Vor wenigen Wochen mussten US-Senatoren im Kapitol um ihr Leben bangen und vor einem wütenden Mob fliehen, den Donald Trump angestachelt hatte. Nun sollten sie am Tatort über den Mann richten, den viele für die Erstürmung des Kongressgebäudes verantwortlich machen. Ex-Präsident Trump übersteht die Ereignisse vom 6. Januar juristisch ungestraft, er könnte sich 2024 sogar erneut um das Weiße Haus bewerben. Kommentatoren sind über den Ausgang nicht überrascht – und auch deswegen besorgt. Die Pressestimmen.
"Mitteldeutsche Zeitung"
"Man reibt sich die Augen: Zweimal nun ist der Mann, dem die Verachtung für das Gesetz und seine Amtspflichten auf die Stirn geschrieben sind, vom Kongress angeklagt worden. Und zweimal hat er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen können. Ein historischer Rekord. Kein Wunder, dass Trump im fernen Florida nun triumphiert. Doch sollte man sich vom Siegesgeheul nicht täuschen lassen. Das Urteil des Senats ist allenfalls ein Freispruch zweiter Klasse. Immerhin sieben Vertreter der eigenen Partei stimmten gegen ihren früheren Präsidenten - so viel wie in keinem Impeachment-Verfahren zuvor."
"Handelsblatt"
"Das Impeachment nach den Ereignissen vom 6. Januar hinterließ den Eindruck eines Show-Verfahrens, dessen Ergebnis von vornherein feststand. Der Prozess entblößte die Systemfehler der US-Politik, die zu häufig von Parteilinien und Machtspielen bestimmt wird. Trotz allem war das Verfahren die richtige Entscheidung, als Signal für die Öffentlichkeit und historisches Zeitdokument. Denn auch wenn Trump inzwischen eine Privatperson ist, provozierte er den Aufstand als Präsident der größten westlichen Demokratie. Der Prozess machte deutlich, dass das Trauma des 6. Januar lange nachwirken wird."
"Stuttgarter Zeitung"
"Ein Impeachment ist nun mal kein juristisches, sondern ein politisches Verfahren. Die Schuld eines Angeklagten kann noch so wasserdicht bewiesen werden, wenn es genügend Senatoren gibt, die kein politisches Interesse an einer Verurteilung haben, reicht das nicht aus. Die Angst, bei den nächsten Vorwahlen abgestraft zu werden von einer Basis, die Trump noch eine Weile die Treue halten dürfte, hat einige daran gehindert, ihn für schuldig zu befinden. Die Begründung, ein Impeachment verletze die Verfassung, wenn der Angeklagte sein Amt schon nicht mehr ausübe, war dabei nur das Feigenblatt. Die Mehrheit der Republikaner brauchte einen Vorwand, denn in der Sache fehlten ihr die Argumente."
"Passauer Neue Presse"
"Der US-Senat hat Donald Trump im historischen zweiten Amtsenthebungsverfahren freigesprochen. Doch vor dem Richtstuhl der Geschichte gilt dieser Freispruch nicht. In den Geschichtsbüchern wird einmal stehen, dass der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika einer war, der eine wilde Meute dazu aufgehetzt hat, das Kapitol, den Sitz der beiden Kammern des Kongresses, zu stürmen. Dieser flagrante Angriff auf die Demokratie war ein Schurkenstück, befeuert durch den, der eigentlich die Demokratie zu verteidigen hätte - der Präsident selbst."
"Freie Presse"
"Die Demokraten taten gut daran, keine Zeugen vorzuladen. Gutes Regieren mit konkreten Politikangeboten, wie es Joe Biden gerade mit seinem Corona-Hilfspaket unaufgeregt versucht, ist aber die einzige Chance, die Polarisierung im Land aufzubrechen und vielleicht einen Teil der Wähler zurückzugewinnen, die den Verlockungen des Trump-Populismus erlegen sind."
"Tageszeitung"
"Das Ende des zweiten Impeachmentverfahrens gegen Ex-Präsident Donald Trump bedeutet gleichzeitig den Anfang eines offenen Machtkampfs innerhalb der Republikanischen Partei. Von den sieben (Republikanern), die für "schuldig" votierten, sind einige, wie Lisa Murkowski, Mitt Romney oder Susan Collins, schon länger erklärte Trump-Gegner*innen. Die anderen vier jedoch gerieten sofort unter Feuer ihrer Parteiorganisationen. McConnell hat in seiner Rede dem Trumpismus, den er selbst vier Jahre lang als Mehrheitsführer des Senats gestützt und geschützt hat, eine klare Absage erteilt. Für den Ausgang des Machtkampfs wird es wichtig sein, wie die emotional sowie politisch sehr starken Ausführungen der Anklage auf die US-Öffentlichkeit gewirkt haben."
"Rhein-Zeitung"
"Eine Partei, deren Führer die Bedrohung ihres eigenen Lebens widerspruchslos hinnimmt, verdient nur noch den politischen Untergang. Eine Erneuerung aus sich selbst heraus scheint unmöglich, solange sie dem Hetzer in Mar-a-Lago blind ergeben ist. Die aufrechten Konservativen, die sich dem Personenkult verweigert haben, sollten eine Alternative schaffen. Ein Zweiparteiensystem braucht eine starke Opposition, die der Demokratie mehr verpflichtet ist als einem gefährlichen Demagogen. Joe Biden sollte sich die Mühe ersparen, diese Radikalen weiter zu umwerben. Er ist gut beraten, seine Mehrheiten im Kongress zu nutzen, um den Reformstau in den USA zu beenden. Konkrete Verbesserungen im Leben der Menschen sind das beste Mittel gegen die Zersetzung der Demokratie."
"Badische Zeitung"
"Donald Trump ist freigesprochen worden, und dennoch hat er verloren. Theoretisch kann er sich klammern an die Hoffnung, 2024 mit einer zweiten Kandidatur fürs Weiße Haus ein Comeback zu feiern. Ihn abzuschreiben wäre ein Fehler, doch die Chancen, dass er sich noch einmal an die Spitze des Feldes setzt, sind nach diesem Amtsenthebungsverfahren gesunken. Politisch ist es für ihn eine Niederlage. Wenn immerhin sieben von 50 Republikanern es wagen, mit ihm zu brechen, könnte es den Anfang vom Ende bedeuten. Das heraufziehende Ende einer Ära, in der es in den eigenen Reihen lange kaum jemand wagte, sich gegen einen rachsüchtigen Populisten zu stellen, der aus der "Grand Old Party" eine Trump-Partei gemacht hatte."
"Straubinger Tagblatt"
"Da für die Zustimmung zur Amtsenthebung eine Zweidrittelmehrheit notwendig gewesen wäre, war bei der Sitzverteilung von 50 zu 50 von Demokraten und Republikanern von vornherein klar, dass es keine Zustimmung geben wird. Nun birgt aber dieses Ergebnis durchaus auch einen Hoffnungsschimmer in sich. Er spiegelt sich in den sieben Republikanern wider, die sich für ein Votum gegen Trump entschieden haben. Das nämlich zeigt, dass es im Kreis der Republikanischen Partei doch eine beträchtliche Anzahl von Abgeordneten gibt, die nicht mehr bereit sind, bedingungslos Trump zu folgen. Das ist umso höher zu bewerten, wenn man weiß, wie rabiat die vielen Trump-Anhänger gegen solche Abweichler im Senat und auch anderswo vorgehen. Wer sich also in diesem zutiefst vergifteten Klima in den USA dazu entschließt, dem muss es schon sehr ernst sein um die politische Verantwortung für das Land."
"Süddeutsche Zeitung"
"Die Zeit, in der ein Impeachment das äußerste Mittel des Parlaments war, um einen gefährlichen Präsidenten loszuwerden, ist vorbei. Man sollte sich nach zwei Trump-Impeachments binnen 13 Monaten nicht wundern, wenn Amtsenthebungsverfahren künftig zur normalen Waffe des politischen Grabenkriegs in Washington werden. Eine Partei hat immer die Mehrheit im Repräsentantenhaus, und die wird künftig wenig Hemmungen haben, einen Präsidenten aus der anderen Partei anzuklagen. Zugleich wird es auf absehbare Zeit wohl nie eine überparteiliche Zweidrittelmehrheit im Senat geben, die den Angeklagten verurteilt. Das lässt Impeachments zur politischen Showveranstaltung verkommen."
"Kölner Stadt-Anzeiger"
"Dass die Zweidrittelmehrheit zu Trumps Sanktionierung zustande kommen würde, konnte ernsthaft niemand erwarten. Die Demokraten haben daher zurecht entschieden, den Prozess zügig zu beenden und somit die Gesetzgebung im Senat nicht über eine längere Zeit hinweg lahmzulegen. Gutes Regieren mit konkreten Politikangeboten, wie es Joe Biden gerade mit seinem Corona-Hilfspaket versucht, ist die einzige Chance, den fiebrigen Wahn in der US-Gesellschaft zu bekämpfen."
"Südwest Presse"
"Geändert hätte Trumps Verurteilung höchstens, dass er nie wieder als Präsidentschaftskandidat antreten darf. Dass dies in vier Jahren eine realistische Möglichkeit ist, erscheint angesichts der Rolle, die der ehemalige Präsident beim Angriff auf den Kongress spielte, mittlerweile unwahrscheinlich. Trumps hetzerische Rede und die Tatsache, dass er selbst dann nichts unternahm, als er längst wusste, in welcher Gefahr sich sein Vizepräsident befindet, werden ebenso Bestandteile seines Vermächtnisses sein wie das klare Abstimmungsergebnis. Immerhin fiel der mächtigste aller Republikaner, Mitch McConnell, nach der Abstimmung Trump mit einer vernichtenden Rede in den Rücken."
Schweizer "Sonntagszeitung"
"Welche politischen Folgen das zweite Impeachment und der neuerliche Freispruch Donald Trumps haben werden, muss sich erst zeigen. Anders als nach einer Verurteilung können die Demokraten jetzt dem Ex-Präsidenten nicht mit einfacher Senatsmehrheit verbieten, jemals wieder ein öffentliches Amt zu bekleiden. Ohnehin hält es aber eine wachsende Zahl von Beobachtern für unwahrscheinlich, dass Trump 2024 einen zweiten Anlauf auf das Weiße Haus nehmen werde. Das Impeachment hat jedoch bekräftigt, welch unrühmliche Rolle Trump nach seiner Wahlniederlage vom 3. November spielte. Dass dieser trotz aller Niederlagen vor Gericht die gefährliche Fiktion in Umlauf hielt, das Wahlergebnis könne noch umgestoßen werden, hat Trumps Vermächtnis schwer beschädigt. Darunter leidet nicht nur sein Bild in der Geschichte, sondern auch seine Fähigkeit, die republikanische Partei in die Zukunft zu führen. Sollte es den Demokraten beim zweiten Impeachment darum gegangen sein, dann haben sie ihr Ziel erreicht."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung"
"Der Ausgang (des Amtsenthebungsverfahrens) spiegelt die politische Grundstimmung in Amerika wider: Es gibt eine Mehrheit gegen Trump im Lande, aber eben auch eine starke Minderheit, die ihn verehrt. Die Republikaner, die sich diesem Führerkult nun wieder gebeugt haben, gehen eine unsichere Wette ein. Mit Trumpismus mögen sie in der eigenen Partei bestehen, aber nicht unbedingt gegen demokratische Kandidaten. Für den freigesprochenen früheren Präsidenten selbst gilt das noch viel mehr. Er berauscht sich an den 74 Millionen Stimmen, die er im Herbst bekommen hat; Biden aber hatte 81 Millionen. Trump ist ein Wahlverlierer, sein Comeback in vier Jahren ist nicht gewiss."