Angela Merkels Triumph naht. Wenn Bundestag und Bundesrat dem Fiskalpakt zustimmen und das Bundesverfassungsgericht keine großen Einwände hat, hat sie das Land auf Kurs gebracht. Und bald auch Europa. 25 der 27 EU-Länder verpflichten sich zum Sparen, um die Schuldenberge abzutragen.
Ein schöner Erfolg für die Kanzlerin. Aber nicht für den Euro. Ihm wird der Pakt wenig helfen. Er ist die falsche Medizin, so als würde ein Arzt einen Beinbruch mit Aspirin kurieren wollen. Die Schmerzen schwinden, aber die Knochen wachsen nicht zusammen.
Es gab keine Zügellosigkeit
Warum der Pakt nicht hilft? Er beruht auf einer falschen Diagnose. Taugt aber die Diagnose nichts, versagt auch die beste Medizin. Viele Politiker und Bürger glauben, dass Verschwendungssucht in die Krise geführt hat. Die Regierungen des Südens hätten Geld rausgehauen, um ihre Bürger zu beschenken, und die Deutschen sollten nun die Rechnung übernehmen. Diese Zügellosigkeit soll der Pakt stoppen.
Aber diese Zügellosigkeit hat es nie gegeben. Die Staatschulden sind nicht wegen Wohltaten in die Höhe geschossen. Sie stiegen wegen der Finanzkrise, weil Banken gerettet und die Konjunktur gestützt werden mussten. In der Zeit von 2000 bis 2007 sank der Schuldenstand der Euroländer von 69,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 66,4 Prozent. Dann traf der Lehmanschock die Welt, und die Quote kletterte auf 87,4 Prozent Ende 2011.
Musterknabe Spanien
Wie dramatisch der Wechsel war, zeigen die Krisenländer Spanien und Irland. Bis zum Jahr 2007 galten sie als Musterknaben, weil sie Schulden reduzierten, Maastricht-Kriterien einhielten und sogar Budgetüberschüsse anhäuften. Die Finanzkrise verwüstete diese Länder. Irlands Schulden vervierfachten sich binnen vier Jahren, das Land überlebt nur dank der Rettungsmilliarden der europäischen Familie. Der frühere Musterknabe Spanien hat inzwischen die meisten Arbeitslosen im Euroraum und braucht ebenfalls Hilfe.
Und was ist mit Griechenland, Portugal und Italien? Haben nicht zumindest diese Regierungen mit Geld um sich geworfen?
Helfen oder nicht?
Schön wär’s, wenn so einfach wäre. Italien plagen hohe Defizite seit Jahrzehnten, doch man lebte gut damit. Bis zum Jahr 2007 schaffte es das Land sogar, den Schuldenberg um fünf Prozentpunkte abzutragen. Portugal und Griechenland erhöhten zwar Anfang des neuen Jahrtausends die Defizite, aber das störte die Anleger nicht. Für ihre Staatsanleihen mussten die beiden Länder kaum höhere Zinsen zahlen als die Deutschen.
Das änderte erst der Lehmanschock. Die weltweiten Anleger waren verunsichert und wollten Risiken abbauen. Die Europäer aber schufen neue Risiken. Die Griechen schummelten bei ihren Defizit-Daten, die übrigen EU-Länder, vor allem Deutschland, wussten lange nicht, ob sie helfen sollten oder nicht.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Konjunkturprogramme halfen
Auf jeden Fall drängten die Deutschen die Krisenstaaten dazu, kräftig zu sparen, was die Wirtschaft abwürgte und die Anleger weiter verunsicherte. Später mussten die Anleger sogar auf Geld verzichten, um Griechenland zu retten, was sie erst recht verunsicherte. Dass die Finanzkrise alles ausgelöst hatte, interessierte keinen.
Nun soll noch mehr sparen aus der Krise führen. Das jedenfalls versprechen die Befürworter des Paktes. Für Krisen ist der Pakt aber gar nicht gemacht. Liegt die Wirtschaft am Boden, bringt der Fiskalpakt nichts. Die Regierungen müssen sich in diesem Fall verschulden, um das Schlimmste zu verhindern. Das ist auch völlig richtig wie der Konjunktursturz im Jahr 2009 gezeigt hat. Deutschland ist damals nicht in eine Depression geraten, weil es die Regeln über Bord geworfen hat. Man beschloss Abwrackprämien und legte sogar Konjunkturprogramme auf, die sonst als Teufelszeug gelten - und es half. Keiner wollte Wohltaten verteilen.
Parolen für Stammtische
Die Verschwendungssucht des Staates, die der Fiskalpakt bekämpfen soll, ist ein Phantom. Phantome kann man aber nicht bekämpfen. Man kann nur ihr Entstehen erklären und ihnen so den Schrecken nehmen. Nicht maßlose Sozialprogramme haben den Euro gefährdet, sondern maßlose Banken, die ihre Risiken an die Regierungen weiterreichten. Und Politiker, die die Krise als Vorwand nutzten, um nationale Feindbilder aufzuwärmen. Die Parolen vom "faulen Griechen" mögen die Stammtische begeistern, aber sie sichern nicht den Euro und den Wohlstand.
Die Deutschen werden von ihrem hohen Ross absteigen müssen. Mit Sparwut und ständig neuen Regeln ist der Euro nicht zu retten. Die Realität hält sich nicht an Regeln. Der Fiskalpakt wird enttäuschen.