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Plagiatsvorwurf Kommen Sie, sehen Sie - die Guttenbuße

Mit deutlich gedämpfter Stimme und Worten wie "Fehler", "Demut" und "Entschuldigung" versuchte sich Verteidigungsminister zu Guttenberg in der neuen Rolle als Büßer. Es hat nicht funktioniert.
Von Lutz Kinkel

Zwischen Fragestunde und Aktueller Stunde zu den Plagiatsvorwürfen gegen Karl-Theodor zu Guttenberg vertreten sich eine Handvoll Politiker vor dem Plenarsaal die Beine. Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen, doziert vor einer Traube Menschen, sein Parteifreund Omid Nouripour lehnt am Sofa, zumindest einer aus der Union hat sich auch rausgewagt: Es ist Hans Michelbach, ein fülliger Unternehmer aus Gmünden am Main, 61 Jahre, verheiratet, drei Töchter, Typ Honoratior, er sitzt für die CSU im Finanzausschuss. Michelbach hat ein milchiges Ihr-Könnt-Uns-Gar-Nichts-Grinsen aufgesetzt und lästert über die langatmigen Fragen der Opposition im Plenarsaal. Zufällig kommt Barbara Hendricks vorbei, Schatzmeisterin der SPD, sie fühlt sich angesprochen und ihr Blutdruck steigt. "Hier geht doch die bürgerliche Kultur vor die Hunde!" brüllt sie Michelbach an. "Das wird noch Folgen haben, die ihr gar nicht absehen könnt!" Michelbach ist für einen Moment über die Lautstärke irritiert. Dann sagt er: "Dass das niemanden nützt, ist klar."

Berlin, Sonnenschein, arktische Kälte: Es ist der Tag des Karl-Theodor zu Guttenberg. Des Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg, wie ihn die Grünen konsequent nennen, um ihn daran zu erinnern, dass nicht er selbst über seinen Titel entscheidet. Des Dr. Googleberg, wie die Netzgemeinde spottet.

Mr. Topgun, Mr. Right

Zu besichtigen ist eine neuerliche Verwandlung dieses Ausnahmepolitikers. 2009 war er als Mr. Was-kostet-die-Welt aufgetreten, mit einladend ausgestreckten Armen im bunten Neonlicht des New Yorker Times Square. 2010 gab er Mr. Topgun, mit schwarzer Sonnenbrille und Tarnanzug im Helikopterflug über Afghanistan. Oder auch Mr. Right, den bubenhaft lächelnden Typ im Anzug, im Arm die blondschöne Gattin aus dem Hause Bismarck. 2011, genauer: an diesem 21. Februar, versucht er sich in einer neuen, noch unbekannten Rolle: als reuiger Sünder.

Wenn Sitzungswoche ist in Berlin, also der Bundestag zusammentritt, tagen die Fraktionen gewöhnlich am Dienstag. Am Mittwoch unterrichten sie die Presse über die Ergebnisse. Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, ist noch einen Tick besser gelaunt als üblich. Er feiert das Wahlergebnis in Hamburg. Irgendjemand Fragen dazu? Nein. Also die Hartz-IV-Einigung. Kurze Debatte. Endlich: Guttenberg - und es ist zu spüren, dass sich Oppermann bei jedem Satz, den er dazu sagt, gleichsam die Hände reibt. "Das ist eine systematische Übernahme von fremden Texten. Das ist vorsätzlicher Diebstahl. Dafür gibt es eigentlich keine Entschuldigung", sagt Oppermann über Guttenbergs Plagiatsaffäre. Er sei erstaunt darüber, dass die Kanzlerin versuche, die Angelegenheit zu bagatellisieren. Schließlich gehe es um mehr als um eine Doktorarbeit. "Ich frage mich, wie eine konservative Partei, die sich bürgerlich nennt, so leichtfertig mit Werten wie Eigentum und Respekt umgehen kann."

Wie Guttenberg doch Vorbild sein kann

Für die Union hatte Fraktionschef Volker Kauder die Marschrichtung in einem Interview mit stern.de vorgegeben. "Das Thema ist für mich erledigt", sagt Kauder. Guttenberg habe Fehler eingeräumt, sich entschuldigt, seinen Doktortitel zurückgegeben, das war's. Bei der achten kritischen Nachfrage platzt ihm beinahe der Kragen. "Jetzt lassen Sie's mal gut sein", sagt er mit einem sehr festen Blick auf sein Gegenüber. Die FDP, der Koalitionspartner, versucht sich rauszuhalten, Fraktionschefin Birgit Homburger erklärt ihre Gesprächsrunde am Mittwoch größtenteils für vertraulich. Offen, also zitierbar, sagt sie nur: "Die FDP ist eine Rechtsstaatspartei. Sie lässt auch im Fall Guttenberg keine Vorverurteilung zu. Es muss erstmal alles aufgeklärt werden."

Natürlich sind die Positionen von FDP und CDU von Taktik bestimmt. Es geht beiden Parteien um Schadensbegrenzung. Eine Entlassung Guttenbergs, eine Kabinettsumbildung, das alles vor den entscheidenden Wahlen in Baden-Württemberg - ein Horrorszenario für die Kanzlerin. Sie versucht sich deswegen in der Zweiteilung Guttenbergs. Demnach gibt es einen hervorragenden Verteidigungsminister. Und einen Wissenschaftler mit fehlerhaften Ergebnissen. Mit dem einen hat sie was zu tun. Mit dem anderen nicht. Verbindungslinien existieren nicht.

Texte - irgendwie in den Computer geflattert

Der ganze Guttenberg, ein Mensch mit Leib und Seele, Vergangenheit, Erfahrung und leicht demoliertem inneren Geländer, hat sich für die Fragestunde und die aktuelle Stunde an diesem Nachmittag in einen körperbetonten grauen Anzug geworfen. Er spricht leiser als sonst, seine Stimme klingt beinahe brüchig. Jede Frage erwidert er höflich, redet den Fragenden mit "Kollege" oder "Kollegin" an, wie ein Mantra wiederholt er die Worte Entschuldigung, Fehler, Einsicht, Demut. Karl-Theodor zu Guttenberg versucht in diesen Momenten, die die entscheidenden seiner politischen Karriere sein könnten, nicht dynamisch zu wirken. Nicht nassforsch. Sondern bescheiden. Ganz Sein, kein Schein. Es klappt nicht so ganz. Zu lässig die eine Hand in der Hosentasche, zu seelenruhig liegen die Notizen in der anderen.

Eine verkorkste Rolle, die er sofort ablegt, wenn es um die Sache geht. Vor dem nahezu vollbesetzten Bundestag wiederholt Guttenberg seine abenteuerliche These, er habe kein Plagiat vorgelegt, weil er nicht absichtlich getäuscht habe. Also sind ihm zig Textdiebstähle einfach so unterlaufen? Zwischen Mandat, Kindern und Uni irgendwie in den Computer geflattert? Und als wäre das nicht genug, versteigt sich Guttenberg in Erwiderung auf die Kritik, er könne kein Vorbild sein, zu der Behauptung, das könne er sehr wohl. Würde jeder Akademiker mit seinen Fehler so umgehen wie er - tja dann, so suggeriert er, würde es weniger falsche Doktoren geben. Eine Heldengeschichte ex negativo. Da bleibt selbst der Opposition im Bundestag die Spucke weg.

Herr Michelbach und die Chinesen

Omid Nouripour mag sich nicht mehr aufregen, er lehnt in der Pause zwischen den beiden Sitzungen entspannt am Sofa. Er glaubt nicht daran, dass Guttenberg über seine Fußnoten stolpern wird. "Bei jedem anderen wäre das nicht durchgegangen. Aber die Kanzlerin braucht ihn. Ende", sagt er. Unvermittelt rauscht Renate Künast, grüne Fraktionschefin, in die Runde. Sie pendelt emotional irgendwo zwischen Fassungslosigkeit, Wut und Galgenhumor. "Guttenberg kommt mir vor wie ein kleines Kind, das die Hälfte des Gesichts mit Schokolode beschmiert hat und sagt: Ich hab' sie nicht geklaut." Dass sich Guttenberg die Affäre zunutze macht, um sein Image als Ich-spreche-Klartext-Politiker zu pflegen, macht Künast erst recht fuchsig. Ein Geständnis, sagt Juristin Künast, sei strafmildernd. "Aber keinen Orden für Zivilcourage wert." Aus ihrer Sicht ist diese Affäre noch lange nicht vorbei.

Vorne, an der Glastür zum Plenum, steht immer noch Herr Michelbach von der CSU, Barbara Hendricks von der SPD hat mittlerweile das Weite gesucht. Eine Journalistin fragt den Unternehmer Michelbach, wie er es finden würde, wenn chinesische Trickser seine Produkte kopieren würden. Und nach ein paar Jahren sagen würden: Och, weisste, tut mir leid, hier haste das Zeugs wieder zurück. Ob es damit erledigt wäre? Michelbach überlegt nicht lang. "Nein", sagt er. "Das wäre dann nicht erledigt."

P.S.: Die Universität Bayreuth entschied sich am Abend, Guttenberg den Doktortitel abzuerkennen.

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