Nach Fromm-Rücktritt SPD fordert grundlegende Reform des Verfassungsschutzes

Nach dem Fahndungsdesaster um die NSU und dem Rücktritt von Verfassungsschutzchef Fromm drohen Kritiker mit Klagen gegen Beamte. Türkische Gemeinden schlagen gar die Abschaffung der Behörde vor.

Nach dem Rückzug von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm werden weitere Konsequenzen aus der Affäre um vernichtete Neonazi-Akten gefordert. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, schlug sogar vor, "über die Abschaffung des Verfassungsschutzes nachzudenken". Es habe sich gezeigt, "dass der Staat und bestimmte Organe des Staates am rechten Auge blind sind". Die Sicherheitsorgane stünden vor einem Scherbenhaufen. "Das Vertrauen in die deutschen Sicherheitskräfte ist bei uns auf fast Null gesunken."

Der Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann will nicht ganz so weit gehen, drängt aber auf umfassende Reformen. "Verfassungsschützer müssen nicht in erster Linie Geheimdienstler sein, sondern geschulte Demokraten, mit einem richtigen Gespür für die Gefahren, die unserer Demokratie drohen." Der Verfassungsschutz müsse weg vom Schlapphut-Image. Auch das Parlamentarische Kontrollgremium könnte "noch professioneller arbeiten", wie der Vergleich mit den USA zeige, wo die beiden Kontrollausschüsse jeweils rund 60 Mitarbeiter hätten.

Erst vor wenigen Tagen war bekanntgeworden, dass Verfassungsschützer Akten zur rechten Szene geschreddert hatten, nachdem die Zwickauer Neonazi-Zelle aufgeflogen war. Der 63 Jahre alte Fromm bat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich am Montag um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand zum 31. Juli. An diesem Donnerstag wird er dem Bundestags-Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen. Der Ausschuss kommt bereits heute zu einer Sitzung zusammen.

Liberaler erwägt Klagen gegen Verfassungsschützer

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth hält in der Affäre auch juristische Schritte für möglich: "Wir sind nahe an dem Zeitpunkt, zu dem geprüft werden muss, inwiefern die Parlamentarier auch juristisch gegen falsche Aussagen und Vertuschung vorgehen können", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung" in Halle.

Als Nachfolger Fromms ist der derzeitige Vizepräsident Alexander Eisvogel im Gespräch. Im Bundesinnenministerium wird nach Informationen der "Berliner Zeitung" auch erwogen, den Präsidentenposten vorerst nicht wieder zu besetzen. Demnach könnte damit gewartet werden, bis die gesamte Affäre um die Terrorzelle #link;Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland: Kenan Kolat liebäugelt mit der Abschaffung des Verfassungsschutzes;"Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU)# aufgeklärt sei, berichtet das Blatt unter Berufung auf führende Unionskreise. Wie die Nachrichtenagentur DPA aus Sicherheitskreisen erfuhr, könnte das Bundesamt für Verfassungsschutz "für gewisse Zeit" ohne Präsidenten oder ohne Vizepräsidenten geführt werden.

Ströbele wünscht sich unbelasteten Nachfolger

Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, Mitglied im Kontrollgremium, verlangte eine noch stärkere Aufklärung mit einem Neuanfang in der Führung des Verfassungsschutzes. "An die Spitze des Dienstes muss jemand gestellt werden, der unbelastet ist", sagte Ströbele der "Neuen Presse". "Der Verfassungsschutz braucht einen Präsidenten, der nicht in die Pannen verwickelt ist. Ein belasteter Mann aus dem Apparat wäre der falsche Kandidat", fügte er hinzu.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Friedrich reagiert auf Reformforderungen

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kündigte Konsequenzen in der Behörde an. "Es darf natürlich das, was passiert ist, nicht passieren, und deshalb muss es da auch Konsequenzen geben", sagte der Minister am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk. Wie diese konkret aussehen sollen, sagte der Minister jedoch nicht.

Die rechtsextreme Terrorzelle NSU wird für zehn Morde verantwortlich gemacht. Die Opfer waren neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Erst nach Jahren kamen die Ermittler der Gruppe im vergangenen Herbst auf die Spur. Seitdem sind die Sicherheitsbehörden massiven Vorwürfen ausgesetzt. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags soll Aufklärung bringen.

DPA
jar/DPA