Eine Überraschung ist es das nicht. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags eine Verstrickung der rot-grünen Bundesregierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Verschleppung des Deutsch-Libanesen Khaled el-Masri abgestritten. "Die Bundesregierung hat keine Beihilfe zur Verschleppung des deutschen Staatsbürgers el-Masri geleistet," sagte Steinmeier am Donnerstagnachmittag bei der Anhörung im Bundestag in Berlin. Der Vorwurf der Komplizenschaft bei der Entführung el-Masris sei "nicht nur haltlos, sondern böswillig", sagte der Außenminister. Steinmeier sagte, er habe erst nach der Freilassung el-Masris von dessen Verschleppung durch die CIA erfahren, nämlich im Juni 2004.
Fischer zeigte sich demonstrativ ohnmächtig
Damit war Steinmeier, vormals Chef des Kanzleramts, der zweite Befragte an diesem Donnerstag, der eine politische Mitverantwortung der rot-grünen Regierung für die völkerrechtswidrige Verschleppung el-Masris durch die USA ablehnte. El-Masri war zur Jahreswende 2003/4 in Mazedonien entführt worden, und erst nach mehreren Monaten Haft - und angeblich auch Folter - in einem Gefängnis im afghanischen Kabul frei gelassen worden. Vor Steinmeier hatte bereits Ex-Außenminister Joschka Fischer den Vorwurf der Beihilfe zur Verschleppung zurückgewiesen. Fischer, der sonst nicht dazu neigt, seine vormalige politische Macht klein zu reden, hatte gesagt, dass die Federführung im Fall el-Masri nicht beim Außenministerium gelegen habe, sondern bei Innenminister Otto Schily. Die Opposition hatte Fischer, der sich so ungewohnt ohnmächtig darstellte, im Fall el-Masri Untätigkeit vorgeworfen.
"Großer Gott! Steh uns bei!
Steinmeier verfolgte bei seiner Vernehmung eine ähnliche Strategie wie bei einer Bundestagsrede im Frühjahr dieses Jahr, in der es ebenfalls um die Frage ging, wie sehr Deutschland in den teilweise völkerrechtswidrigen Anti-Terror-Kampf der USA verstrickt war, wie sehr er, der Außenminister der großen Koalition, in der rot-grünen Grauzone verhaftet ist. Damals wie heute begann der Außenminister seine Analyse mit dem großen Ganzen, beschrieb die Stimmung, den Kontext, in den er dann einzelne, konkrete Entscheidungen einbettete.
Der SPD-Politiker, der seinen einleitenden Vortrag bei der Verhörung vom Blatt ablas, warb für Verständnis für die Lage der Regierung in der Ausnahmesituation nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA. Die Menschen seien am Tag nach den Anschlägen unter Schock gestanden, sagte Steinmeier. Als Beleg für diese Stimmung führte er die "Bild-Zeitung" an. "Großer Gott! Steh uns bei!", habe diese getitelt. Besondere Situation erfordern besonderes Maßnahmen, sollte das heißen.
Solidaritätsbekundung kein Freibrief für Folter
In dieser Situation habe er es als Kanzleramts-Chef, der auch die Geheimdienste beaufsichtigt habe, als seine vorrangige Aufgabe gesehen, für Sicherheit zu sorgen, sagte Steinmeier. Man habe mit Attentaten auch in Deutschland rechnen müssen, mit Angriffen mit chemischen, mit biologischen Massenvernichtungswaffen. "Alle in der Bundesregierung standen damals unter einem ungeheuren Druck", sagte Steinmeier. Man sei mit Hochdruck daran gegangen, die Sicherheitssysteme zu überarbeiten.

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Trotz des enormen Drucks, so Steinmeier, habe die Schröder-Regierung zu keinem Zeitpunkt den rechtsstaatlichen Rahmen verlassen. Man habe die Verhältnismäßigkeit bei dem Einsatz der Mittel im Anti-Terror-Kampf gewahrt. "Im Bundeskanzleramt unter meiner Verantwortung galten die Prinzipien des Rechtsstaates und der Zivilität jeder Zeit." Der Außenminister verteidigte das bedingungslose Solidaritätsversprechen, das der damalige Kanzler Schröder den USA nach den Anschlägen gegeben habe. "Die uneingeschränkte Solidaritätserklärung für die USA war für uns nie ein Freibrief für Verschleppung und Folter", sagte Steinmeier." Wenn man die eigenen rechtsstaatlichen Maßstäbe aufgebe, hätten die Terroristen bereits gewonnen.
Zunächst Zweifel an el-Masris Darstellung
Von dem Fall el-Masri, so Steinmeier, habe er erst nach dessen Freilassung erfahren, sagte Steinmeier, nämlich am 15. Juni 2004 in der wöchentlichen Besprechung der Sicherheitsbehörden im Kanzleramt. In einem Schreiben vom 8. Juni 2004 hatte der Anwalt el-Masris die Bundesregierung über die Verschleppung seines Mandaten durch die CIA informiert. Steinmeier sagte, dass bei den Sicherheitbehörden zunächst Zweifel an den Vorwürfen el-Masris vorgeherrscht hätten. "Ich habe die anderen Teilnehmer dieser Runde ziemlich ungläubig angeschaut", sagte Steinmeier. "Niemand konnte sich vorstellen, dass sich diese Geschichte wirklich so zugetragen hat."
Diese Zweifel hätten sich im Juni 2004 verstärkt, nachdem ihm berichtet worden sei, dass el-Masri in der Neu-Ulmer Islamistenszene eine eher untergeordnete Rolle gespielt habe. "Erst später verdichtete sich bei mir der Eindruck, dass el-Masris Angaben zutreffen könnten." Dennoch hätten die Ermittlungsbehörden nach dem Eingang des Schreibens im Kanzleramt unverzüglich ihre Arbeit aufgenommen. Ungewöhnlich schnell, wie Steinmeier sagten. Die Zweifel an el-Masris Aussagen hätten jedoch dazu geführt, dass man erst die Fakten habe klären wollen, bevor man die USA, immerhin eine befreundete Nation, mit dem Vorwurf konfrontierte, einen deutschen Staatsbürger zu entführen.
Für Steinmeier ist Fall Kurnaz brisanter
Für Steinmeier ist der Fall el-Masri politisch nur mäßig brisant. Bislang gibt es keine Belege dafür, dass die Bundesregierung oder die deutschen Geheimdienste in die Entführung el-Masris verstrickt waren. Problematisch ist lediglich ein Gespräch des damaligen Innenministers Otto Schily mit dem damaligen US-Botschafter in Berlin, Daniel Coats. Kurz nach der Freilassung el-Masris, Ende Mai 2004, hatte Coats Schily unter dem Siegel der Verschwiegenheit über die Verschleppung durch die CIA informiert.
Schily gab diese Information aber offenbar nicht an seine Kabinettskollegen oder das Kanzleramt weiter. Brisanter dürfte für den populären Steinmeier dagegen der Fall Murat Kurnaz sein, den der Ausschuss ab Januar behandeln wird: Kurnaz, ein türkischer Staatsbürger, der in Bremen aufwuchs, war von den Amerikanern Ende 2001 in Pakistan entführt und bis zum Sommer 2006 im Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba unschuldig interniert worden. Nach Informationen des stern lehnte die Bundesregierung mit Wissen Steinmeiers im Oktober 2002 ein Angebot der US-Regierung ab, Kurnaz nach Deutschland zu überstellen. Steinmeier wird sein Verhalten in diesem Fall in einer erneuten Ausschusssitzung erklären müssen.