Igor Girkin – Kampfname Strelkow – ist der Mann, der von sich sagte, dass er 2014 den Krieg in die Ukraine getragen habe. Oder in seiner Diktion: Er allein habe verhindert, dass die Gebiete der späteren Volksrepubliken unter die Kontrolle Kiews fielen.
Nun sieht es aus, als wäre Girkin auf dem Weg an die Front in der Ukraine. Gerüchte besagen, dass er dort im Stab eines Freiwilligenbataillons dienen werde. Beglaubigt wird die Geschichte von einem Abschiedsfoto seiner Frau.
Unglaubhaft ist das Ganze nicht. Girkin ist eine populäre Figur in Russland und gehört zu den Militärbloggern, die den russischen Feldzug in der Ukraine von Beginn an scharf kritisiert haben. Nicht wegen der Zielsetzung, die Ukraine als souveränen Staat auszuschalten, sondern wegen des Dilettantismus der Moskauer Führung. Darum sollen er und einige andere Blogger nun angeklagt werden. Da er wegen seiner Verbrechen im Krieg 2014/2015 international gesucht wird, kann er nur in die Ukraine ausweichen, um einer Verfolgung in Moskau zu entgehen.
Igor Girkin, gesuchter Kriegsverbrecher
Aus der Zeit der Separatistenkriege werden ihm zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen. So soll er in den Abschuss der Malaysia-Airlines-Fluges 17 verwickelt sein oder ihn sogar angeordnet haben. Als er mit 53 Getreuen 2014 in der Ukraine auftauchte, hatte die Maidanbewegung die Macht in Kiew übernommen und versuchte, sie auf die östlichen Landesteile auszudehnen. Hier, in den vorwiegend russischsprachigen Gebieten, hatte der gestürzte Präsident Janukowitsch seine Machtbasis. Es kam zu Zusammenstößen zwischen dessen Anhängern und den Kräften Kiews. Auf beiden Seiten chaotisch geführt, glitten die Zusammenstöße schnell in Gewalttätigkeiten ab. In der Stadt Slowiansk organisierte ein trunksüchtiger "Bürgermeister" den Widerstand gegen Kiew. Anders als solche Figuren waren Girkin und seine wenigen Männer erfahrene Berufsmilitärs. Sie verwandelten das Städtchen in eine Festung und hielten die überlegenen Kräfte Kiews auf.
In dieser ersten Phase zeigten sich schon die Züge des Exzentrikers Girkin. Im Feld war er ein herausragender Kommandeur und Organisator. Dazu zelebrierte er seine Auftritte. Privat hatte Girkin einen Hang zu historischen Rollenspielen – auch das lebte er voll aus und zelebrierte einen eigenen Kult, der aus Versatzstücken der Stalin- und Zarenzeit bestand. Vor dem Kampf knieten seine Kämpfer vor heiligen Ikonen und ließen sich segnen. Er selbst verfasste seine Schreiben im Stil der 1940er-Jahre. Die Hochzeit eines seiner Kommandeure geriet zu einem verstörenden Mix von Ikonenkult und Pin-up-Happening.
Auch zeigte er einen Hang zu unnötiger Grausamkeit. Einen mutmaßlichen Autodieb ließ er nach einer Scheinverhandlung erschießen. Auch zwei seiner eigenen Männer wurden erschossen, weil sie in den Trümmern Kleidungsstücke geplündert hätten.
Schließlich gelang es Soldaten Kiews, das Städtchen einzuschließen, im letzten Moment brach Girkin mit seiner Truppe aus. Dieses Manöver gilt bei den einen als genialer Schachzug, durch den die Separatisten Donezk halten konnten, bei den anderen als feige Flucht. Doch Girkin stieg weiter auf, organisierte die Verteidigung des Gebietes in Donezk und war maßgeblich daran beteiligt, einen massiven Vorstoß der Kiewer Truppen abzuschneiden und aufzureiben.

Mächtiger Putinkritiker
Im August 2014 zog er sich aus der militärischen Führung der Separatisten zurück und kehrte in die russische Hauptstadt zurück. Damals behauptete er auf Druck Moskaus. Die dortige Führung hatte damit begonnen, die allzu selbstständigen Kommandeure in der Region zu liquidieren, so Girkin, also sei ihm nichts anderes übrig geblieben.
Seitdem wurde er zu einem massiven Kritiker nicht nur der Putin-Regierung, sondern auch des seiner Meinung nach allzu lethargischen russischen Volkes. Insbesondere die Operationen der russischen Armee in der Ukraine überzog er mit beißender Kritik. So kam es, dass der gesuchte Kriegsverbrecher regelmäßig in westlichen Medien zitiert wurde. Welche Rolle er heute in der Ukraine spielen wird, ist unklar. Auf jeden Fall wird sie nicht an seine Bedeutung im Jahr 2014 heranreichen. Sein Bekanntheitsgrad wird ihn zu einem primären Ziel für die ukrainischen Streitkräfte machen, die versuchen werden, ihn so schnell wie möglich zu töten.