um die Mitgliedschaft Schwedens in der NATO und den Erfolg bei den Verhandlungen mit der Türkei.
Ministerpräsident Ulf Kristersson betonte, dass die Distanzierungen von YPG und PYD nichts Neues seien und verwies auf das im Sommer geschlossene Dreierabkommen zwischen Schweden, Finnland und der Türkei.
Ibrahim Kalin, Sprecher von Präsident Erdogan, sagte gegenüber dem schwedischen Sender SVT, dass die Regierung mit der schwedischen Haltung zu diesem Thema zufrieden sei. Auf die Frage, ob dies die Ansicht der Türkei über die schwedische Nato-Mitgliedschaft beeinflusst, antwortete er: "Es hilft sicherlich. Aber es gibt noch andere Bedingungen, die erfüllt sein müssen."
Jens Stoltenberg macht Druck
Wieder ein Dämpfer. Da helfen auch warme Worte des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu nicht, der Schwedens neue Regierung für entschlossen hält, "die Anforderungen des Landes für einen genehmigten Nato-Antrag zu erfüllen". Am wichtigsten sei die konkrete Umsetzung, sagt er über das Abkommen zwischen Schweden, Finnland und der Türkei.
Was fehlt also noch? Auslieferungen, fordert die Türkei. Das sagt auch der türkische Botschafter in Schweden, Yönet Can Tezel, dem SVT. "Schweden muss Menschen aufgrund der vorgelegten Beweise ausliefern. Wir haben dicke Bündel von Beweisen, die sie berücksichtigen müssen."
Doch einer scheint langsam genug zu haben von der türkischen Bremsstrategie. Und das ist Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er macht Druck auf Ankara.
"Finnland und Schweden halten sich an das Abkommen mit der Türkei. Sie sind zu starken Partnern in unserem gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus in all seinen Formen geworden. Sie haben sich eindeutig zu einem langfristigen Abkommen mit der Türkei verpflichtet, um Ihre Sicherheitsbedenken auszuräumen. Es ist an der Zeit, Finnland und Schweden als vollwertige Nato-Mitglieder willkommen zu heißen", forderte Stoltenberg vor einigen Tagen. Er fügte hinzu, dass eine Genehmigung so schnell wie möglich kommen sollte.
Kommt das "Nato-Weihnachtsgeschenk"?
Aber wann kommt sie nun?
Mindestens bis Dezember. Denn neben der Türkei hat auch Ungarn bisher dem Beitritt der beiden Nordländer zur Nato nicht zugestimmt. Das soll aber im Dezember geschehen.
Der finnische Präsident Sauli Niinistö schrieb auf Twitter, er habe mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ein Telefongespräch über die Nato geführt. "Gut, dass Finnland bei unserer Nato-Ratifizierung auf Ungarn zählen kann", schrieb er. Laut Nachrichtenagentur Bloomberg will Ungarn die Nato-Anträge im Dezember ratifizieren.
Und wann folgt die Türkei? Vielleicht auch schon im Dezember, meint zumindest Hüseyin Bagci, Direktor des Instituts für Außenpolitik der Türkei (DPE) und Professor für internationale Beziehungen. "Es dient Erdogan nicht mehr, damit zu warten. Es ist wahrscheinlich, dass er Schweden und Finnland ein Nato-Weihnachtsgeschenk machen wird", sagte er laut der schwedischen Zeitung "Aftonbladet".
Die Nachrichtenagentur Bloomberg hingegen berichtet unter Berufung auf Beamte, dass ein "Ja" der Türkei vor den Wahlen im Juni unwahrscheinlich sei. Schweden habe nicht genug getan, um den türkischen Forderungen nachzukommen, und die Tagesordnung des türkischen Parlaments sei für den Rest des Jahres voll, so die Beamten, die anonym bleiben wollten.
Finnland will in die Nato. Auf den Ernstfall bereitet es sich schon lange vor – mit einer unterirdischen Stadt

"Hand in Hand in die Nato"
Das könnte auch für Finnland bedeuten, noch länger auf die Nato-Mitgliedschaft zu warten. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin betonte, was auch der finnische Präsident Sauli Niinistö zuvor sagte – nämlich, dass Finnland ohne Schweden nicht vorankommen kann. "Wir möchten betonen, dass wir Hand in Hand in die Nato gehen", sagte sie Ende Oktober.
Hand in Hand in die Nato – ein Schritt, auf den viele warten. Besonders die anderen nordischen Länder. "Es wird ein historischer Moment sein, wenn alle fünf nordischen Länder der NATO angehören", sagte der norwegische Premierminister Jonas Gahr Støre. "Eine Nato mit Finnland und Schweden wird die Zusammenarbeit zwischen den nordischen Ländern verändern und sie in Sachen Sicherheit noch enger machen", sagte Islands Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdóttir.
Bis dahin wird es aber noch eine Weile dauern.
Quellen: SVT, SR, "Aftonbladet", "Dagens Nyheter", Bloomberg