Die israelische Armee hat ihre großangelegte Militäroffensive im besetzten Westjordanland am Dienstag fortgesetzt. Am frühen Morgen seien in der palästinensischen Stadt Dschenin mehrere Waffen und militärische Ausrüstung beschlagnahmt worden, teilte die Armee mit. Zudem seien ein unterirdischer Schacht zur Lagerung von Sprengsätzen sowie "Räumlichkeiten terroristischer Organisationen" zerstört worden.
Die Zahl der Toten seit Beginn der Militäroperation stieg unterdessen auf zehn. In der Nacht zum Dienstag sei die Leiche eines Palästinensers mit Schusswunden gefunden worden, teilte das Gesundheitsministerium in Ramallah mit. Zudem seien von den 100 Verletzten noch 20 in kritischem Zustand.
Was sind die Hintergründe des Militäreinsatzes? Fragen und Antworten:
Was passiert gerade in Dschenin?
Israel hat in der Nacht zum Montag eine der größten Militäroperationen im Westjordanland seit Jahrzehnten begonnen. Nach mehreren Luftangriffen rückte die Armee mit mehr als tausend Soldaten und Soldatinnen in die Stadt Dschenin ein, die eigentlich unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde steht. In der Stadt, die keine 80 Kilometer Luftlinie von Jerusalem entfernt liegt, lieferte sich das Militär stundenlange Feuergefechte mit bewaffneten Einwohnern.
Warum rückte Israels Armee in Dschenin ein?
Dschenin und sein Flüchtlingslager sind immer wieder Schauplatz von Zusammenstößen zwischen israelischen Soldaten und militanten Palästinensern. Die israelische Armee führt regelmäßig Razzien in dem Gebiet durch, das theoretisch unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas steht.
Die Razzien richten sich nach Angaben der Armee gegen terroristische Infrastruktur. Dschenin und das dortige Flüchtlingslager mit rund 17.000 Einwohnern gelten als Hochburg militanter Palästinenser. Finanziert werden die verschiedenen Gruppen vor allem vom Iran, einem Erzfeind des Staates Israel. In den vergangenen Jahren hatten Bewohner der Stadt mehrfach Anschläge auf Israelis verübt.
Ja-Sager, Fanatiker, Hetzer – diese rechten Köpfe stecken hinter Israels Justizreform

Benjamin Netanjahu ist ein echtes Stehaufmännchen. Ein halbes Dutzend Mal hat er es in seinen inzwischen 73 Jahren auf den Gipfel der Macht gebracht. Über Jahrzehnte galt "Bibi" als begnadeter Taktiker, als Puppenspieler auf der politischen Bühne.
In seiner vorherigen Amtszeit hatte Netanjahu international vor allem als "best Buddy" von US-Präsident Donald Trump von sich reden gemacht. Die Freundschaft der beiden umstrittenen Konservativen führte unter anderem dazu, dass die USA Jerusalem erstmals offiziell als Hauptstadt Israels anerkannten – ein Coup für Netanjahu.
Seit 2016 ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Korruption gegen ihn. Im November 2019 wurde er in drei Fällen wegen Bestechung, Betrugs und Veruntreuung angeklagt. Kurz zuvor hatte er sein Amt eingebüßt, nachdem er bei der Regierungsbildung gescheitert war.
Für seine sechste Amtszeit musste sich der Vorsitzende der konservativen Likud-Partei allerdings verbiegen wie nie zuvor. In seinen insgesamt 15 Jahren als Regierungschef hat "Bibi" immer wieder bewiesen, dass ihm Macht wichtiger ist als Überzeugung – was er zuletzt im Dezember eindrucksvoll zur Schau stellte: Um sich erneut das Amt des Ministerpräsidenten zu sichern, war Netanjahu ein gefährliches Bündnis mit dem rechten Rand eingegangen. Man könnte fast sagen: Um die Hühner aus dem Stall zu bekommen, hat er die Wölfe hereingelassen. Ob seine Partnerschaft mit Rechtsaußen eine Reihe Zweckehe ist, ist mittlerweile fraglich.
Vor zwei Wochen waren bei einer Razzia der israelischen Armee in dem Flüchtlingslager sieben Menschen getötet worden. Die Armee feuerte dabei Raketen aus einem Hubschrauber ab. Kurz darauf starben vier Israelis bei einem Überfall von zwei bewaffneten Palästinensern auf eine Tankstelle nahe der Siedlung Eli. In derselben Woche tötete die israelische Armee bei einem Drohnenangriff nahe Jenin drei Mitglieder einer "Terrorzelle".
Wie begründet Israels Regierung den Einsatz?
"In den vergangenen Monaten ist Dschenin zu einem Rückzugsort für Terrorismus geworden, von dem aus heimtückische Attacken auf israelische Männer, Frauen und Kinder verübt wurden", sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Montagabend. Zuvor hatte Netanjahu erklärt, die Armee sei "in das Terroristennest in Dschenin eingedrungen, sie sind dabei, Kommandozentren zu zerstören und eine beträchtliche Anzahl von Waffen sicherzustellen".
"Israelische Soldaten tun alles dafür, um den Tod von Zivilisten zu vermeiden, während Israel alles dafür tut, um sein Recht auf Selbstverteidigung auszuüben." Ziel sei es, all jene auszuschalten, "die unser Land vernichten wollen". Die Militäroffensive werde so lange dauern wie nötig, "um die Mission zu erfüllen".

Wie geht es den Bewohnern von Dschenin?
Palästinensischen Berichten zufolge wurden Tausende Menschen in der Nacht aus dem Flüchtlingslager evakuiert und in nahe gelegene Notunterkünfte gebracht. Ob dies von der Armee angeordnet wurde, war zunächst unklar. Israelische Sicherheitsbeamte dementierten laut israelischen Medienberichten, dass es einen Befehl zur Evakuierung gegeben habe.
In Dschenin waren die Geschäfte am Dienstag geschlossen. Auf den mit Trümmern und verbrannten Barrikaden übersäten Straßen waren nur wenige Menschen unterwegs, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete.
Wie reagieren die Behörden im Westjordanland?
Die Palästinensische Autonomiebehörde bekräftigte nach einer Sitzung ihrer Führungsspitze, dass es weiterhin keine Zusammenarbeit mit Israel in Sicherheitsfragen geben werde. Ähnliche Ankündigungen hatte die Autonomiebehörde bereits in der Vergangenheit gemacht – sie wurden jedoch nicht umgesetzt. Die Zusammenarbeit umfasste in der Vergangenheit unter anderem den Austausch von Geheimdienstinformationen zur Verhinderung von Terroranschlägen und die Koordination von Großeinsätzen in den von der Palästinensischen Autonomiebehörde allein kontrollierten Gebieten.
Wie geht es weiter?
Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte vor Journalisten, die israelische Armee habe "nicht die Absicht, in dem Lager zu bleiben". Sie bereite sich aber auf die "ernstere Situation" vor, länger in dem Gebiet zu kämpfen.
Nach Beginn der Militäroperation blieben am Dienstag zahlreiche Geschäfte und öffentliche Einrichtungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem aus Protest geschlossen. Zuvor hatten mehrere palästinensische Organisationen zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen. An mehreren Orten waren zudem Kundgebungen geplant.
Wie ist die Lage in Israel und dem Westjordanland?
Die Sicherheitslage in Israel und im Westjordanland mit seinen rund drei Millionen Einwohnern ist seit langem angespannt. Seit Jahresbeginn starben mehr als zwei Dutzend Menschen bei Anschlägen von Palästinensern. Im gleichen Zeitraum wurden rund 150 Palästinenser bei gewaltsamen Auseinandersetzungen, israelischen Militäreinsätzen oder durch eigene Anschläge getötet.
Israel hatte das Westjordanland und Ost-Jerusalem im Sechstagekrieg 1967 erobert. Heute leben dort mehr als 600.000 israelische Siedler in über 200 Siedlungen. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete als Teil eines eigenen Staates. Eine Zweistaatenlösung für den jahrzehntelangen Nahostkonflikt scheint jedoch in weiter Ferne. Die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern liegen seit 2014 auf Eis.