Für die Weitergabe von Staatsgeheimnissen an die Enthüllungsplattform Wikileaks wurde der US-Soldat Bradley Manning zu 35 Jahren Haft verurteilt. Viele Kommentatoren außerhalb der USA kritisieren das Urteil scharf, vergleichen es beispielsweise mit denen nach dem Folterskandal im US-Militärgefängnis von Abu Ghreib im Irak. Dort hatten US-Soldaten Iraker gefoltert - manche überlebten die Gefangenschaft nicht - und kamen mit geringeren Strafen davon als Manning.
Der 25-jährige Manning wurde zudem unehrenhaft aus der Armee entlassen und rückwirkend degradiert. Viele internationale Medien sehen das Urteil des US-Militärgerichts in Fort Meade bei Washington als äußerst ungerecht an.
"Kommersant", Moskau
"Während der Präsidentschaft von Barack Obama sind sechs aktuelle oder frühere Beamte wegen der unerlaubten Verteilung sensibler Informationen verurteilt worden. Im Vergleich: Während der vergangenen 40 Jahre wurden ähnliche Vorwürfe nur gegen drei Staatsdiener erhoben. Vertreter der wichtigsten Medien und größten Journalistenorganisationen kritisieren die Versuche des Weißen Hauses, die Pressefreiheit einzuschränken. (...)
Schließlich scheint das Urteil gegen Bradley Manning das Schicksal des früheren NSA-Analysten Edward Snowden vorgezeichnet zu haben, der kürzlich vorläufiges Asyl in Russland erhalten hat. Die US-Behörden versuchen, ihn auf allen möglichen Wegen nach Hause zu bekommen, indem sie ihm einen fairen Prozess versprechen. Doch nach dem gestrigen Urteil wird Snowden dies kaum als Möglichkeit betrachten."
"The Guardian"
"Bradley Manning wurde zu einer Strafe verurteilt, die zehn Jahre länger ist als die Frist, nach denen viele der Dokumente, die er öffentlich gemacht hat, freigegeben worden wären. Das Gericht hat mit diesem Urteil die längste Gefängnisstrafe ausgesprochen, die je für ein Informationsleck verhängt wurde. Nach dieser Logik war das, was Manning tat, drei Mal schlimmer als die Taten von Charles Graner, dem US-Soldaten, der einer der Anführer im Folterskandal im irakischen Militärgefängnis von Abu-Ghuraib war. Graner wurde nach sechseinhalb Jahren freigelassen, nachdem er zu zehn Jahren verurteilt worden war."
"Le Courrier Picard", Amiens
"Schuldig ist er. Er räumt es ein und steht dazu. Was schockiert ist die Verbissenheit, mit der die Regierung des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama diese 'Weißen Ritter' des Digitalzeitalters verfolgt hat. Denn was Manning verraten und weltweit öffentlich gemacht hat, ist viel schlimmer als die Enthüllungen selbst, solange diese nicht die Sicherheit des Landes gefährden, dem er diente. Er hat die Existenz von Folter, die Ermordung unschuldiger Zivilisten und Kriegsverbrechen bewiesen. Illegale Taten der US-Regierung. Man hätte erwarten können, dass auch die Akteure dieser furchtbaren Szenen bestraft werden."
"Aftenposten", Oslo
"In der modernen Geschichte gibt es viele Beispiele von illoyalen Personen, die geheime oder vertrauliche Informationen enthüllt haben, und damit eine politische und moralische Empörung in der Gesellschaft auslösten. Nicht zuletzt die amerikanische Gesellschaft hat diese Erfahrung gemacht. Wenn Informationen wichtige Angelegenheiten betreffen, fragt kein Journalist oder Redakteur, wie sie beschafft wurden. Es wiegt schwerer, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von großer Bedeutung für einzelne Menschen, Nationen oder die Weltgemeinschaft zu informieren. Eine besonders große Verantwortung liegt nicht nur bei der Quelle eines Lecks, sondern auch bei den Redaktionen, die Informationen offenlegen, die die Sicherheit von Nationen oder einzelnen Personen gefährden könnten."
"Tageszeitung" ("Taz"), Berlin
"Und so ist die Bilanz: Wer in Uniform Verbrechen begeht, kann auf Schutz hoffen, wenn nur die Öffentlichkeit nichts davon erfährt. Wer diese Verbrechen aufdeckt und eben öffentlich macht, wird verfolgt. Nein, die USA sind keine Diktatur. Aber in der Frage der Deckelung von im Staatsdienst begangenen Verbrechen verhalten sie sich, als wären sie eine. Präsident Obama profitiert noch immer vom Nimbus, dass ja nicht er mit all dem angefangen hat, sondern George W. Bush. Die Verantwortlichen aus dessen Regierungszeit zur Verantwortung zu ziehen begreifen viele als Rachejustiz - so was macht man nicht. Müsste man aber. Nicht aus Populismus. Sondern weil es gerecht wäre."
"Stuttgarter Zeitung"
Auch wenn das Strafmaß für Bradley Manning geringer ausfällt, als es sich die Ankläger gewünscht haben: Das Urteil ist ein Signal an alle Whistleblower vom Schlage Edward Snowdens, die zwar Gesetze brechen, aber auch notwendige Debatten über den Sinn von Kriegen und die Arbeit von Geheimdiensten anstoßen: Gnade gibt es nicht, allenfalls 35 statt 60 Jahre Haft. Barack Obama hat deutlich wie kaum ein anderer US-Präsident davon geredet, dass solche Debatten wichtig seien. Taten ließ er seinen Worten nicht folgen. Im Gegenteil: Obama hat jede Glaubwürdigkeit verloren.
"Süddeutsche Zeitung"
Das Strafmaß ist brutal, selbst wenn es weit hinter der maßlosen Forderung der Anklage nach 60 Jahren bleibt. Die Regierung hat das Signal der Erbarmungslosigkeit bekommen, das sie wollte: Wer Geheimnisse verrät, der verrät sein Land, wer sein Land verrät, bekommt praktisch lebenslang. Wer also die Öffentlichkeit aufklären möchte, weil er den Staat auf einem falschen, gar gefährlichen Weg wähnt, der wird behandelt wie ein Mörder. Es steht nicht fest, dass die Taktik der Einschüchterung aufgeht, auf die Barack Obamas Regierung setzt. Diese Härte könnte Nachahmer erst recht in dem Gefühl bestärken, dass der einzige Weg zu umfassender öffentlicher Aufklärung mit Straftaten gepflastert ist.
"Der neue Tag" (Weiden)
Manning wird die 35 Jahre nicht absitzen müssen. Wenn er nach sieben oder zehn Jahren wieder frei ist, wird Amerika anders über ihn urteilen. Und die US-Armee wird sich vielleicht eines Tages noch schämen, dass sie Manning unehrenhaft entlassen und degradiert hat. Denn auch für ihn gilt: Nicht die, die Hiobsbotschaften überbringen sind die Übeltäter, sondern jene, die die Übeltaten begangen haben.