VG-Wort Pixel

Wechsel nach Berlin "Pistorius muss mit der Machete vorgehen und nicht mit dem Taschenmesser": Das sagt die Presse zum neuen Verteidigungsminister

Boris Pistorius
Auf dem Weg nach Berlin: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister
© Moritz Frankenberg / DPA
Es war eine ziemlich überraschende Personalie: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister. In der Presse stößt sein Wechsel nach Berlin auf ein geteiltes Echo.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister und damit Nachfolger der scheidenden Amtsinhaberin Christine Lambrecht (beide SPD). Der Amtswechsel soll an diesem Donnerstag erfolgen. Pistorius sagte, der habe "Demut und Respekt vor einer so gewaltigen Aufgabe". In der Presse wird seine Bestellung kritisch gesehen.

"Badische Zeitung": Naturgemäß kennt sich der Jurist gut mit innerer Sicherheit aus, weniger mit der äußeren. Aber vom Typ her ist er einer, dem man die Durchsetzungsstärke für das Amt zutraut. Pistorius hat sich als Innenminister einen Ruf als roter Sheriff verdient: als einer, der bereit ist, hart durchzugreifen. Das ist eine gute Grundlage für einen, der nun ein roter General sein soll. Der künftige Minister hat angekündigt, er werde sich vor seine Truppe stellen. Das sind Töne, die dort sehr begrüßt werden dürften. Vor Pistorius liegen extrem schwierige Aufgaben. An der dringend notwendigen Reform des Beschaffungswesens sind schon viele gescheitert. Neben seiner Erfahrung und seinem Auftreten spricht für ihn auch eines: Er hat erkennbar Lust auf die Herausforderung. Das klingt banal - doch diese Begeisterung war bei Christine Lambrecht in diesem Amt nie richtig zu spüren.

"Weser-Kurier": Was also bringt der Mann mit für sein künftiges Amt? Als niedersächsischer Innenminister ist er sowohl mit Sicherheitsthemen vertraut als auch mit Beschaffungs- und Personalproblemen - bei der Polizei. Da gibt es durchaus Überschneidungen: Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus etwa ist sowohl eine polizeiliche wie eine internationale militärische Aufgabe, siehe den Mali-Einsatz der Bundeswehr.

"Neue Osnabrücker Zeitung": Ambitionen auf ein Berliner Amt hatte der SPD-Politiker schon lange. Hannover fühlte er sich ebenso entwachsen wie zuvor Osnabrück, wo er als Oberbürgermeister wirkte. Geklappt hatte es bisher auch deshalb nicht, weil sich der manchmal ruppige Minister schwertat, sich innerparteilich anzubiedern. Er legte Wert auf Unabhängigkeit, war nie der größte Strippenzieher und Diplomat. In Berlin kann ihm seine kantige, man könnte sagen schneidige Art nun ebenso helfen wie seine relative Distanz zum dortigen politischen Betrieb. Das macht ihn mehr zum Teil der Truppe. Auch sein Alter ist genau richtig. Mit bald 63 Jahren krönt das Amt des Verteidigungsministers seine Karriere - danach muss er nichts mehr werden.

"Pistorius von anderem Kaliber als Lambrecht"

"Südkurier" (Konstanz): Was für eine Überraschung. Nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht hat sich der Kanzler für Boris Pistorius entschieden. Die Rücksicht auf die Frauenquote im Kabinett zählt glücklicherweise weniger als Erfahrung und Trittsicherheit im politischen Geschäft. Daran fehlt es dem Niedersachsen nicht. Zudem hat er als Wehrpflichtiger eine Kaserne von innen gesehen - was bei einem Verteidigungsminister heutzutage schon als Vorzug gilt. Über seinen Erfolg in diesem schwierigen Amt entscheidet anderes. Die Bundeswehr braucht an ihrer Spitze einen eigenständigen Kopf, der weiß, was die Truppe benötigt, um ihren Auftrag zu erfüllen, und der zur Not auch einmal gegen das Kanzleramt aufmuckt, wenn bei Waffenlieferungen wieder einmal gebremst wird. Christine Lambrecht war in diesen Punkten die denkbar falsche Besetzung. Pistorius ist zweifellos von anderem Kaliber. Eine Schonfrist hat er nicht.

"Volksstimme" (Magdeburg): Beim letzten Mal war Boris Pistorius mit bundespolitischen Ambitionen 2019 noch gescheitert: Er wollte SPD-Chef werden und scheiterte. Das eint ihn mit Kanzler Olaf Scholz, der ebenfalls durchfiel und nun Pistorius überraschend zum neuen Verteidigungsminister gemacht hat. Eine Entscheidung, mit der der Kanzler mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat. Pistorius hat ein Jahrzehnt Erfahrung als niedersächsischer Innenminister und führt kommandogelenkte Behörden zielgerichtet und schnörkellos. Deutschland hat mit ihm den ersten Verteidigungsminister seit Thomas de Maizière, der mal beim Militär war. Außerdem muss die SPD nicht einen neuen Vorsitzenden suchen, wie es bei einer Berufung von Lars Klingbeil nötig gewesen wäre. Freilich sind die Frauen in der SPD erbost, weil Scholz mit der von ihm versprochenen Geschlechterparität im Kabinett gebrochen hat. Das muss und wird der Kanzler verkraften.

"Kölner Stadt-Anzeiger": Deutschland wird mit dem neuen Verteidigungsminister gut leben können. Das heißt aber nicht, dass die Entscheidung vollends überzeugt. Dies gilt für den zeitlichen Verlauf. Angeblich war eine Ablösung Lambrechts schon seit dem 3. Januar im Gespräch. Dennoch hatte der Kanzler keinen Ersatz parat. Das ist schlechtes Management. Die zweite offene Flanke ist die der Parität. Scholz überging eine Frau, deren Berufung sich aufgedrängt hätte: die der Wehrbeauftragten Eva Högl. Sie brächte das nötige Rüstzeug mit und blieb gleichwohl außen vor. Nachvollziehbar ist das nicht.

"Stuttgarter Zeitung": Pistorius hat sich als sozialdemokratischer Innenminister einen Ruf als roter Sheriff verdient: als einer, der auch bereit ist, hart durchzugreifen. Das ist eine gute Grundlage für einen, der nun ein roter General sein soll. Der künftige Minister hat bereits angekündigt, er werde sich vor seine Truppe stellen. Das sind Töne, die dort sehr begrüßt werden dürften. Der kantige Niedersachse hat das Potenzial, zu einem Ressortchef zu werden, der in der Truppe geliebt und respektiert wird wie zuletzt Peter Struck. Dessen Amtszeit ist fast 20 Jahre her.

"Man kann Pistorius nur Glückauf zurufen"

"Allgemeine Zeitung" (Mainz): Pistorius muss um sich herum einen Stab aufbauen, dessen Flexibilität und Teamspirit sich am besten an der ukrainischen Armeeführung misst - wenn das Verteidigungsministerium nicht vor allem für seine internen Fehden zwischen den Waffengattungen und den Leitungsebenen bekannt wäre. Zugleich muss Pistorius einen Kaltstart hinlegen. Bei der Frage, wie die Nato die Ukraine mit Kampfpanzern gegen eine russische Frühjahrsoffensive versorgen kann, läuft er den Briten, den Balten und den Polen bereits hinterher. Und bei der Münchener Sicherheitskonferenz muss der Neue in nur einem Monat strategische Linien für Deutschlands künftige Rolle bei der europäischen Landesverteidigung zeichnen können. (...) Man kann dem Mann nur Glückauf zurufen.

"Südwest Presse" (Ulm): Klar ist aber auch: Alleine kann es SPD-Mann Boris Pistorius, so taff er auch sein mag, nicht schaffen. (...) Die nötigen Veränderungen in der deutschen Armee und bei denen, die sie auf ziviler Seite betreuen, müssen von allen Seiten kommen. Wer den jämmerlichen Zustand der deutschen Armee einzig auf die angeblich unfähigen Ressortchefs der zurückliegenden Jahre abschiebt, macht es sich zu einfach. Sie alle kamen, machten mehr oder weniger große Reformpläne - und gingen, ehe es richtig ernst werden konnte. Das und die zuverlässig einsetzenden Debatten über die Köpfe an der Spitze boten dem Apparat aber stets Deckung vor den nötigen Veränderungen. Schuld an der Misere waren "die da oben". Und nein, das ist keine Pauschalverurteilung aller Soldaten und Zivilbeschäftigten. Die meisten wünschen sich vermutlich von Herzen eine bessere Bundeswehr. Sie sollten nun auch mit ganzer Kraft dafür arbeiten - und zwar alle, nicht nur der Neue an der Spitze.

"Ludwigsburger Kreiszeitung": Politisch und menschlich ist Pistorius eine gute Wahl. Fachlich muss er sich einarbeiten, ein Militärexperte ist er dezidiert nicht. Das muss ihm schnell gelingen, auch muss er sich zügig auf einen Beraterstab einlassen, der ihm auch die Untiefen seines neuen Ministeriums nahebringt. Kanzler Scholz gibt mit dieser Entscheidung die Parität unter seinen Ministern und Ministerinnen auf. Doch es ist richtig. In solch einer Notlage muss Kompetenz über Geschlecht siegen. Scholz hätte die Parität allerdings im Wahlkampf nicht so offensiv verkaufen dürfen - er wird daraus gelernt haben.

"Rhein-Zeitung" (Koblenz): Zu beneiden ist der Neue im Amt nicht: Der 62 Jahre alte Pistorius, der sich als pragmatischer Innenpolitiker einen Namen gemacht hat, muss das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr umgehend umsetzen, das Beschaffungswesen reformieren und sich um das marode Gerät kümmern. Die Truppe will Entscheidungen zum Mandat in Mali, das Thema Ausrüstung steht ebenfalls oben auf der Liste, genau wie die fehlende Munition. Es sind politische Mammutaufgaben. Auf dem Posten kann man politisch wenig gewinnen, aber sehr viel verlieren. Pistorius ist ein Politiker, der die Abgründe der Politik ebenso gut kennt wie den Glanz von Scheinwerfern. Er muss nun eine Bewährungsprobe bestehen, das strategisch wichtige Ressort muss besser geführt werden, als es im ersten Jahr der Ampelregierung der Fall war. Das hat das Land, das hat die Truppe verdient. Die SPD hat sich das Verteidigungsministerium 2021 ausgesucht. Jetzt muss die Partei, muss der neue Mann an der Spitze liefern.

"Frankenpost" (Hof): Dass Kanzler Olaf Scholz von seinem Grundsatz abgewichen ist, das Kabinett paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen, geht in Ordnung. Es ging in dieser Situation allein darum, eine möglichst geeignete Person zu finden, egal ob Mann oder Frau. Davon, dass Boris Pistorius als Verteidigungsminister die Erwartungen erfüllt, hängt für Olaf Scholz und seine Kanzlerschaft viel ab. In Zeiten eines Krieges in Europa gilt das ganz besonders. Nur darauf kommt es jetzt an.

"Dummerweise ist Boris Pistorius keine Frau"

"Berliner Zeitung": Dummerweise ist Boris Pistorius keine Frau. Mindestens zur Hälfte sollte das Kabinett mit Frauen besetzt sein, hatte Olaf Scholz einst versprochen. Die Parität ist daher keine Meise, die sich renitente Frauen in den Kopf gesetzt haben. Die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse sollten im Kabinett abgebildet werden, schon allein, um mit gutem Beispiel voranzugehen, damit es irgendwann in allen Bereichen eine Gleichbehandlung gibt. Jetzt sind die Männer wieder in der Überzahl, sehr unzeitgemäß. Man kann und sollte das geißeln. Die SPD-Frauen, die die Parität immer eingefordert haben, sind allerdings sicherheitshalber am Dienstag vorerst auf Tauchstation gegangen, womöglich um Scholz nicht zu düpieren. Wenn sie ihre Stimme wiedergefunden haben, sollten sie das Thema zumindest mal ansprechen.

"Augsburger Allgemeine": Der SPD-Mann aus Niedersachsen ist ein politischer Profi und war bereits nach der Wahl ein heißer Kandidat für das Amt des Bundesinnenministers. Uniformen und Waffen sind nichts, was er innerlich ablehnt, wie viele Parteilinke in der SPD. Was er nicht mitbringt, ist eine tiefe Kenntnis der Behörde Bundeswehr, in der sich Beamte ein paar Kämpfer halten und nicht umgekehrt. Pistorius muss also mit der Machete vorgehen und nicht mit dem Taschenmesser und der Armee die Angst vor dem Armeesein austreiben.

"Die Glocke" (Oelde): Die Herausforderungen, vor denen der gebürtige Osnabrücker steht, sind gewaltig. Eine Schonfrist und Zeit zum Einarbeiten hat er in Zeiten des Kriegs nicht. Wie geht es weiter mit den Waffenlieferungen an die Ukraine? Für welche Projekte wird das Sondervermögen vorrangig genutzt? Wie kann die Beschaffung beschleunigt und das Personalproblem angegangen werden? Zu diesen Fragen müssen schnell Entscheidungen her. Ob es Pistorius gelingt, sich auf dem Schleudersitz des Wehrressorts zu behaupten, hängt auch davon ab, wie schnell und umfassend er das Vertrauen der Soldaten gewinnen kann. Darum war es unter Vorgängerin Lambrecht nicht zum Besten bestellt.

"Frankfurter Rundschau": Ob Boris Pistorius der Richtige ist für das Amt des Verteidigungsministers, wird er zeigen müssen. Er bringt zumindest einiges mit, um die vor ihm liegende Mammutaufgabe zu bewältigen. Als durchsetzungsfähiger und kommunikativer Politmanager müsste er in der Lage sein, die Soldatinnen und Soldaten sowie die Generäle mitzunehmen, um die nur noch teilweise einsetzbare Bundeswehr schrittweise wieder in eine Armee für die Landes- und Bündnisverteidigung umzubauen. Er ist zudem gut vernetzt innerhalb der SPD und kennt durch seine bisherige Arbeit als niedersächsischer Innenminister die meisten anderen Akteure im politischen Berlin. Doch alleine wird er die verschiedenen Aufgaben nicht bewältigen können. Vor allem Kanzler Olaf Scholz sollte die Fehler nicht wiederholen, mit denen er die zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht geschwächt hat, und deren Nachfolger Pistorius bei Entscheidungen zur Verteidigungspolitik mindestens einbinden - wie etwa bei Waffenlieferungen.

"Münchner Merkur": Der 62-jährige Boris Pistorius ist ein in vielen Schlachten gestähltes politisches Schlachtross und nach allem, was man von ihm weiß, eine sichere Wahl für das schwierigste Ministeramt, das die Bundespolitik in europäischen Kriegszeiten zu vergeben hat. Sein Erfolg ist wichtig: für das Land, die Truppe und auch den Kanzler, dessen Ansehen damit steht und fällt, ob er die Zeitenwende erfolgreich bewältigt und Deutschlands Wehrfähigkeit wieder herstellt. Die Bundeswehrsoldaten, die im Extremfall mit ihrem Leben einstehen müssen für ihre Mitbürger, verdienen mehr als das Desinteresse, das ihnen von Lambrecht entgegenschlug. Sie brauchen bessere Ausrüstung, vor allem aber mehr Wertschätzung statt des Misstrauens, das ihnen in der "Friedensnation" Deutschland allzu oft begegnet. Pistorius hat in seinen fast zehn Jahres als niedersächsischer Innenminister gezeigt, wie es geht, sich vor seine Einsatzkräfte zu stellen.

"Nürnberger Nachrichten": Was ist von dem künftigen Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr zu halten? Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Polit-Profi. Wer das schwierige Amt eines Landesinnenministers über einen längeren Zeitraum weitgehend "unfallfrei" bewältigt, der muss sich vor keiner Aufgabe mehr fürchten. Das größte Defizit des Juristen ist seine mangelnde Bundeswehr-Expertise. Das wäre bei einer Eva Högl, immerhin seit zwei Jahren Wehrbeauftragte des Bundestages, nicht der Fall gewesen. Boris Pistorius kann nicht alleine den Erfolg seiner Mission garantieren. Vieles wird davon abhängen, ob er in der Chefetage ein gutes Team um sich herum versammeln kann, das ähnlich wie er selbst möglichst wenig Rücksicht auf festgefahrene Entscheidungsabläufe nimmt.

kng DPA AFP

Mehr zum Thema

Newsticker