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Briten suchen neuen Premier Alle Kandidaten im Überblick: Wer wird Mays Nachfolger?

Boris Johnson ist einer der Kandidaten für die Nachfolge von Tory-Parteichefin und Premierministerin Theresa May
Boris Johnson ist einer der Kandidaten für die Nachfolge von Tory-Parteichefin und Premierministerin Theresa May
© Daniel Leal-Olivas / AFP
An diesem Freitag gibt Theresa May den Parteivorsitz auf und bleibt als Premierministerin nur noch so lange im Amt, bis die Tories einen Nachfolger gefunden haben. Elf Kandidaten bewerben sich. Als Favorit gilt ein alter Bekannter.

Am Freitag macht Theresa May den Weg frei für den partei-internen Vorsitz, der dann – vorerst jedenfalls - gleichbedeutend ist mit dem Amt des Premiers. Das ganze Prozedere bei der Kür erinnert etwas an das Kinderspiel Reise nach Jerusalem: der Kandidatenkreis der Tories wird von der Fraktion durch Wahlen und Runde für Runde sukzessiv zusammen gedampft, bis schließlich nur noch zwei übrig sind. Die rund 160 000 Parteimitglieder entscheiden dann per Briefwahl, wen sie lieber in Downing Street 10 sehen. Der Gewinner darf dort tatsächlich einziehen. Die Frage ist allerdings: wie lange? Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Opposition sofort ein Misstrauensvotum anschiebt, um Neuwahlen zu erreichen. Vor allem dann, wenn sich der erklärte Favorit durchsetzt. Und der Favorit ist …

Boris Johnson

Früher Korrespondent für den "Daily Telegraph" in Brüssel, später Bürgermeister von London, dann Abgeordneter und oberster Outist, schließlich Außenminister, nach seinem Rückzug von diesem Posten abermals oberster Outist. Will von allen Kandidaten am dringendsten Premierminister werden. Obschon er einst (und hoffentlich korrekt) voraussagte, seine Chancen auf den Job seien so groß, "wie Elvis Presley auf dem Mars zu finden oder als Olive wiedergeboren zu werden". Parteiintern wird Boris auch "Heineken" genannt, in Anlehnung an das sogenannte Bier aus den Niederlanden: geschmacksfrei, aber mit Massenappeal. Mit diesem Heineken-Faktor schaffte er es, im eigentlich Labour-affinen London Stadtvater zu werden. Die einzige, allerdings hohe Hürde, wird sein, ob Johnson es in die K.o-Runde schafft. Seit 1965 setzte sich beim Schlammschlachten um den Parteivorsitz nämlich nur einmal der Frontrunner durch. Denn Johnson muss demnächst vor Gericht erscheinen wegen seiner Lügen während der Referendums-Kampagne verklagt wurde. Das wird er voraussichtlich überstehen, wie er bislang sämtliche Pleiten, Pannen und Peinlichkeiten überstanden hat. Er hat diese beckenbauersche Gabe, dass ihn sein Geschwätz von gestern kein bisschen schert. In seiner Zeit als Außenminister, schrieb die "Financial Times", habe sich Boris schon mal die Ohren zugehalten und die Nationalhymne gesummt, wenn ihm Mitarbeiter Dinge erklärten, die nicht in seine Weltsicht passten. Sollte Johnson ins Finale einziehen, steht ihm die Tür zur Downing Street offen. Und kurz drauf wird Elvis auf dem Mars entdeckt.

Dominic Raab

Einer von diversen ehemaligen Brexit-Ministern, die aus Protest gegen May den Job quittierten. Seine Qualitäten im Kabinett waren mehr als überschaubar. Dennoch wird Raab unvergessen bleiben: Ihm war in seiner alten Funktion neu, wie viele Lkw jeden Tag in Dover von Zügen und Fähren rollen. Kurz drauf schmiss er hin. 

Michael Gove

Er ist wieder da. Der amtierende Umweltminister wollte vor drei Jahren schon einmal Premier werden. Er unterstützte erst Boris Johnson, entschied sich dann aber handstreichartig um, kandidierte in einem Anfall grotesk falscher Eigenwahrnehmung selbst, worauf Johnson – selbst ein Meister der Intrige – das Handtuch warf. Goves Reputation war jedenfalls dahin. Dachte man. Aber, siehe da, die Halbwertzeit von kaputtem Ruf in Zeiten des Brexit ist offenbar eine andere, und also kehrte Gove ins Kabinett zurück, tritt abermals an. Und stichelt auch schon wieder gegen Boris. 

Rory Stewart

Der Newcomer, der schon lange im Geschäft ist, endlich aber auch Minister ist (Entwicklungshilfe) und allgemein einen ziemlich Ruf besitzt. Stewart wird "Lawrence of Arabia" gerufen, weil er vor als junger Mann zwei Jahre lang und knapp 10.000 Kilometer quer durch Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien und Nepal wanderte, einen New York-Times-Bestseller schrieb, für den Brad Pitt die Filmrechte kaufte. Er arbeitete in Kabul, Indonesien und Montenegro, unterrichtete einst als Tutor und mit gerade mal 19 Jahren die Prinzen William und Harry. Stewart musste sich gerade dafür rechtfertigen, dass er bei einer seiner Wanderungen im Iran in eine Hochzeitsgesellschaft geriet und einen Zug aus einer Opiumpfeifchen nahm. Zur Zeit wandert er wieder durch die britischen Provinz und erklärt den Menschen, wer er ist und wofür er steht: nämlich für eine weiche und möglichst freundschaftlichen Trennung von der EU. Man könnte auch sagen: Er ist genau das Gegenteil von Boris Johnson. Schon deshalb wird’s vermutlich nichts. Was schade ist. Das gilt im Übrigen aber gleichfalls für…

Andrea Leadsom

Was allerdings nicht sonderlich schade ist. Leadsom diente bis kurzem als Sprecherin der Tory-Fraktion im Unterhaus. Dann trat sie ab. Was womöglich niemandem aufgefallen wäre, hätte sie ihren Abschiedsbrief nicht getwittert. Nun ist auch sie zurück, wie Boris und Gove und wie sie selbst vor drei Jahren, als sie sich auf den letzten Metern mit einem brachial-dämlichen Interview in der "Times" aus dem Rennen plapperte. Sie behauptete damals, sie sei deshalb als Premier tauglicher als die Konkurrentin May, weil sie Mutter sei. 

Jeremy Hunt

Außenminister, der immerhin so ehrlich ist, einen No-Deal-Brexit als Katastrophe zu bezeichnen, der seine Partei implodieren lassen könnte. Hunt leistet sich zwar gelegentlich auch Peinlichkeiten (er verglich die EU mit der Sowjetunion), aber längst nicht in jener Regelmäßigkeit, mit der sein Amtsvorgänger Boris Johnson in Fettnäpfchen trampelte. Wird auch "Theresa May mit Hosen" genannt, obschon die bei ihm zu Hause seine aus China stammende Frau Lucia anhaben soll, deren Herkunft er bisweilen auch durcheinander bekommt. Beim Staatsbesuch in China verblüffte er seine Gastgeber mit dem Hinweis, seine Gattin sei Japanerin. Daheim gab’s dann schön was um die Ohren. 

Sajid Javid

Innenminister, der erst einmal dementieren musste, dass er von sich in alter Lothar-Matthäus-Tradition in der dritten Person spricht, als "The Saj". Javid wuchs als Sohn eines aus Pakistan stammenden Busfahrers in einer ziemlich harten Gegend in Bristol auf und arbeitete sich gegen alle Widerstände nach oben. Ihm sei immer wieder gesagt worden "Das schaffst du nicht", erzählte er neulich. Er schaffte es doch und wechselte von einem hoch dotierten Job bei der Deutschen Bank in die Politik. Gilt als clever und taktisch gewieft. Warb während des Referendums für den EU-Verbleib – und ging aus allen Scharmützeln weitgehend unbeschadet hervor. Er ist das, was die Briten als "dark horse" bezeichnen, als Außenseiter mit Chancen. Das teilt er mit …

Matthew Hancock

Gesundheitsminister, dem in seinem Amt allseits Kompetenz attestiert wird. Führte sich aber ziemlich unglücklich ein mit einem Interview, in dem er "Fuck, fuck business" sprach. Das war als vermeintlich lustige Replik auf Boris Johnsons nicht minder dümmliche "Fuck business"-Tirade gedacht, ging aber nach hinten los. Ob’s reicht? Seine Aussichten sind aber allemal höher als die von …

Esther McVey, Mike Harper und Sam Gyimah

Noch nie gehört? Oder gesehen? Dann geht es Ihnen so wie zirka 90 Prozent aller Briten. Womit über die drei eigentlich auch alles gesagt wäre.   

P.S.: Die meisten der Kandidaten, mit Ausnahme von Rory Stewart, glauben im Übrigen, dass sie – falls gewählt – nach Brüssel reisen und dort den Abschiedsvertrag mit der EU neu verhandeln können. Das ist natürlich hochgradig naiv. Wer auch immer neuer Premierminister wird, erbt den Deal von Frau May. In diesem Sinne: Good luck. 

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