Vor Zwischenwahlen Kämpfer gesucht! Kraft- und machtloser Joe Biden frustriert die US-Demokraten

US-Präsident stützt den Kopf auf seine Hände
Wirkt müde und abgekämpft, dabei bräuchte seine Partei vor den Midterms einen Wahlkämpfer: US-Präsident Joe Biden.
© Nicholas Kamm / AFP
Alarmstimmung bei den US-Demokraten. Die Macht droht ihnen bei den Midterms durch die Finger zu rinnen. Just jetzt wirkt Joe Biden äußerst schwach. Dabei bräuchte seine Partei dringend einen kämpferischen Präsidenten.

Es ist ja nicht so, dass es im Herbst nur um ein bisschen Stühlerücken im Parlament ginge. Im Gegenteil. Umfragen prophezeien, dass die US-Demokraten die gerade erst erlangte (knappe) Macht bei den Zwischenwahlen Anfang November wieder verlieren werden – womöglich in beiden Kammern. Der Gestaltungsspielraum für Joe Biden würde damit extrem schmal werden. Und das, wo sich der Präsident schon jetzt schwer tut, die Geschicke des Landes wirklich im Sinne seiner Partei zu lenken. Zu allem Überfluss wird Berichten zufolge eine erneute Kandidatur von Biden-Vorgänger Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen 2024 immer wahrscheinlicher. Ein Erfolg der Republikaner bei den "Midterms" könnte eine Initialzündung sein. Zuletzt hieß es, er wolle sich schon im Sommer erklären – also vor den Wahlen.

Ausgerechnet jetzt wirkt Joe Biden wie jener "Sleepy Joe", als den ihn Trump während des Wahlkampfes vor zwei Jahren stets beschimpfte. Mit seinem  aktuell zurückhaltenden Auftreten angesichts innenpolitischer Probleme und Rückschläge – von der Aufhebung des Grundsatzurteils "Roe v. Wade" zum Abtreibungsrecht durch den Supreme Court über eine Serie von Schusswaffenattacken bis hin zur hohen Inflation mit steigenden Kosten für Benzin und Lebensmittel – frustriert er "seine" Demokraten zusehends. Viele aus der Regierungspartei wünschen sich mittlerweile recht laut einen kämpferischen Präsidenten. Damit verbunden könnte bei so manchem der Wunsch sein, der dann 81-jährige Biden möge 2024 nicht noch einmal kandidieren. Mögliche Alternativen werden zumindest diskutiert.

Joe Biden: Saft, kraft- und weitgehend machtlos

Was die Stimmung im demokratischen Lager zusätzlich drückt: Es ist nicht so, dass Joe Biden tatenlos wäre. Er setzte Exekutivmaßnahmen und ein überparteiliches Gesetz zur Eindämmung der Waffengewalt in Kraft, er gab Öl-Reserven frei, um den Benzinpreis zu drücken und er forderte angesichts der historischen Aufhebung von "Roe v. Wade" eine Reform des Filibuster-Verfahrens in Senat, durch das eine Minderheit mittels Dauerreden oder die bloße Ankündigung einer Dauerrede ein Vorhaben der Mehrheit blockieren kann. Doch all' das wird weder das Recht auf Abtreibung zurückbringen noch die Benzinpreise senken noch die Schießereien beenden. Das alles sei viel zu wenig, heißt es. Vor allem erziele es nicht die gewünschte Wirkung. "Es macht wütend", zitiert das Polit-Portal "The Hill" einen nicht genannten Parteistrategen. "Unser Haus brennt und es scheint, als würden sie nichts tun, um das Feuer zu löschen. Sie schauen sich das wie der Rest von uns einfach nur an."

Ein Eindruck, der zum Teil dadurch entstehen dürfte, dass Biden die führenden Köpfe seiner Öffentlichkeitsarbeit von der Fahne gehen. Nur wenige Wochen nach dem Abgang der angesehenen Sprecherin Jen Psaki verliert der Präsident mit Kate Bedingfield nun auch seine Kommunikationsdirektorin. Die 40-Jährige werde Ende Juli ihren Posten aufgeben, um mehr Zeit mit ihrem Ehemann und ihren Kindern verbringen zu können, erklärte das Weiße Haus. Bedingfield geht nach mehr als drei Jahren in Bidens Diensten und hinterlässt nach Einschätzung von Bidens Stabschef Ron Klain eine große Lücke. "Ohne das Talent und die Beharrlichkeit von Kate Bedingfield wäre Donald Trump jetzt vielleicht noch im Weißen Haus", kommentierte Klain den Verlust der Kommunikationschefin. "Sie hat eine riesige Rolle in allem gespielt, was der Präsident erreicht hat." Welche "wichtige Rolle" sie künftig "von außen" spielen kann, bleibt nun abzuwarten.

Demokratische Kandidatinnen machen "Roe v. Wade" zum Wahlkampfthema

Bei einem anderen Thema nehmen derweil Frauen das Heft in die Hand: das Recht auf Abtreibung. Gegenüber US-Medien berichteten demokratische Midterm-Kandidatinnen, wie unzufrieden sie mit der Reaktion des Weißen Hauses auf das Ende von "Roe v. Wade" seien. "Was in aller Welt ist mit denen los?", ließ sich ein Parteistratege wenige Tage nach der Supreme-Court-Entscheidung zitieren. "Das ist ein großes Feuer und sie behandeln es nicht wie eines. Ich weiß nicht, was es kosten wird, aber Frauen haben in der vergangenen Woche einen großen Verlust erlitten, aber ich spüre dieses Stimmung nicht im Weißen Haus." Die Gefahr sei groß, ein wichtiges, vielleicht das für die Demokraten entscheidende Wahlkampfthema zu verschlafen.

Dabei hatte die Meinungsforscherin Celinda Lake erst kürzlich durch Untersuchungen zeigen können, dass Demokraten, insbesondere demokratische Frauen, beim Thema Abtreibung gegenüber Republikanern einen deutlichen Vorteil  bei den Wählenden haben. Das geht aus einem Forschungspapier der Lake Research Partners (LRP) vom 27. Mai hervor. "Die Wähler:innen sind wirklich darauf angesprungen, was die demokratischen Pro-Choice-Frauen gesagt haben", betont Meinungsforscherin Lake. Angesichts dessen drängt sich eine Frage ein weiteres Mal auf: Wo ist eigentlich Vize-Präsidentin Kamala Harris? Gerade bei diesem Thema.

"Haben immer vor einer solchen Situation gewarnt"

Vor einer solchen Situation hätte sie schon länger gewarnt, betont die streitbare New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez auf ihrem Twitter-Kanal. "Wir können nicht einfach Versprechungen machen, die Leute auffordern, für uns abzustimmen, und uns dann weigern, unsere volle Kraft einzusetzen, nachdem sie es getan haben", kritisierte sie mit Blick auf das Abtreibungsthema.

Joe Biden müsse dringend seinen Kurs wechseln, betont Parteistratege Joel Payne. "Es gibt einen administrativen Teil des Jobs und den politischen Teil des Jobs, und ich habe den Eindruck, als würde dieser Präsident sich in einer Zeit, in der seine Mannschaft nach politischer Klarheit und Führung verlangt, mehr auf die administrative Rolle konzentrieren." Es müsse nun mehr aus dem Weißen Haus kommen, so Payne. Eine gut funktionierende Regierung müsse beides liefern.

Verständnis sogar von republikanischer Seite

Von einer gut funktionierenden Administration kann allerdings kaum die Rede sein. Jedenfalls nicht in der Wahrnehmung der US-Amerikaner:innen. So hat eine am vergangenen Dienstag veröffentlichte Gallup-Umfrage ergeben, dass nur noch 23 Prozent der US-Bürger:innen Vertrauen in die Institution des Präsidenten habe – 15 Punkte weniger als noch im vergangenen Jahr. Und auf eine Frage der privaten Monmouth Universität in New Jersey, ob sich das Land in die richtige Richtung entwickele, antworteten 88 Prozent mit Nein. Nur noch zehn Prozent waren demnach der Ansicht, dass es sich gut entwickelt – ein Rekordminimum. Hinzu kommen Bidens persönliche Werte. Nur 39 Prozent der Amerikaner:innen sind derzeit mit ihm zufrieden.

Wie ernst die Situation für Biden und die Demokraten wirklich ist, zeigt, dass eine verständnisvolle Stimme aus dem gegnerischen Lager kommt. "Ich bin mir nicht sicher, ob er inhaltlich viel tun kann", zitiert "The Hill" Doug Heye, einen republikanischen Strategen. Der Präsident befinde sich in einer No-Win-Situation, zudem seien die Erwartungen an ihn viel zu hoch gewesen. "Sie haben eine kleine Mehrheit im Repräsentantenhaus und keine wirkliche Mehrheit im Senat [ein Patt mit Vize-Präsidentin Kamala Harris als Ausschlaggebende qua Amt, Anm. d. Red.], also was haben sie da erwartet?" Einen Ausweg zeigt Heye aber doch auf: "Die Basis will nur jemanden, der kämpfen kann. Sie müssen keinen Plan haben, um (...) den Gegner niederzuschlagen, sie müssen nur als Kämpfer angesehen werden."

Genau das ist bei Joe Biden aber derzeit nicht der Fall. Damit sich das ändert, muss der Präsident rasch aus seiner Lethargie erwachen. "Noch haben wir Zeit, es besser zu machen", meint Alexandria Ocasio-Cortez. "Aber wir müssen mutig sein."