Kanzler vor Ukraine-Reise? Was Scholz im Gepäck haben könnte – und Kiew vom Kanzler erwartet

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): "Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes rein und raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge"
© Michael Kappeler / DPA
Bundeskanzler Olaf Scholz wird in der Ukraine erwartet. Schon lange. Nun könnte es bald so weit sein. Die Erwartungen an seinen Besuch hängen hoch. Kiew hofft vor allem auf eine Botschaft.

Grundsätzlich ist es ja so: Erwartungen können erfüllt, übertroffen oder enttäuscht werden. Die Frage ist nun: Was wird Olaf Scholz tun?

Gerade spricht vieles dafür, dass der Bundeskanzler endlich eine Reise antreten könnte, die schon lange von ihm erwartet wurde. Gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Italien und Frankreich, Mario Draghi und Emmanuel Macron, soll Scholz am Donnerstag die ukrainische Hauptstadt Kiew besuchen. Entsprechende Berichte werden bislang zwar nicht kommentiert, aber auch nicht dementiert. Und wer einen Blick auf den offiziellen Terminkalender des Bundeskanzlers wirft, stellt fest: Einzig für besagten Donnerstag sind keine Informationen für die Öffentlichkeit zugänglich. 

Lange hatte der Kanzler gezögert, eine solche Reise anzutreten. Nicht nur dadurch hat er hohe Erwartungen geschürt. Zunächst musste eine Reiserangelei um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beigelegt werden, später erklärte der Kanzler, er werde sich "nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes rein und raus mit einem Fototermin was machen", sondern wenn, "dann geht es immer um ganz konkrete Dinge." 

Olaf Scholz will für neuen Schwung sorgen

Daher dürfte sich nicht zuletzt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fragen – der Scholz abermals eingeladen hatte –, was sein Gast denn konkret im Gepäck haben könnte. Allein die mutmaßliche Reisegruppe treibt die Erwartungen hoch: Die drei Politiker vertreten die wichtigsten EU-Länder. Und auch Macron hatte immer betont, dass er nach Kiew reisen wolle, "wenn es nützlich ist".  

Scholz könnte diesbezüglich schon auf gepackten Koffern sitzen, um im Sprachbild zu bleiben. Auf seiner Blitzreise durch den Balkan bereiste er in zwei Tagen fünf Länder, überall zog er eine zentrale Botschaft aus seiner treuen Aktentasche: Hoffnungen sollen nicht enttäuscht werden. 

Scholz will sich in Brüssel für den EU-Beitritt des Westbalkan reinhängen. "Die Hoffnung, die die Westbalkanstaaten auf Europa entwickelt haben, darf nicht enttäuscht werden", sagte er hier, die fest zugesagten Beitrittsverhandlungen "müssen jetzt beginnen", sagte er dort. "Der westliche Balkan gehört in die Europäische Union", sagte er nicht zuletzt Mitte Mai, als die Reise angekündigt wurde.

Der Kanzler will offenkundig neuen Schwung in eine Angelegenheit bringen, bei der sich inzwischen kaum noch etwas tut. Seit fast zwei Jahrzehnten warten die Staaten des Westbalkans auf einen EU-Beitritt. Es ist der Versuch, die Hoffnungen – die zunehmend Frust weichen – mit einem deutlichen Signal und einer handfesten Perspektive aufzuladen. Letztlich wohl auch aus der Motivation heraus, die Westbalkanstaaten nicht tatenlos dem Einfluss Russlands zu überlassen. Erst kürzlich hatte der serbische Präsident Aleksandar Vučić mit Kremlchef Wladimir Putin telefoniert, um einen "extrem günstigen" Erdgas-Deal einzutüten, wie Vučić im Anschluss bekannt gab.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die Ukraine formuliert klare Erwartungen

Kann auch Kiew auf ein klares Signal hoffen? Die Ukraine baut darauf, beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juni zum Beitrittskandidaten erklärt zu werden. Bis kommende Woche will die EU-Kommission ihre Empfehlung dazu abgeben, wie Behördenchefin Ursula von der Leyen am Wochenende bei einer erneuten Reise nach Kiew ankündigte.

Das Timing für einen Besuch der drei wichtigsten EU-Regierungschefs wäre daher ideal – und könnte mit der Botschaft verbunden sein, dass der Ukraine der Weg in die Europäische Union geebnet werden soll. Es wäre ein wichtiges Signal, denn ein rascher Beitritt ist praktisch ausgeschlossen. Das hat mehrere Gründe, technische wie politische (mehr dazu lesen Sie hier). Zuletzt hatten Scholz wie auch Macron darauf hingewiesen, dass es keine Abkürzungen in die Staatengemeinschaft geben kann. 

Was der ukrainische Präsident Selenskyj erwartet, hat er in einem Interview mit dem ZDF-"heute-journal" wortreich ausgebreitet, das am Montagabend ausgestrahlt wurde. "Wir brauchen von Kanzler Scholz die Sicherheit, dass Deutschland die Ukraine unterstützt. Er und seine Regierung müssen sich entscheiden", sagte er und beklagte auch die Zögerlichkeit Deutschlands bei Waffenlieferungen. "Darüber hinaus erwarte ich, dass er uns persönlich unterstützt und dass er persönlich zuversichtlich ist, dass die Ukraine der EU angehören kann und dass der Status eines Beitrittskandidaten der Ukraine bereits im Juni verliehen wird." Er rechne sehr damit, "dass Herr Scholz diese Zuversicht in seiner Antwort zum Ausdruck bringt."

Angesprochen auf Scholz' Aussage, für mehr als nur Fotos in die Ukraine reisen zu wollen, sagte Selenskyj: "Wir möchten auch nicht, dass er nur zu einem Fototermin kommt."