Ungarn sieht sich wegen eines neuen Gesetzes massiver Kritik ausgesetzt. Kritiker verlangen rechtliche Schritte der EU-Kommission gegen Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orban weist alle Vorwürfe der Diskriminierung zurück. Beim Gipfel sollen sie sich "Auge in Auge" aussprechen, wie ein EU-Vertreter sagte. Ergebnis ungewiss.
Der Gesetzesentwurf war von der Fidesz-Partei des rechtsnationalistischen Regierungschefs Viktor Orban eingebracht und am Dienstag der vergangenen Woche im Parlament verabschiedet worden. Medienberichten zufolge hat Präsident János Áder das Gesetz gestern unterschrieben und damit in Kraft gesetzt. Bildungsprogramme zu Homosexualität oder Werbung von Großunternehmen, die sich mit Homosexuellen solidarisch erklären, sind demnach nun verboten, ebenso wie Aufklärungsbücher zu dem Thema.
Das bedeutet: Werbung von Unternehmen wie Coca-Cola, das sich 2019 für die Rechte von Homosexuellen in Ungarn eingesetzt hatte, ist laut dem neuen Gesetz verboten. Auch Bücher über Homosexualität sind nicht mehr zulässig. Beliebte Filme wie "Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück", "Harry Potter" und "Billy Elliot" dürfen gemäß der neuen Rechtsprechung laut dem Fernsehsender RTL Klub Ungarn nur noch spätabends mit einer Freigabe ab 18 Jahren gezeigt werden.
Kritiker sehen Einschränkung von Kinderrechten und Meinungsfreiheit
Die ungarische Regierung verteidigte das Gesetz: Es lege lediglich fest, dass Eltern bis zum 18. Lebensjahr ihrer Kinder die exklusiven Rechte zur Erziehung hinsichtlich der sexuellen Orientierung hätten, sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto am Dienstag bei einem EU-Ministertreffen in Luxemburg. Es könne nicht sein, dass ein Sohn gegen den Willen seines Vaters mit "Propaganda" konfrontiert werde. Zudem richte sich das Gesetz gegen Pädophile, sagte Szijjarto.
Kritiker sehen darin jedoch eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Kinderrechte. Nach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und bezeichnete das Gesetz am Mittwoch als "falsch und mit meiner Vorstellung von Politik nicht vereinbar". Die rechtsnationalistische Regierung in Budapest wies die Kritik von der Leyens, die das Gesetz eine "Schande" nannte, scharf zurück. Der Streit überschattete auch das EM-Spiel zwischen Deutschland und Ungarn am Mittwochabend.
Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn?
"Das ist etwas, das ich politisch ablehne", sagte die Kanzlerin mit Blick auf das ungarische Gesetz. Wenn die Aufklärung über homosexuelle Partnerschaften eingeschränkt werde, betreffe dies auch die "Freiheit von Bildung", kritisierte sie.
Von der Leyen bezeichnete das Gesetz zuvor als "Schande". Es diskriminiere Menschen "aufgrund ihrer sexuellen Orientierung" und verstoße gegen die "fundamentalen Werte der Europäischen Union". Einem Protestbrief gegen das Gesetz schloss sich inzwischen mehr als die Hälfte der EU-Staaten an. Die EU-Kommission kann bei Verstößen von Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Dies tut sie in der Regel aber erst, nachdem eine umstrittene Regelung in Kraft getreten ist. Über mehrere Etappen kann dieses Verfahren bis zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof führen.

Ungarn war bereits im Dezember mit einem Gesetzespaket gegen Homosexuelle und andere vorgegangen, das international auf Kritik stieß. Es schreibt unter anderem vor, dass das Geburtsgeschlecht nicht geändert werden kann, und untersagt es Homosexuellen, Kinder zu adoptieren.