Schwarz-Gelb Wie laufen die Koalitionsverhandlungen ab?

  • von Johannes Schneider
Der spannendste Ort des politischen Berlins ist derzeit die Landesvertretung Nordrhein-Westfalen. Dort verhandeln Merkel, Westerwelle und Co. den Koalitionsvertrag, also das neue, schwarz-gelbe Deutschland. stern.de sagt Ihnen, was Sie wissen müssen.

Was sind Koalitionsverhandlungen?

In einem Parlament mit mehreren Parteien ist es üblicherweise nötig, für eine Regierung eine Koalition zu bilden. Vorab verhandeln die betreffenden Parteien - über die Leitlinien ihrer künftigen Politik und die personelle Aufteilung des Kabinetts. Das Ergebnis wird seit 1961 schriftlich im Koalitionsvertrag fixiert.

Wer verhandelt?

Bei den Koalitionsverhandlungen, die am Montag begannen, treffen sich 27 Politiker, je neun aus CDU, CSU und FDP. Dabei sind nicht mutmaßliche Minister, sondern wichtige Schlüsselfiguren und Sachpolitiker der Parteien vertreten. So entsendet die CDU ihre stellvertretenden Vorsitzenden und Länderchefs Roland Koch und Christian Wulff, die CSU schickt neben ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer und Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg auch den bayerischen Umweltminister Markus Söder an den Tisch. Die FDP lässt neben Guido Westerwelle ihre Vize-Vorsitzenden Rainer Brüderle, Andreas Pinkwart und Cornelia Pieper sowie Generalsekretär Dirk Niebel verhandeln.

Wo wird verhandelt?

Als Treffpunkt wurde die Landesvertretung Nordrhein-Westfalen (NRW) auserkoren. Ein Ort mit Symbolcharakter - und zwar nicht nur, weil in NRW seit 2005 Schwarz-Gelb regiert. Als die Bundesregierung und die Landesvertretung noch in Bonn waren, schmiedeten Willy Brandt und Walter Scheel 1969 dort das sozial-liberale Bündnis. Auch die rot-grüne Koalition wurde 1998 von Gerhard Schröder und Joschka Fischer in der NRW-"Botschaft" geschlossen. Ob der Verhandlungsort ein gutes Omen für Schwarz-Gelb ist, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Das nach mehreren Verzögerungen und rund zweieinhalbjähriger Bauzeit im November 2002 eröffnete Gebäude, das mit einer spektakulären Doppelfassade aus Glas und Holz glänzt, hat nicht nur für Freude gesorgt. NRW-Finanzminister Helmut Linsen (CDU) hatte über schwere Baumängel, hohe Reparaturkosten und einen rapiden Wertverfall der Immobilie geklagt.

Wie lange soll verhandelt werden?

Direkt nach der Bundestagswahl ließ Angela Merkel durchblicken, sie sei an "zügigen" Verhandlungen interessiert. Geht es nach ihr, soll die neue Regierung noch vor dem 20. Jubiläum des Mauerfalls vereidigt werden, als zeitlicher Horizont für das Ende der Verhandlungen ist der 27. Oktober ausgegeben. Bei der letzten Bundestagswahl 2005 war das Tempo gemächlicher: Nach der Wahlnacht Mitte September vergingen vier Wochen, bis die Koalitionsverhandlungen begannen. Am 22. November 2005 wurde Angela Merkel vom 16. Deutschen Bundestag zur Kanzlerin gewählt und vereidigt. Unklar ist, ob sich die diesjährigen Gespräche, obschon früher begonnen, nicht ähnlich lange hinziehen könnten: Bereits im Vorfeld warnten die Beteiligten vor "schwierigen" Verhandlungen, die "Wunschpartner" könnten sich in Detailfragen weniger schenken als die kompromissbereiten Großkoalitionäre von 2005. "Dieser Neuanfang lässt sich nicht durchpeitschen. Ziel ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern der große Lösungsansatz", warnte der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP Andreas Pinkwart in der "Leipziger Volkszeitung" die Kanzlerin.

Wird immer im Plenum verhandelt?

Nein. Beim ersten Treffen am Montag ging es in erster Linie um organisatorische Fragen, zum Beispiel um die Konstitutierung der Facharbeitsgruppen, die dann zunächst im kleinen Kreis inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede ausloten. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Steuer- und Finanzpolitik, die innere Sicherheit, das Gesundheitssystem und die künftige Energieversorgung. In zwei Wochen ist nach Angaben aus Unionskreisen vom 16. bis 18. Oktober eine Marathonsitzung geplant, bei der möglicherweise schon alle vorrangigen Themen abschließend behandelt werden. Denkbar scheint es nach Angaben aus CDU-Kreisen, dass strittige Themen wie der Kündigungsschutz aus den Koalitionsverhandlungen ausgeklammert werden, berichtet die Nachrichtenagentur AP.

Was ist jetzt schon sicher?

Es sind vor allem zwei Personalien, die als beschlossen gelten. "Für mich gilt bei diesen Verhandlungen: Inhalt vor Ressortzuschnitt und Personalien. Dabei gibt es selbstverständlich zwei Ausnahmen. Gesetzt sind Angela Merkel als Bundeskanzlerin und Bundesaußenminister Guido Westerwelle als Vizekanzler", sagte FDP-Vize Andreas Pinkwart. Als relativ gesichert gilt außerdem, dass das linksliberale Aushängeschild Sabine Leutheuser-Schnarrenberger das Justizministerium von Brigitte Zypries übernimmt. Darüber hinaus wird es spekulativ. Es könnte sein, dass Ursula von der Leyen (CDU/Familie) und Ilse Aigner (CSU/Landwirtschaft) ihre Ressorts behalten. Es sei denn, Ursula von der Leyen wird Gesundheitsministerin. Hierfür steht aber auch der CDU-Politiker Norbert Röttgen bereit. Inhaltlich scheint die geplante Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke so sicher nicht mehr zu sein, auch die geplanten Steuersenkungen werden derzeit durch die Zögerlichkeit der CDU in Frage gestellt.

Was sind die brisanten Themen?

Angela Merkels kategorische Weigerung, den Kündigungsschutz zu lockern, die bestehenden Mindestlöhne aufzuheben und den Gesundheitsfonds abzuschaffen, stoßen den Liberalen sauer auf. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel: "Die FDP kommt mit beinahe 15 Prozent aus dieser Bundestagswahl", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", "und ich verspreche Ihnen, dass wir uns mit dieser neu gewonnen Stärke in diesem Koalitionsvertrag wiederfinden werden." Weitere brisante Themen dürften dabei der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, die Ersetzung von Hartz IV durch ein Bürgergeld sowie Bürgerrechte und Datenschutz im Internet sein - hier verfolgen Union und FDP grundlegend unterschiedliche Linien. Ebenfalls brisant: der Ausstieg aus dem Atomausstieg, der von Schwarz nun nicht mehr ganz so leidenschaftlich gewollt ist wie von Gelb, sowie Steuersenkungen, die die FDP schon vor der Wahl in deutlich höherem Maße versprochen hat als die CDU.

Welche Personalien sind umstritten?

Die Besetzung des Kabinetts ist noch offen: Kann Wolfgang Schäuble in einer schwarz-gelben Koalition Innenminister bleiben? Zähmt Angela Merkel die Steuersenker von der FDP, indem sie ihnen das Finanzressort zuspielt? Oder soll das Schlüsselressort doch an die Union gehen, dann vielleicht mit Roland Koch besetzt werden? Geht im Austausch für Koch Franz-Josef Jung als Ministerpräsident nach Hessen? Wird Karl-Theodor zu Guttenberg Verteidigungsminister? Und welche neuen Zuschnitte (Stichwort Superministerium Wirtschaft und Finanzen) wird es geben? Die Personalfragen sind zu diesem frühen Zeitpunkt der Verhandlungen noch weitgehend ungeklärt. Viel wird davon abhängen, welche Forderungen die "kleinen" Verhandlungspartner CSU und FDP gegenüber der CDU durchsetzen können. Sollte es die FDP tatsächlich auf fünf Ministerien bringen, wie stellenweise gemutmaßt wird, würde das die Arithmetik auch innerhalb der CDU/CSU-Ressortverteilung empfindlich beeinflussen. Als gesetzt kann dann fast niemand mehr gelten - bis auf Merkel (Kanzlerin) und Westerwelle (Außenminister).

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wer regiert, während die Verhandlungen laufen?

Es gibt in Deutschland keine Konstellation, in der das Land ohne Regierung ist. Bis zur konstituierenden Sitzung des 17. Bundestags, der Wahl und Vereidigung des neuen Kabinetts bleibt das alte, schwarz-rote Kabinett geschäftsführend im Amt. Dass sich dabei diesmal schon gewisse Auszehrungserscheinungen erkennen lassen, wenn etwa Finanzminister Peer Steinbrück den parlamentarischen Staatssekretär Jörg Asmussen zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds nach Istanbul schickt, ist eher Ausnahme als Regel. Allgemein gilt Artikel 69, Absatz 2 des Grundgesetzes: "Das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers endigt in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages, das Amt eines Bundesministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers." Würden die Mitglieder der künftigen schwarz-gelben Bundesregierung schon, wie von Angela Merkel angedacht, Ende Oktober vereidigt, könnte der wahrscheinliche neue Außenminister Guido Westerwelle (FDP) Merkel bereits zum EU-Gipfel am 29./30. Oktober nach Brüssel begleiten. Ansonsten stünde da noch eine letzte Reise mit dem scheidenden Außenminister Frank-Walter Steinmeier bevor.

Welche Koalitionsverhandlungen dauerten am längsten?

Dass eine große, schwarz-gelbe Mehrheit nicht automatisch einfache Koalitionsverhandlungen bedeutet, ist seit 1961 bekannt. Gemeinsam hatten Union und FDP damals über 58 % der Stimmen geholt, dennoch brauchten sie sage und schreibe 51 Tage, sich auf ein Regierungsprogramm und ein Kabinett zu einigen. Zugegebenermaßen waren die Rahmenbedingungen andere als heute: Die Union war der große Wahlverlierer, kam aus der absoluten Mehrheit. Die FDP wollte getreu ihrem Slogan "Mit der CDU, aber ohne Adenauer" unter einem Kanzler Konrad Adenauer nicht wieder in die Regierung zurückkehren. Dass Adenauer dennoch Kanzler blieb, wenn auch nur noch für ein Jahr, trug der FDP das Image einer Umfallerpartei ein. Ein Novum gab es auch: Die Ergebnisse der zähen Verhandlungen wurden erstmals in einem schriftlichen Koalitionsvertrag fixiert.

Sind in der Geschichte der BRD schon mal Koalitionsverhandlungen gescheitert?

Nach Bundestagswahlen in Deutschland sind noch nie Koalitionsverhandlungen gescheitert.