Krieg in Nahost Israel kündigt Ausweitung der Bodeneinsätze in Gaza an

Der Feuerschein einer Explosion erhellt den Nachthimmel über dem Gazastreifen
Vor dem Einsatz von Bodentruppen im Gazastreifen hatte Israel seine Luftangriffe verstärkt
© AFP
Israel hat erneut Bodentruppen in den Gazastreifen geschickt. In der Nacht sollen es noch mehr werden. Ob das der Beginn der lange erwarteten Bodenoffensive ist, bleibt unklar. Die Hamas meldet Zusammenstöße.

Nach Darstellung des militärischen Arms der islamistischen Hamas im Gazastreifen gibt es dort an zwei verschiedenen Orten israelische Bodeneinsätze. Es gebe gewalttätige Zusammenstöße in dem Ort Beit Hanun im Norden sowie östlich des Flüchtlingslagers Al-Bureidsch im Zentrum des Gazastreifens, teilten die Al-Kassam-Brigaden am späten Freitagabend mit. Beides sind Orte in Grenznähe. Unabhängig waren die Angaben der Islamistenorganisation, die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, nicht zu überprüfen. Israels Armee wollte den Bericht nicht kommentieren.

Zuvor hatte Israels Armee angekündigt, ihre Bodeneinsätze im Gazastreifen gegen die islamistische Hamas auszuweiten. Das teilte Militärsprecher Daniel Hagari am Freitagabend auf der Plattform X, vormals Twitter, mit. In den letzten Stunden habe das Militär seine Angriffe im Gazastreifen bereits verstärkt. Es würden vermehrt unterirdische Ziele und terroristische Infrastruktur angegriffen, erklärte er weiter. Es blieb zunächst unklar, ob die Ankündigung den Beginn der weithin erwarteten Bodenoffensive des israelischen Militärs darstellte. Das Militär hatte zuvor bereits vereinzelte, zeitlich eng begrenzte Vorstöße am Boden gemacht.

Medienberichte deuteten am Freitagabend auf massive israelische Bombenangriffe im Gazastreifen hin. Ein Militärsprecher teilte dazu auf Anfrage lediglich mit, die Streitkräfte griffen in ihrem Kampf gegen die Hamas "laufend" Ziele im Gazastreifen an.

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Internet im Gazastreifen ausgefallen

Nach Angaben der Palästinensischen Telekommunikationsgesellschaft fielen im Gazastreifen alle Kommunikations- und Internetdienste aus. Schuld sei die heftige Bombardierung durch die israelische Armee, teilte das im Westjordanland ansässige palästinensische Telekommunikationsunternehmen "Paltel" mit. Auch die Organisation Netblocks, die für die Beobachtung von Internetsperren bekannt ist, bestätigte auf der Plattform X einen Zusammenbruch der Internetverbindungen im Gazastreifen.

Die israelische Armee hatte bereits am Freitagmorgen mitgeteilt, binnen 24 Stunden mehr als 250 Ziele im Gazastreifen angegriffen zu haben. Darunter seien Tunnel der Hamas sowie Kommandozentren und Raketenabschussrampen gewesen, erklärte die Armee. Palästinensische Extremisten im Gazastreifen feuerten am Freitag auch erneut Raketen auf Israel ab, vielerorts ertönten Sirenen. Beim Einschlag einer Rakete in der Metropole Tel Aviv wurden Helfern zufolge drei Menschen verletzt. Nach Angaben Israels wurden seit Kriegsbeginn bereits mehr als 8000 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert. Die allermeisten davon werden von Israels Raketenabwehrsystem abgefangen.

Israel reagiert auf Terrorangriff der Hamas

Bei einem Terrorangriff der Hamas im Grenzgebiet zum Gazastreifen am 7. Oktober waren in Israel mehr als 1400 Menschen getötet worden. Mehr als 200 Geiseln wurden in den Gazastreifen verschleppt. Seither bombardiert Israel massiv Ziele im Gazastreifen. Zudem mobilisierte das Militär rund 300.000 Reservisten und zog für eine mögliche Bodenoffensive Kräfte in der Nähe des Gazastreifens zusammen.

Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen stieg seit Kriegsbeginn nach Darstellung des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums auf 7326 an. Darunter sollen 3038 Kinder und Jugendliche sowie 1792 Frauen sein, wie das Ministerium am Freitag mitteilte. Die Zahlen waren zunächst nicht unabhängig zu überprüfen.

Das UN-Nothilfebüro OCHA erklärte unter Berufung auf Hamas-Behörden, dass fast die Hälfte aller Häuser im Gazastreifen durch israelische Angriffe zerstört, unbewohnbar oder beschädigt worden sei.

UN verabschiedet Resolution zur humanitären Situation

Die UN-Vollversammlung hat eine Resolution zur Verbesserung der humanitären Situation und für eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen verabschiedet. Das Papier erreichte am Freitag in New York eine notwendige Zweidrittelmehrheit. 120 Länder stimmten dafür, 14 dagegen, 45 enthielten sich, darunter auch Deutschland. Resolutionen der UN-Vollversammlung sind allerdings nicht rechtlich bindend, sondern gelten als symbolisch. Der mächtigere UN-Sicherheitsrat, dessen Resolutionen bindend sind, war zuvor mehrfach an der Verabschiedung einer Resolution mit humanitärem Fokus zur Situation im Gazastreifen gescheitert.

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Die nun verabschiedete Resolution verurteilt unter anderem jegliche Gewalt gegen israelische und palästinensische Zivilisten, fordert die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Zivilisten, die "illegal festgehalten" werden, und verlangt ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen. Außerdem ruft der Text zu einer "sofortigen dauerhaften und nachhaltigen humanitären Waffenruhe" auf, die zu einer "Einstellung der Feindseligkeiten" führen solle.

Baerbock erklärt deutsche Enthaltung

Außenministerin Annalena Baerbock hat die Enthaltung Deutschlands zur UN-Resolution mit mangelnder Ausgewogenheit des Papiers erklärt. "Weil die Resolution den Hamas-Terror nicht klar beim Namen nennt, die Freilassung aller Geiseln nicht deutlich genug fordert und das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht bekräftigt, haben wir mit vielen unserer europäischen Partner entschieden, der Resolution am Ende nicht zuzustimmen", sagte Baerbock nach der Abstimmung am Freitag laut Mitteilung.

Israel lehnt humanitäre Feuerpausen "derzeit" weiter ab

Auch die Forderung der Staats- und Regierungschefs der EU vom Donnerstagabend nach "humanitären Korridoren und Pausen für humanitäre Zwecke" im Gazastreifen wies Israel zurück. "Israel lehnt einen humanitären Waffenstillstand derzeit ab", sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Dazu zähle "jegliche Art geforderter Feuerpausen". Die Hamas wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft.

Das UN-Menschenrechtsbüro wirft Israel Kriegsverbrechen vor. Den mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen Strom und Treibstoff vorzuenthalten, sei eine kollektive Bestrafung. "Kollektive Bestrafungen sind ein Kriegsverbrechen", sagte die Sprecherin, Ravina Shamdasani, in Genf. Der Treibstoffmangel zwinge zur Schließung von Krankenhäusern und Bäckereien. Die Menschen lebten unter verheerenden Bedingungen, es mangele an sauberem Trinkwasser und die sanitären Einrichtungen seien unzureichend. "Für die 2,2 Millionen Menschen, die im Gazastreifen eingeschlossen sind und kollektiv bestraft werden, bahnt sich eine humanitäre Katastrophe an", sagte Shamdasani. Sie fügte hinzu, dass auch die Entführung von Zivilisten ein Kriegsverbrechen sei.

Zahl der Geiseln höher als bisher angenommen

Die Zahl der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln ist höher als bisher von Israel angenommen. Man habe bis Freitag die Familien von 229 Geiseln informiert, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari. Das waren fünf mehr als noch am Vortag. Es werde erwartet, dass die Zahl noch steigen könnte. Die vier von der islamistischen Hamas bereits freigelassenen Geiseln sind nach Militärangaben bei der Zahl nicht mit eingerechnet. Nach israelischen Informationen sind unter den Geiseln Bürger aus 25 Staaten, darunter auch Deutsche.

Bei den Luftangriffen seit Donnerstag seien "Dutzende" Hamas-Mitglieder getroffen worden, hieß es von israelischer Seite. Auch ein ranghoher Hamas-Befehlshaber sei getötet worden. Der Kommandeur Madhat Mubaschar sei an mehreren Sprengstoff- und Scharfschützenangriffen auf israelische Zivilisten und Soldaten beteiligt gewesen.

WHO: Diskussion über Opferzahlen nicht angebracht

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält die Diskussion über die Verlässlichkeit der Opferzahlen, die von der im Gazastreifen herrschenden Palästinenserorganisation Hamas stammen, für zynisch. Die WHO habe über Jahre keinen Anlass für Zweifel an Zahlen dieser Gesundheitsbehörden gehabt, sagte der WHO-Vertreter für die besetzten palästinensischen Gebiete, Richard Peeperkorn. Es mache auch keinen Unterschied, ob es tausend mehr oder weniger Opfer gebe - die humanitäre Lage im Gazastreifen sei katastrophal, die Zahl der Opfer durch israelische Angriffe enorm. Nach Angaben von Peeperkorn funktionieren noch 23 der insgesamt 35 Krankenhäuser im Gazastreifen teilweise. Es müsse auch auf dem Fußboden operiert werden, sagte er.

Ein dritter von der EU finanzierter Flug mit 51 Tonnen Hilfsgütern für die Menschen im Gazastreifen hat sich auf den Weg in die Region gemacht. Am Freitag sei eine Maschine in Kopenhagen gestartet, teilte die EU-Kommission mit. Sie bringe unter anderem Medikamente nach Ägypten. Die EU finanziere die Gesamtkosten aller Flüge, hieß es. Aus Ägypten sollen die Hilfsgüter weiter nach Gaza transportiert werden. Die Güter werden den Angaben zufolge über Partnerorganisationen wie das Internationale Rote Kreuz abgewickelt. Bislang kommen allerdings nur sehr wenig Hilfsgüter in dem abgeriegelten Küstengebiet an.

DPA
tkr