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Bundeswehr Warum die Wehrpflicht damals ausgesetzt wurde – und eine Rückkehr skeptisch gesehen wird

Soldaten der Bundeswehr
Soldaten der Bundeswehr
© Sina Schuldt / DPA
Ein "Fehler", den es zu korrigieren gilt – oder eine "Gespensterdiskussion"? Deutschland streitet wieder einmal über Wehrpflicht. Aber warum wurde sie eigentlich ausgesetzt?

Deutschland entdeckt die Wehrpflicht wieder, zumindest erfährt der Streit über die Aussetzung ebendieser angesichts des russischen Kriegstreibens wieder Konjunktur.

Seitdem Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) das heiße Eisen neuerlich angefasst hatte, indem er das Aus für den Pflichtdienst an der Waffe im Nachhinein als "Fehler" bezeichnete, streiten sich die Gelehrten über Sinn und Zweck einer möglichen Rückkehr. Oder handelt es sich dabei um eine "Gespensterdiskussion", wie FDP-Chef Christian Lindner entgegnete?

Die einen sagen so, die anderen so. Sowohl aus Politik und Militär meldeten sich in den vergangenen Tagen zahlreiche Stimmen zu dem Thema:

  • "Meine herzliche Bitte an die Verantwortlichen im Verteidigungsministerium ist: jetzt keine substanzlose Debatte über eine Neuauflage der Wehrpflicht, die Zeit und Geld kostet und auch noch krass gegen die Wehrgerechtigkeit verstoßen würde", sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr am Montag zum Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). 
  • Ausdrücklich erwähnte Dürr den Marineinspekteur Jan Christian Kaack, der zuvor eine Debatte über ein Comeback der Wehrpflicht begrüßt und eine Wiedereinführung nach norwegischem Vorbild ins Spiel gebracht hatte.

  • Die FDP-Verteidigungspolitikerin Agnes-Strack Zimmermann hatte kürzlich in der "Süddeutschen Zeitung" eher grundsätzliche Gedanken zu dem Thema angestellt, die Union regte erneut eine Diskussion über eine "allgemeine Dienstpflicht" an, die sich nicht nur auf die Bundeswehr beschränke.

  • Schließlich sah sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu veranlasst, sich über seinen Sprecher zu äußern. Dieser verwies darauf, dass der Umbau von der Wehrpflichtigen- zur Berufsarmee "nicht einfach so" rückgängig gemacht werden könne. Insofern fehle es "insbesondere in der jetzigen Phase (…) eigentlich an Substanz einer solchen Debatte". 

Freilich zeigen die vielen Wortmeldungen, und die wiederholte Diskussion, dass die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht noch immer ein erhebliches Reizthema ist. Keine weiteren Fragen, außer: Warum wurde sie eigentlich ausgesetzt?

Das Aus der Wehrpflicht

Zwar war die Streitkräftereform, die 2011 unter anderem das Ende der seit 1956 bestehenden Wehrpflicht bedeutete, schon damals umstritten. Jedoch erfolgten die Reformpläne, die der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU) anstieß, unter anderen Umständen als heute und wurden jahrelang von einer Mehrheit der Deutschen mitgetragen. Spätestens mit Russlands Überfall auf die Ukraine hat sich das Stimmungsbild in der Bundesrepublik gedreht, eine relative Mehrheit würde nunmehr eine Wiedereinführung befürworten.

Seinerzeit regierte in Berlin eine schwarz-gelbe Koalition, mit Angela Merkel (CDU) als Bundeskanzlerin und Guido Westerwelle (FDP) als ihrem Vize. Kurz bevor der damalige Bundesverteidigungsminister Guttenberg über eine Plagiatsaffäre stürzte, stellte der CSU-Politiker die Empfehlungen seiner Bundeswehr-Strukturkommission vor, die neben einer Verkleinerung der Truppe auch das Aussetzen der allgemeinen Wehrpflicht und die Einführung eines freiwilligen Wehrdienstes vorsahen.

Umzusetzen hatte die Reformpläne indes sein Amtsnachfolger Thomas de Maizière (CDU). "Ich finde das keinen Freudenakt heute, dass wir hier die Wehrpflicht aussetzen", sagte er vor dem Parlament. Sie sei allerdings sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen, Deutschland benötige leistungsfähige und finanzierbare Streitkräfte – damit war er ganz bei Guttenberg.

Die seit 1956 bestehende Wehrpflicht erschien, einfach gesagt, nicht mehr zeitgemäß. Deutschland wähnte sich von Freunden statt Feinden umgeben, die Notwendigkeit einer Wehrpflicht-Armee wurde nicht mehr als gegeben angesehen – die meisten Nato-Staaten hatten mit Ende des Kalten Krieges schon auf Berufsarmeen umgestellt. Außerdem sollte gespart und die Truppe auf Auslandseinsätze spezialisiert werden. 

"Wir brauchen heute keine unverhältnismäßig hohen Umfangzahlen mehr, sondern hoch professionelle Streitkräfte, die über weite Distanzen für schwierige und in schwierigen Einsätzen und Szenarien schnell und nachhaltig eingesetzt werden können und auch entsprechend verlegt werden können", sagte Guttenberg damals.

Darüber hinaus gab es immer mehr wehrfähige Männer, als für die Armee benötigt wurden. Folglich musste nicht jeder den Dienst an der Waffe antreten – was das Problem der Wehrgerechtigkeit aufmachte. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht ist die damalige Bundesregierung möglicherweise nur einem späteren Urteil des Bundesverfassungsgerichts zuvorgekommen.

"Die Wehrpflicht, so, wie wir sie kennen, ist in der heutigen Situation nicht erforderlich"

Abgeschafft, also aus dem Grundgesetz gestrichen, wurde die Wehrpflicht allerdings nicht. Sie wurde ausgesetzt, wird sozusagen nicht praktiziert. Außerdem gilt das Ende der Dienstpflicht ausschließlich in Friedenszeiten und kann im Spannungs- oder Verteidigungsfall wieder aktiviert werden.

Darauf wies zuletzt auch FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann hin, die überdies ein "einfaches Ja oder Nein" in der Debatte zur Wiedereinführung als "zu kurz gesprungen" bezeichnete. Ihre Aussagen seien jedoch in einer Agenturmeldung "zugespitzt und falsch wiedergegeben" worden, eine Reaktivierung stehe für sie nicht zur Debatte, stellte Strack-Zimmermann klar.

Tatsächlich hatte sie in der "Süddeutschen Zeitung" insbesondere von vielen Herausforderungen gesprochen, die eine Wiederkehr zur Wehrpflicht mitbringen würden.

  • Unter anderem müssten viele Bundeswehrkasernen "neu gebaut oder erweitert" werden, was für sich eine riesige Herausforderung sei.
  • Auch würde es an Ausbildern und Ausrüstung fehlen.
  • Nicht zuletzt ist Strack-Zimmermann überzeugt, dass die Wehrpflicht heute verfassungsrechtlich auch für Frauen gelten müsse. Bisher gilt nach Artikel 12a des Grundgesetzes, dass jeder männliche deutsche Staatsbürger "vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden" kann. 

Eine Rückkehr zur Wehrpflicht würde also schon strukturelle Problemstellungen mit sich bringen, die nicht rasch aufzulösen wären. Zumal sich auch die Anforderungen an die Bundeswehr über die Jahre verändert haben.

Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, äußerte sich vor diesem Hintergrund schon im Oktober skeptisch über eine Wehrpflicht. "Alles, was militärisch wichtig ist und wird, ist mit einem Durchlauferhitzer namens Wehrpflicht nicht zu haben", sagte er zur "taz". Der Krieg des 21. Jahrhunderts sei nicht der Krieg, der gerade im Donbass geführt werde, so Masala mit Blick auf die Front in der Ukraine. "Die Russen würden einen anderen Krieg gegen uns führen. Da braucht man keine Massenheere, da brauchen wir Profis, die bestens ausgebildet sind."

Ähnlich formulierte es Eberhard Zorn, Generalinspekteur der Bundeswehr, kurz nach Beginn des Krieges. "Die Wehrpflicht, so, wie wir sie noch kennen, ist in der jetzigen Situation nicht erforderlich", so Zorn im März. Er wies zudem darauf hin, dass eine Entscheidung dieser Tragweite nicht auf die Schnelle getroffen werden könne. "Mit Blick auf eine Umstrukturierung der Bundeswehr wieder hin zu einer Streitkraft, die sich wesentlich auf eine Mobilmachung aus dem Volk heraus abstützt, muss es vorher eine gesamtgesellschaftliche Debatte geben."

Diese ist nun wiederholt in vollem Gange. Verteidigungsminister Pistorius, der die Debatte angefeuert hatte, schränkte zuletzt ein: "Die Wehrpflicht würde uns in den nächsten zwei, drei Jahren überhaupt nicht helfen." Er habe mitnichten eine Wiedereinführung ins Gespräch gebracht, sondern "im Kontext einer Dienstpflicht im Allgemeinen" über die Wahrnehmung der Bundeswehr in der heutigen Gesellschaft gesprochen. In diesem Zusammenhang habe er gesagt, die Aussetzung sei ein Fehler gewesen. "Und dabei bleibe ich auch."

Quellen:  "Süddeutsche Zeitung", Bundestag, Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), "Welt", Bundespressekonferenz, Bundeszentrale für politische Bildung, "taz", "Der Spiegel", "Merkur"

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