Die polnische Regierung dringt weiter auf deutsche Reparationszahlungen für im Zweiten Weltkrieg erlittene Schäden. 1,3 Billionen Euro lautet die geforderte Summe, das ist in etwa das Dreifache des aktuellen Bundeshaushalts. "Zunächst mal sollte sich die Bundesregierung dazu positionieren", sagte Polens neuer Botschafter in Deutschland, Dariusz Pawlos, jetzt der "Welt am Sonntag". Das hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) getan und ihre Antwort lautet, wie auch die ihrer Vorgänger: nein.
Polen will von Deutschland 1,3 Billionen Euro
Seit Jahren flammt der Streit um Wiedergutmachung immer wieder auf. Im September stellte eine polnische Parlamentskommission einen Bericht vor, der auf eine Schadensumme von 1,3 Billionen Euro kommt. "Die Frage der Reparationen hat eine fundamentale Bedeutung für Polen. Es geht hier nicht alleine um eine politische Frage, sondern es geht um die Würde Polens", sagte der polnische Vize-Außenminister und Reparationsbeauftragte Arkadiusz Mularczyk.
Doch aus deutscher Sicht ist die Angelegenheit erledigt, es gibt keine rechtliche Grundlage für entsprechende Zahlungen. Zumindest juristisch hat sie damit wohl Recht. Mehrfach wurde das Thema in Abkommen und Verträgen geregelt. Etwa 1953, als Polen explizit auf Reparationsforderungen verzichtete. Oder 1990, als das Land im Rahmen der Zwei-plus-vier-Verhandlungen keine Ansprüche formulierte. Vor zehn Jahren wies der Internationale Gerichtshof in Den Haag zudem eine ähnliche Klage Italiens gegen Deutschland ab.
Sechs Millionen Polen ums Leben gekommen
Doch Recht haben heißt nicht zwingend Recht haben. Vor allem nicht bei einem derart empfindlichen Thema wie der Nazi-Herrschaft über Polen. Hunderte von Dörfern und Teile von Städten wie Warschau wurden von den Deutschen zerstört, rund sechs Millionen Polen kamen dabei ums Leben, unter ihnen drei Millionen Juden. Dass diese Raserei vielen Polen nach fast 80 Jahren noch immer gegenwärtig ist, dürfte niemanden überraschen. Zumal Westdeutschland tatsächlich relativ "günstig" aus der Sache herausgekommen ist.
Genaue Zahlen dazu sind schwer zu bekommen. Umstritten ist etwa, wieviel Wert die früheren deutschen Gebiete hatten, die an Polen abgetreten wurden. Oder wie hoch das deutsche Auslandsvermögen war, dass die Alliierten konfisziert hatten. Sicher ist aber, dass die DDR den deutlich größeren Teil an Wiedergutmachung tragen musste als die Bundesrepublik. So demontierte die Sowjetunion bis 1953 fast 2500 Fabriken und fast die Hälfte des Eisenbahnnetzes und verschiffte alles nach Osten. Schätzungen zufolge ist die DDR auf diese Weise für 97 Prozent aller deutschen Reparationsleistungen aufgekommen.
Mit dem Ende der Demontagen erklärte die Regierung in Warschau den Verzicht auf weitere Wiedergutmachung durch Gesamtdeutschland. Diese Entscheidung aber betrachtet die aktuelle polnische Regierungspartei PiS als unwirksam. Grund: Warschau habe damals keine eigene Politik verfolgen können, da es vollständig von der Sowjetführung in Moskau kontrolliert wurde. Einige Völkerrechtler und Historiker sehen das zwar genauso, doch von Seiten Polen wurde auch danach noch mehrfach auf die Gültigkeit des Beschlusses verwiesen.
Es sind vor allem polnische Konservative, wie der Vorsitzende der PiS-Partei Jaroslaw Kaczynski, die das Thema am Köcheln halten. Der 73-Jährige bekleidet zwar kein offizielles Amt, gilt aber als derjenige, der sowohl Regierungschef Mateusz Morawiecki als auch Präsident Andrzej Duda "vom Rücksitz aus" steuere, wie es in polnischen Medien heißt. So sagte er neulich in einer Rede: Die Deutschen wollten heute mit friedlichen Mitteln das erreichen, was sie sich einst mit militärischen Mitteln vorgenommen hätten. Solche Anspielungen auf Nazi-Deutschland sollen helfen, seine Partei aus dem Umfragetief zu holen. Die PiS regiert seit sieben Jahren, im kommenden Herbst stehen wieder Wahlen an.
Polen will Reparationen international thematisieren
Die Führung in Warschau kündigt nun an, ihre Schadenersatzforderung durch die Institutionen tragen zu wollen: "Jetzt hat Deutschland die Wahl: Entweder setzt es sich mit Polen an den Verhandlungstisch, oder wir werden die Sache in sämtlichen internationalen Foren thematisieren – in den UN, im Europarat und in der Europäischen Union", so Mularczyk. Außerdem soll zudem eine internationale Konferenz zu dem Thema stattfinden, weil auch andere Länder betroffen seien. Neben Polen fordert Griechenland Reparationen von Deutschland. Die Chance aber, dass Deutschland deshalb mehr als eine Billion Euro Wiedergutmachung wird zahlen müssen, dürfte dadurch nicht steigen. Doch möglicherweise öffnet sich andere eine Art politisch-moralischer Wiedergutmachung.
Im Den Haager Urteil von 2012 schlagen die Richterinnen und Richter in einer Randnotiz vor, einen Opferfonds aufzusetzen. Ähnlich dem für NS-Zwangsarbeiter aus dem Jahr 2000. Bislang sind an verschiedene polnische Gruppen, unter anderem KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, rund drei Milliarden Euro an Reparationen gezahlt worden. Ob es einen solchen oder ähnlichen Kompromiss geben wird, ist noch nicht abzusehen. Der Vorwurf aber, dass die Reparationsforderungen Teil einer deutschlandfeindlichen Wahlkampagne seien, widerspricht Botschafter Pawlos: "Es wäre leichtfertig zu glauben, dass das Thema nach den Wahlen 2023 einfach verschwindet."
Quellen: DPA, "Welt am Sonntag", "Welt", Bundeszentrale für politische Bildung, ZDF, Konrad-Adenauer-Stiftung